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Jeder, der nicht gerade damit beschäftigt ist, den Kapitalismus als höchstes, bestes und damit letztes Stadium der Menschheitsgeschichte zu propagieren, kann den ganz normalen Wahnsinn dieses Systems an solch anachronistischen Erscheinungen, wie steigender Aktienkurse bei Ankündigung von Entlassungen oder permanenter Nichtauslastung der Produktionskapazitäten bei gleichzeitigem täglichen Hungertod zigtausender Menschen auf der Welt feststellen. Doch sich vorzustellen, dass die systematische Ausgrenzung und Verfolgung bis hin zur planmäßigen Massenvernichtung jüdischer Menschen in Europa unter dem deutschen Faschismus etwas mit den Interessen des deutschen Monopolkapitals zu tun hatte, mit einem nüchternen Kalkül, übersteigt meist das Vorstellungsvermögen.

Die ganz real vorhandene Schwierigkeit, dieses unvorstellbare Verbrechen zu begreifen, erleichterte es, einen solchen Zusammenhang aus dem Denken in diesem Land weitgehend als unmöglich auszuschalten. Übrig bleibt Unfassbarkeit, der psychopathische Wahn eines Mannes und der ihm ergebenen Männer, die – soweit gehen bürgerliche Geschichtsdeutungen1 – den Krieg führten, um die Juden zu vernichten. Selbst der Zwang, sich offiziell mit „dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte“ zumindest noch einmal so weit beschäftigen zu müssen, dass die noch lebenden Zwangs- und Sklavenarbeiter in irgendeiner Form entschädigt werden müssen, kann bei dem gewollt erzeugten geschichtlichen Analphabetismus in diesem Land dazu benutzt werden, die damals wie heute herrschende Klasse, das Finanzkapital, von dem noch viel größeren Verbrechen der Judenvernichtung freizusprechen.

Der unmittelbare Nutzen der Banken und Konzerne aus der Aussaugung der Zwangsarbeiter kann schlecht geleugnet werden.
Jura Soyfer

(1912-1939) geboren in Charkow als Sohn eines jüdischen Industriellen, kam mit acht Jahren nach Wien. Als Mittelschüler wurde er Marxist und arbeitete in der sozialdemokratischen Presse. Nach dem Bürgerkrieg 1934 wechselte er zur KPÖ, schrieb einen Roman und mehrere Theaterstücke. 1937/38 war er wegen kommunistischer Betätigung im Gefängnis, am 13.3.38 wurde er an der Schweizer Grenze festgenommen und kam später erst ins KZ-Dachau (dort entstand sein „Dachau-Lied”), dann nach Buchenwald, wo er am 16.2.39 an Typhus starb.
Der Zusammenhang zwischen den deutschen Monopolen und der Judenvernichtung liegt hinter der Erkenntnis verborgen, „dass die Politik der konzentrierteste Ausdruck der Ökonomik ist“2, eine Erkenntnis, die bekanntlich nicht gerade zum Bildungsziel dieser Gesellschaft gehört. Also wird weiter behauptet, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, werden die Monopolherren von jeglichem Zusammenhang rein gewaschen. Ansonsten soll dieses Kapitel nun endlich der Vergangenheit angehören, um unbeschwert zu neuen Taten schreiten zu können – diese Tendenz ist bei allen politischen Unterschieden der Herrschenden nicht zu überhören. Je lauter sie wird, um so wichtiger wird es für uns, für jeden in und außerhalb dieses Landes, der auch nur eine annähernd ähnliche Barbarei ein weiteres Mal verhindern will, den Zusammenhang zwischen dem deutschen Finanzkapital und der Vernichtung der Juden wieder begreifbar zu machen.

Aufrechterhaltung der Ausbeutungsbedingungen, Absicherung der Expansion

Um das Unfassbare verstehen zu können, nutzt es wenig, in erster Linie nach unmittelbaren Zusammenhängen zwischen der Verfolgung der Juden und den ökonomischen Interessen der Monopole zu suchen. Es gab eine Reihe solcher „sekundärer Schmarotzerfunktionen“3, wie die Beseitigung der Konkurrenz und den Raub von Firmen, Banken, Warenhäusern durch die „Arisierungen“ 1938, die Bereicherung des faschistischen Staates durch das Herauspressen hoher Summen für Papiere zur legalen Flucht oder durch den widerlichen Befehl, für die durch faschistische Horden verursachten Zerstörungen in der Reichspogromnacht 1938 auch noch bezahlen zu müssen; die Profite, die IG-Farben mit der Herstellung der Giftgase zur Vernichtung der Juden erzielen konnte; die herausgebrochenen Goldzähne aus den Toten...
Hans Mayer

(1907-2001) wurde in Köln geboren. Sein Vater war Kaufmann und Sozialdemokrat. 1930 promovierte Mayer als Jurist, wurde aber nach der Machtübertragung an die Nazis als Gerichtsreferendar entlassen, da er Jude und, als Vorsitzender der Kölner SAP, auch politisch aktiv war. Er emigrierte erst nach Frankreich, dann in die Schweiz, arbeitete eine Zeitlang an Max Horckheimers Sozialforschungsinstitut und schrieb sein erstes Buch (über Georg Büchner). 1945 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Gründungsmitglied der VVN. Seinen Posten als Chefredakteur des Frankfurter Rundfunks behielt er wegen seiner Gesinnung nicht lange. 1948 ging er als Professor für Literaturgeschichte an die Leipziger Universität und blieb 15 Jahre in der DDR, bis er sie wegen Streitigkeiten mit Kulturpolitikern verließ und in die BRD zurückkehrte, die er aber keineswegs weniger kritisierte. Er schrieb über 40 Bücher, sowohl zur Literaturgeschichte als auch zu autobiographischen Themen.
Doch dem steht eine ebensolche Reihe von Beispielen gegenüber, die den unmittelbaren Interessen entgegensprachen. Die Vernichtung von Millionen von Menschen, nur weil sie nach faschistischer Definition Juden waren, ist damit nicht zu erklären.

Es ist grundsätzlich zu kurz gegriffen, den Zusammenhang zwischen den Interessen der herrschenden Klasse und innerhalb dieser Klasse der maßgebenden winzigen Minderheit, der Herren der untereinander verschmolzenen Banken und Konzerne, an den Maßnahmen des Staates auf die Befriedigung ihrer unmittelbar ökonomischen Bedürfnisse zu reduzieren. Dies versucht selbstverständlich jedes Monopol, teilweise in heftiger Konkurrenz untereinander, zu verwirklichen. Doch was sie eint, ist die grundlegende Anforderung an den Staat, die Ausbeutungsbedingungen aufrecht zu erhalten und Voraussetzungen zu schaffen, die eine weitere Profitmaximierung ermöglichen. Es ist ihr politisches Interesse nach Ruhe und Ordnung im Inneren und Absicherung ihrer Expansionsbestrebungen nach Außen – diplomatisch, politisch, militärisch.

Wie das zu geschehen hat, wird oft erst im scharfen Kampf der Monopole oder verschiedener Monopolgruppen untereinander entschieden, ein Kampf, der sich widerspiegelt in der Ausarbeitung verschiedenster Ideologien und Konzepte der Theoretiker und Ideologen des Kapitals, Theorien, die ja nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern auf dem Boden konkreter Produktionsverhältnisse mit ihren historischen Besonderheiten. Also in einer Gesellschaft, die bis in die letzten Poren durchdrungen ist von der Macht und dem Einfluss des Finanzkapitals.
Das aber heißt, dass sie auch durchdrungen ist von der Maßlosigkeit, die Bestandteil jedes Monopols ist, keine Grenzen mehr anerkennend, Preise diktierend, Herr über das Schicksal Tausender von Menschen. Die besondere Geschichte der deutschen Monopole steigert diese Maßlosigkeit bis zum Größenwahn, bei dem die Übergänge zwischen Rationalität und Irrationalität fließend sind.

„... wer Hitler wählt –
wählt den Krieg!“


„Wer Hindenburg wählt – wählt Hitler, wer Hitler wählt – wählt den Krieg“ warnte die KPD vor der Reichspräsidentenwahl 1932 und benannte damit das Ziel, für das die Errichtung der faschistischen Diktatur gebraucht wurde. Auch wenn es unterschiedliche Strömungen in der Monopolbourgeoisie darüber gab, wie lange die offene Kriegserklärung gegen die imperialistischen Konkurrenten hinauszuzögern sei, mit welchen Schritten das Expansionsprogramm zu verwirklichen ist, das Ziel war klar: sich endlich aus den Fesseln des Versailler Vertrages zu befreien und sich das zu holen, wofür man bereits 1914 angetreten war.
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"nur für Juden" - alltägliche Diskriminierung im deutschen Faschismus.
Die Kriegszieleingaben vor und während des 1. Weltkrieges von Monopolherren, ihren Ideologen und Politikern nach den Rohstoffquellen in Frankreich, am kaspischen Meer, nach einem Europa unter deutscher Vorherrschaft, stark genug, um den Kampf gegen die USA aufnehmen zu können, waren ja schließlich nicht nur nicht erreicht worden, sondern durch die Niederlage in weite Ferne gerückt.4
Dadurch stand die Situation für das deutsche Finanzkapital Anfang der dreißiger Jahre noch schärfer als vor dem 1. Versuch, die Welt zu seinen Gunsten neu aufzuteilen. Auf der einen Seite stark geschwächt durch den Verlust großer Absatzgebiete und eigener Rohstoffquellen konnte es auf der anderen Seite aufgrund massenweise einströmenden ausländischen Kapitals während der zwanziger Jahre den gesamten Produktionsapparat modernisieren, so dass sich die Kapazität der Monopole erheblich ausweitete. Durch die große Krise ab 1929 spitzte sich dieser alte (und bis heute aktuelle) Widerspruch, von den ökonomischen Möglichkeiten her ein Riese zu sein, politisch aber ein Zwerg mit einem noch kleineren eigenen Herrschaftsgebiet als 1914, weiter zu.

Doch der Krieg von 1914 konnte nicht einfach wiederholt werden, die Welt hatte sich verändert. Die Revolution der russischen Arbeiter und Bauern von 1917, ihr Aufbau eines Staates ohne und gegen die Kapitalisten war ein Ergebnis dieses Krieges gewesen, ebenso wie die Novemberrevolution 1918 im eigenen Land und die zunehmenden Bestrebungen der unterdrückten Völker nach Unabhängigkeit.

Eine mögliche Antwort für die Herrschenden auf die veränderten Bedingungen war die aus der Niederlage des 1. Weltkrieges hervorkriechende faschistische Bewegung. Diese vereinnahmte in ihrer Ideologie und in ihren Programmen alles, was an reaktionären Ideologien, an aggressiven Zielen und entsprechenden Methoden, sie durchzusetzen, bereits vorher vorhanden war, verband sie mit der Kampfansage gegen die Arbeiterklasse und organisierte alles zusammen zu einer Bewegung. „Hitlers Kriegszielvorstellungen, eindeutig auf die Weltherrschaft des deutschen Imperialismus – mit dem Kernstück der „Vernichtung des Bolschewismus“ und der Herrschaft über den „Ostraum“ – gerichtet, gewannen unter den Bedingungen der faschistischen Diktatur eine große Tragweite. Doch es ist verhältnismäßig leicht festzustellen, dass der „Führer“ vielfältiges, seit langem vorhandenes extrem reaktionäres Gedankengut der Alldeutschen, der Ostlandritter jeder Couleur, der Rassentheoretiker, der Geopolitiker usw. in besonders radikale Formen gegossen, in eine konzentrierte Form und in eine neue Struktur gebracht hatte, und man erkennt im Ganzen wie in den einzelnen Stufen seiner Planungen ... unschwer eine Chiffre für das erstrebte Weltmonopol der IG-Farben, für die Weltvorherrschaft der Montankonzerne, der Kalikonzerne, der Elektrokonzerne, des Zeiss-Konzerns, für ein Welterdölimperium (Deutsche Bank), kurz für jahrzehnte alte Ziele und Träume des deutschen Finanzkapitals.
Mordechai Gebirtig

(1877-1942) war ein jiddischer Volksdichter. Als Lieder verbreiteten sich seine Gedichte in KZs und Ghettos, etwa 20 von ihnen sind überliefert. Nach seiner Ermordung im Krakauer Ghetto wurde sein Gedicht „Es brent” zur Hymne der polnischen jüdischen Widerstandskämpfer sowie später der Überlebenden des Holocaust.

Das Gedicht ist hier nachzulesen.
Hitlers außenpolitisches Programm war also das politisch aufbereitete und ideologisch ausgeformte Abbild dieser imperialistischen Zielsetzungen; die wesentliche Funktion der Hitlerdiktatur war ihre Umsetzung in die Realität.
“5

Als sich Ende 1932, Anfang 1933 der Flügel im deutschen Finanzkapital durchsetzte, der schon seit längerem, teilweise wie Flick schon seit Jahren diese reaktionärste und chauvinistischte Variante unterstützte und damit die Formierung einer Massenbewegung überhaupt möglich gemacht hatte, war also nicht nur der grundsätzliche Auftrag klar, den Hitler hatte, indem ihm zur Macht verholfen wurde: mit der Errichtung der faschistischen Diktatur den Krieg zu ermöglichen, einen Krieg gegen grundsätzlich zwei Feinde – gegen die Arbeiterklasse im eigenen Land und im weiteren Verlauf gegen die Arbeiterklasse weltweit, wohin die deutschen Soldatenstiefel, gefolgt von den Schlächtern der SS, auch trampelten und gegen die imperialistischen Konkurrenten Es war diesen Herren auch die rassistische, völkische, antisemitische Tradition bekannt, seit Jahrzehnten diskutiert, veröffentlicht, in Taten umgesetzt, also Teil ihrer eigenen Tradition, in der dieser Krieg geführt und mit dieser Tradition entsprechenden „Maßnahmen“ auch gewonnen werden sollte: als Rassekrieg.

Die Kriegsziele des deutschen Imperialismus und der völkische Rassismus

Die besondere Geschichte des deutschen Imperialismus, sein zu spät und zu kurz gekommen Sein, seine „Mittellage“, wie es die Herrschenden bis heute gerne ausdrücken, zwischen den damals führenden europäischen Staaten England und Frankreich im Westen mit ihren Kolonialreichen und den lockenden Weiten des Ostens, hatte von Beginn seines Entstehens an maßlose Expansionsziele hervorgerufen: auf der einen Seite die Unterwerfung des Ostens als deutsches Siedlungsgebiet, möglichst bis zu den Ölquellen des kaspischen Meeres, auf der anderen Seite die Niederwerfung Frankreichs und Englands, schon alleine deshalb, weil diese ein derart maßloses Anwachsen des deutschen Imperialismus nie zugelassen hätten. Das Ganze als Ausgangspunkt für den Kampf gegen die USA.
Emanuel Ringelblum

(1900-1944) Sein Name steht für das von ihm im Warschauer Ghetto heimlich angelegte Archiv „Oneg Schabbat”, in dem er die Unterdrückung der Warschauer Juden in Notizen festhielt. Der Historiker begann damit bereits im September 1939 und gründete 1940 eine gleichnamige Gruppe. Es gelang ihm, das Archiv Mitte 1942, bei Beginn der Massendeportationen aus dem Ghetto, in Metallkisten verpackt zu vergraben. Es umfaßte über 30.000 Seiten. Im März 1944 wurde Ringelblum mit seiner Familie im Versteck entdeckt und erschossen. Das Archiv wurde nach der Befreiung dank der Hinweise eines Überlebenden gefunden und dem Jüdischen Historischen Institut in Warschau zur Verfügung gestellt. 1999 erklärte die Unesco es zum Teil des Weltkulturerbes.
Diese weltumspannenden Herrschaftspläne brachten von Anfang an auch eine, über das „normale“ Maß imperialistischer Arroganz und Überheblichkeit anderen Völkern gegenüber weit hinausgehende, völkische und rassistische Konzeption hervor, wie denn ein solch riesiger Raum und die vielen betroffenen Völker überhaupt zu beherrschen seien. Deportationen von Völkern, Evakuierungen ganzer Landstriche waren damals schon vorgesehen. So schrieb Heinrich Claß, maßgeblicher Vertreter des „Alldeutschen Verbandes“ bereits 1912: „Haben wir nun gesiegt und erzwingen wir Landabtretungen, so erhalten wir Gebiete, in denen Menschen wohnen, Franzosen oder Russen, also Menschen, die uns feind sind, und man wird sich fragen, ob solch ein Landzuwachs unsere Lage verbessert ...Wenn man gerade der besonderen Lage des deutschen Volkes ganz auf den Grund geht, das in Europa eingeschnürt ist und unter Umständen bei weiterem starkem Wachstum ersticken würde, wenn es sich nicht Luft macht, so wird man anerkennen müssen, dass der Fall eintreten kann, wo es vom besiegten Gegner im Westen oder Osten menschenleeres Land verlangen muß.“6

In seiner Kriegszieldenkschrift von 1914 forderte der Alldeutsche Verband dann, um die Macht des russischen Zarenreiches zu brechen, eine „völkische Feldbereinigung“ für den Osten, indem „jeder Volkssplitter“ zu einem eigenen Nationalstaat zusammengefasst wird, da nur ein aufgesplitterter Ostraum in jeweils abhängige Kleinstaaten von Deutschland beherrschbar sei.7 Und weiter heißt es dort: „Zur letzten Gruppe, zu der wir nunmehr gelangen, gehört ein einziges Volk, es sind die Juden ... Kein Zweifel: die jüdische Frage im Neulande des Ostens bereitet ganz besondere Schwierigkeiten.“8 Zur Lösung dieses „Problems“ schlägt der Alldeutsche Verband vor, entweder Russland zu verpflichten, sie aufzunehmen oder von der Türkei zu verlangen, „Palästina den Juden zu überlassen“. Auf jeden Fall dürfen sie sich nicht „über Deutschland ergießen“ noch „in den bisherigen Massen im östlichen deutschen Neulande bleiben, da sie dessen Entwicklung aufs äußerste gefährden würden.“9
Das „Volk ohne Raum“, sprich das deutsche Finanzkapital ohne, seinen Expansionsbedürfnissen entsprechende Absatzmärkte und Rohstoffressourcen, sollte sich zum Herrenvolk entwickeln, das bestimmte, welches Volk wo bleiben durfte oder vertrieben werden sollte, um seine Herrschaft abzusichern.

Die Reduzierung der äußeren und inneren Feinde des deutschen Finanzkapitals auf einen Feind

Edgar Hilsenrath

wurde1926 in Leipzig als Sohn eines Kaufmanns geboren, der im Ersten Weltkrieg Kriegsfreiweilliger gewesen war und die Silberne Tapferkeitsmedaille besaß. 1938 musste er sein Geschäft auflösen und schickte Frau und Kinder ins Ausland, nach Rumänien. Als dort auch Faschisten an die Regierung kamen, wurden alle Juden in die besetzte Ukraine deportiert, ins jüdische Ghetto der Ruinenstadt Moghilev-Podolsk am Dnjestr. Dort herrschten Hunger und Typhus, viele wurden erschossen. Hilsenrath beschrieb das in seinem Buch „Nacht”. Nach der Befreiung des Gebiets durch die Sowjetarmee im März 1944 gelangte er über Umwege nach Palästina, dann nach Frankreich, wo sein Vater überlebt hatte. Auch der Rest der Familie lebte und kam nach Frankreich, von wo aus sie in Etappen in die USA auswanderten. Die Eltern gingen 1970 nach Israel, was der letzte Wunsch des Vaters gewesen war. Hilsenrath kehrte 1975 aus New York, wo er als freier Schriftsteller gearbeitet hatte, nach Deutschland zurück und lebt heute in Berlin.
„Die Juden aber waren von der gegen die Arbeiterbewegung und gegen alle kriegshinderlichen – die Volksintegration im Weltkriegswillen behindernden – politischen Kräfte und Ideen gerichteten völkisch-antisemitischen Demagogie seit mehr als 40 Jahren als der „rassische Todfeind“ im „Lebenskampf des deutschen Volkes“ gebrandmarkt worden. Sie fungierten in dieser Demagogie als der gemeinsame Nenner, auf dem alle inneren und äußeren Widersacher wie auch nur prospektiven Überfallopfer des deutschen Monopolkapitals im Bilde eines einzigen Feindes zusammengezogen (wurden) ... gemäß der vom gelehrigen Hitler nur beherzigten ... Propagandagrundregel, das Volk nie durch komplizierte Vielfrontenbilder zu verwirren, sondern ihm immer nur einen einzigen Feind zu zeigen und ihm dieses eine Feindbild beharrlich einzuhämmern.“10

Mit der Kampfansage der Faschisten an das „Weltjudentum“, das vernichtet werden sollte, war von Anbeginn an die Kampfansage an die realen Feinde des deutschen Imperialismus verbunden: an den „jüdischen Bolschewismus“, also an die Arbeiterklasse im Lande, v.a. aber an die Arbeiterklasse an der Macht in der UdSSR, deren Macht ja nicht nur gebrochen werden sollte, sondern deren Land und Reichtümer geraubt werden sollten.

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Die „Bielski Partisanen“, eine jüdische Widerstandsgruppe in Polen, die nach anfänglichen Mißerfolgen gegen die deutsche Wehrmacht schließlich ganze Orte kontrollierte.
An das weltweite „Finanzjudentum“, also an die überlegenen imperialistischen Konkurrenten England, Frankreich und die USA, die ein für alle mal so vernichtend geschlagen werden sollten, dass sie dem Expansionsstreben der deutschen Monopole nicht mehr im Wege stehen konnten. Jede Maßnahme, die Hitler, an die Macht gebracht, dann gegen die jüdische Bevölkerung richtete, hatte entsprechend eine doppelte Funktion:
Sie dienten der Kriegsvorbereitung im Inneren des Landes und trugen gleichzeitig auch immer schon den Keim der Vernichtungskrieges gegen den äußeren Feind in sich.

Welche Verbrechen gegen jüdische Menschen wann, wo und in welcher schließlich an Grausamkeit nicht mehr zu überbietenden Form durchgeführt wurden, hing dabei vom konkreten Kriegsverlauf und damit immer auch von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen ab, auf die auch der faschistische deutsche Staat Rücksicht nehmen musste.

Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung
und die Formierung der Volksgemeinschaft


Zwangsläufig musste mit der Realisierung des maßlosen Expansionsprogramms im Reich begonnen werden, die faschistische Diktatur errichtet und vollständig durchgesetzt werden. Die ersten Vernichtungsschläge der Faschisten richteten sich deshalb gegen die Arbeiterbewegung. Sie wurde ihrer Führer beraubt, die Parteien – zunächst die KPD, dann die SPD – verboten, die Gewerkschaftshäuser gestürmt und die Gewerkschaften aufgelöst. Die ersten Konzentrationslager füllten sich mit Kommunisten, Sozialdemokraten, Antifaschisten. Die Arbeiterklasse sollte als Klasse kampfunfähig werden, eine Voraussetzung, ohne die alles weitere nicht durchführbar gewesen wäre. Es sollte unmöglich werden, dass ein Generalstreik, wie ihn die KPD noch am 30.1.1933 forderte, aber an der Haltung der führenden Sozialdemokraten scheiterte, jemals die Expansionspläne der Monopole, die damit verbundene ungeheure Steigerung der Ausbeutung, die Entrechtung, die Degradierung des nicht jüdischen Teils der Bevölkerung zum Erfüllungsgehilfen der Herrschenden, stören konnte. Die Klasse wurde so atomisiert in einzelne Individuen, die, ihrer Kampforganisationen beraubt, in die verzweifelte Lage isolierter Kleinbürger zurückgeworfen wurden.

Den Vernichtungsschlägen gegen die Arbeiterbewegung folgte die Ausschaltung der bürgerlichen Parteien, die mit dem „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ (14.7.1933) dann abgeschlossen war.
Jenny Aloni

geb. Rosenbaum (1917-1993) wurde in Paderborn geboren und konnte 1939 nach Palästina emigrieren. Dort studierte sie an der Hebräischen Universität in Jerusalem und trat 1942 in eine jüdische Einheit der britischen Armee ein.
Zwischen 1942 und 1944 wurden ihre Schwestern und ihre Eltern in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Sie heiratet Esra Aloni und arbeitet in der Jugendfürsorge. 1956 veröffentlicht sie ihren ersten Gedichtband, es folgen zahlreiche weitere Werke. Sie erhält u.a. den internationalen Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis. 1993 stirbt sie in Ganei Yehuda in Israel.
Diese erste Phase des faschistischen Terrors zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung und Beseitigung der bürgerlichen Demokratie wurde von drei antisemitischen Pogromwellen begleitet, von SS und SA inszeniert als „revolutionärer Volksunmut“: die Ausschreitungen um den 30.1.33, der „Märzterror“, der sich gegen Arbeiterfunktionäre, linke Schriftsteller und jüdische Menschen gleichermaßen richtete und der reichsweite Boykott der jüdischen Geschäfte am 1.April.
Diese dienten nicht nur dazu, der herangezüchteten Anhängerschaft der Faschisten zu zeigen, dass man es ernst meinte mit der seit einem Jahrzehnt verkündeten Propaganda gegen die Juden, obwohl sich die ersten staatlichen Terrormaßnahmen ganz offensichtlich gegen die Arbeiterbewegung und alle fortschrittlichen Demokraten richteten.

Sie waren auch der Anfang der sich steigernden Maßnahmen der Ausgrenzung der Juden, die darauf ausgerichtet waren, jene Volksgemeinschaft zu formieren, die man später brauchte, um die Expansionsbedürfnisse der deutschen Monopole zu befriedigen. Den 500.000 jüdischen Menschen, die zu dieser Zeit im Deutschen Reich lebten, nicht einmal 1% der Bevölkerung, wurde mit diesen Pogromen, den demütigenden Behandlungen und Beschimpfungen, den körperlichen Übergriffen, von Beginn an klar gemacht, dass sie nicht Bestandteil dieser Volksgemeinschaft sein werden. Die „Feindsäuberung“ des eigenen Herrschaftsbereiches begann, zunächst, indem man durch zunehmend unerträglichere Lebensbedingungen die Menschen in die Flucht trieb.

Kaum war die Arbeiterbewegung ihrer Widerstandsmöglichkeiten beraubt, was ja immer auch bedeutet, dass jüdische Arbeiter, fortschrittliche Intellektuelle keine organisierten Widerstandsmöglichkeiten mehr hatten, wurde die Ausgrenzung und Isolierung der jüdischen Bevölkerung durch ein staatliches Terrorgesetz nach dem anderen vorangetrieben. Noch im April wurden Gesetze erlassen zu ihrer Entfernung aus dem Staats- und Justizapparat, aus den für die faschistische Propaganda und Erziehung wichtigen Medienberufen und Bildungsinstitutionen.
Jüdische Ärzte, kurz darauf auch die Zahnärzte wurden aus den Krankenkassen ausgeschlossen, Gemeinschaftspraxen von „Ariern und Nichtariern“ verboten, ihnen die Betätigung als Landwirte und Viehzüchter untersagt (September 33). Während unterschiedliche Monopolfraktionen im heftigen Kampf lagen um die Kriegsstrategie, darum, ob England und die USA zunächst als Bündnispartner gewonnen werden sollten, um sich im Krieg gegen die Sowjetunion und Frankreich erst die notwendigen Ressourcen zu rauben und dann auch einen langwierigen Krieg gegen England und die USA führen zu können oder ob man sich von vorneherein auf einen Weltkrieg einstellen müsse, der nur durch eine Reihe von blitzartigen Überraschungsangriffen zu gewinnen sei, wurde die Formierung der Volksgemeinschaft gegen den Feind, „den Juden“, fieberhaft fortgesetzt.
Kannibalismus

Bei der Vorbereitung ihres Rassenkriegs verzichteten die Faschisten freiwillig und ganz bewusst sogar auf international anerkannte Geistesgrößen unter den jüdischen Wissenschaftlern Deutschlands. Und das, obwohl sie sich deren Forschungen in irgendeiner Weise sicher hätten zunutze machen können. Besonders eindrucksvoll ist die Ausschaltung der jüdischen Intelligenz am Beispiel der Ärzteschaft darstellbar. Anfang der 30er Jahre gab es 52.000 Ärzte in Deutschland, und es wurden immer mehr.
Der Konkurrenzdruck wuchs und mit ihm die Bereitschaft der „arischen” Ärzte, die Maßnahmen gegen ihre jüdischen Kollegen hinzunehmen, zumal die meisten der acht- bis neuntausend jüdischen Ärzte in Großstädten praktizierte – so waren 1932 in Berlin 43 Prozent aller Ärzte Juden. Der Anteil an NSDAP-Mitgliedern in der nichtjüdischen Ärzteschaft betrug über 50 Prozent. Bereits 1933 begann die Vertreibung der jüdischen Ärzte von wichtigen Positionen; so z.B. des Professors für Hygiene an der Sozialhygienischen Akademie in Charlottenburg, Walter Oettinger. Er emigrierte zunächst in die USA, dann nach England, konnte aber nirgends Fuß fassen und kehrte nach Deutschland zurück, von wo aus er 1942 nach Riga deportiert wurde und verschollen blieb.

Das Ausmaß des Niedergangs der deutschen Wissenschaft nach der Machtübertragung an die Nazis war verheerend. Jüdische Naturwissenschaftler emigrierten zu Hunderten, darunter die Nobelpreisträger Erwin Schröder und Max Born (Physik), die Biochemiker Otto Meyerhoff (Nobelpreis 1923) und Otto Loewi (Nobelpreis 1936) sowie die Mathematiker Richard von Mises und Emmy Noether. Allein 130 Mathematiker verließen Deutschland, worauf die Mathematik- Hochburgen Berlin und Göttingen aufhörten zu existieren. Die deutsche Biochemie verlor ein Drittel ihrer Professoren und Doktoren. Keiner von ihnen kehrte nach dem Krieg zurück – die USA und Großbritannien übernahmen die wissenschaftlich führenden Positionen.

An den deutschen Hochschulen wurden die Lehrstühle von Juden „gesäubert”. Dabei ergibt sich ein recht unterschiedliches Bild. Kleine Institute waren von den Vertreibungen gar nicht betroffen, während in Berlin, Hamburg und Göttingen jeweils über 40% des Lehrkörpers entlassen wurden. Dabei genossen gerade diese drei Orte international hohes Ansehen. So arbeitete etwa der Physiker Leo Szilard als Privatdozent mit dem Schwerpunkt Kernphysik an der Universität Berlin. Kurz bevor er seine eigenen Experimente auf diesem Gebiet durchführen und eine Zusammenarbeit mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie initiieren konnte, wurde seine Entlassung verfügt. Er emigrierte daraufhin in die USA und spielte später eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Atombombe.
Besonders groß waren insgesamt die Verluste im Bereich der theoretischen Physik, da hier das personelle Angebot – besonders nach der Entwicklung der Quantentheorie – ohnehin relativ klein war. 26 der 60 Theoretiker an deutschen Hochschulen verloren ihre Stellen.
Durch die Nürnberger Rassegesetze wurden Juden und Nichtjuden rigoros getrennt, die Juden dann unter ein generelles Ausnahmerecht gestellt und so de facto zum Freiwild erklärt (September 35). Schließlich wurde ihnen – ein Gipfel der Verhöhnung angesichts dessen, dass sie nur ihre eigenen Schlächter hätten wählen können – das Wahlrecht aberkannt. Und doch war das, was hier anhand des sich verschärfenden gesetzlichen Terrors dargestellt wird, nur ein Bruchteil der damaligen Wirklichkeit. Durch diesen staatlichen Terror ermutigt, häuften sich die tagtäglichen Demütigungen und körperlichen Misshandlungen durch den faschistischen Anhang. Für die jüdischen Menschen wurde das Leben zum Martyrium. Sie waren zu Aussätzigen gemacht worden, ohne Recht der Willkür ausgesetzt. Viele konnten aufgrund der Gesetze ihren Beruf nicht mehr ausüben, die Gegenwart ließ für die Zukunft noch Schlimmeres erahnen. Wer konnte, floh. Goldhagen beschreibt in seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“, wie in einem kleinen Ort in Hessen, in dem Anfang 33 vierzig jüdische Familien lebten, die Lebensbedingungen dieser Familien durch ständige Demütigungen, Einbrüche in die Häuser, körperliche Übergriffe mit schweren Verletzungen als Folge, Schändungen der Friedhöfe, so unerträglich geworden sind, „dass bereits vor der Reichspogromnacht alle Juden die Stadt verlassen hatten, der letzte am 19.4.37. Als er abreiste, verweigerten seine ehemaligen Nachbarn diesem offenbar völlig mittellosen Mann sogar ein letztes Stück Brot“11

Beides war Ziel dieses Terrors: Die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus dem Land, die mit zunehmender Ausgrenzung und Verfolgung auch tatsächlich zum Unsicherheitsfaktor, zum erbitterten Gegner des Faschismus werden musste, und die Mitleidlosigkeit der nicht jüdischen Deutschen. Sie sollten eingeschüchtert werden, um jeden Widerstand weiterhin zu ersticken, indem ihnen tagtäglich vorgeführt wurde, was mit Feinden geschieht; ihr Misstrauen, irgendwas könnte ja doch stimmen an der ununterbrochenen Propaganda vom Feind, sollte gesät werden, um ihnen das Wegschauen, die Mitleidlosigkeit, die Brutalität einzutrichtern, die sie als Instrumente der Expansionsbestrebungen der Monopole zukünftig brauchten. Sie sollten durch die Erniedrigung eines Teils unter ihnen zum knechtischen Herrenvolk „erhoben“ werden. „Die Hauptfunktion der antijüdischen Ideologie und Praxis der Vorkriegsjahre bestand ... darin, die „nationalsozialistische Volksgemeinschaft“ aggressiv zu formieren und sie sukzessive auf ihre Rolle als Kriegsgemeinschaft vorzubereiten. Für die den Deutschen zugedachte Bestimmung, Instrumente imperialistischer Eroberungspolitik zu sein, sollten sie hassen, verachten, knechten, quälen, foltern, töten und morden lernen ... Judenfeindschaft und -verfolgung drillten vielen Deutschen jene unmenschliche Weise des Denkens und Fühlens ein, die, als sie sich seit 1939 austobte, Millionen Menschen in der Welt vor Entsetzen erstarren ließen.“12

Die Annexionen und die Verschärfung des Terrors

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Ganz normaler Alltag in Berlin.
Im November 1937 teilte Hitler den Führen der drei Wehrmachtsteile und dem Außenminister den Entschluss mit, im nächsten Jahr in Österreich einzumarschieren und die gesamte Tschechoslowakei zu besetzen. Damit aber rückte der Krieg ein Stück näher, zudem, da durch diese Annexionen derjenigen Gruppierung im Finanzkapital enorm der Rücken gestärkt wurde, die von vorne herein auf einen Weltkrieg setzte.13 Das aber hieß, dass nun das Volk im Deutschen Reich im höchsten Maße zum Kriegswillen getrimmt werden musste gegen den Feind. Gleichzeitig beginnt nun zunehmend der Aspekt der Sicherung des „feindfreien Herrschaftsraumes“ in den Vordergrund zu rücken. Bereits ab Mitte 37 „war eine Einschüchterungskampagne gegen alle versteckten inneren Gegner (in Justiz, Kirche, Bürokratie, Presse, Intelligenz) im Gange, war die Zahl der Konzentrationslager vermehrt und der Aufbau bewaffneter SS-Verbände beschleunigt worden. Im Dezember 1937 rollt eine riesige antisemitische Propagandawelle an, Göring verlangt eine antijüdische ,Säuberung’ der Wirtschaft mit Vollzugsmeldung bis März 1938, und Julius Streicher verfügt in Bayern, dem nächstgelegenen ,Gau’ des angestrebten Okkupationsgebietes, in dem das Netz verwandschaftlicher und sonstiger freundschaftlicher Verbundenheiten mit dessen Bewohnern naturgemäß am dichtesten ist, für die Weihnachtswochen einen erneuten Boykott der jüdischen Geschäfte, ,um ihnen das Weihnachtsgeschäft zu verderben’.“14

Die Bevölkerung im Reich sollten mit diesen Aktionen durch Einschüchterung und Brutalisierung auf das vorbereitet werden, was mit der Annexion Österreichs (März 38) und dem Einmarsch im Sudetenland (Oktober 38) dann dort geschah: die mit vollem Terror einsetzenden „Säuberungsaktionen“ und Pogromjagden auf jüdische Menschen.
Gitta Alpar

(geb. ca. 1900) war eine ungarische Opernsängerin, zunächst am Budapester Opernhaus, dann an der Berliner Staatsoper, wo sie weltberühmte Partien wie z.B. die „Königin der Nacht” sang. Sie wurde bereits als Nachfolgerin der damals sehr bekannten Fritzi Massari gesehen, als die Nazis sie zur Emigration zwangen. In Österreich und England konnte sie noch an ihre Erfolge anknüpfen, in Nordamerika, wohin sie 1937 emigrierte, war es auch damit vorbei. Heute erinnert man sich an sie höchstens noch als „Zwischenkriegs-Operetten-Interpretin”, wozu auch der Umstand beigetragen haben mag, dass sie sich nach Kriegsende verständlicherweise weigerte, nach Europa zurückzukehren oder sich gar mit Deutschland und Österreich „auszusöhnen”.
Die Verfolgung in Österreich übertraf alles, was bisher im Reich angerichtet worden war und zielte durch Entzug ihrer Lebensgrundlagen sofort darauf, das Leben dieser Menschen auch physisch unmöglich zu machen. Mit grausamer Perfidie zwangen die Faschisten die österreichischen Juden zu einem Leben, abhängig von Almosen, das sie in ihrer Ideologie den jüdischen Menschen schon immer zugeschrieben haben: ein “unwertes Leben“, „unwert“ zu Kriegsvorbereitung und Kriegsführung.15 Die „Endlösung der Judenfrage“ rückte näher.
Die deutschen Juden wurden noch mehr stigmatisiert. Ab August 1938 mussten sie den zusätzlichen Kenn-Namen Israel bzw. Sara führen, ab Oktober dann das Kennzeichen „J“ in ihrem Pass.

Wurde das Münchner Abkommen dem Ausland, wie auch der gar nicht so kriegsbegeisterten Bevölkerung als Maßnahme zur Erhaltung des Friedens verklickert, so war es nach der geheimen Weisung Ende Oktober 38, das Münchner Abkommen zu brechen, die restlichen tschechischen Gebiete zu besetzen und Polen zu überfallen, Schluss mit dem Friedensgesäusel. Das Volk musste schnellstens auf Krieg eingestimmt werden. Das war der Hintergrund für die Massenpogrome um die Reichspogromnacht vom 8. bis 11 November 1938.
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Ein Kämpfer muss sich den Deutschen ergeben. Einen Monat brauchte die Wehrmacht, um den bewaffneten Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto (April bis Mai 1943) niederzuschlagen. Jürgen Stroop, Kommandeur der deutschen Truppen, erhielt dafür 1943 von Berlin das Eiserne Kreuz Erster Klasse und 1951 von Warschau den Strick.
Zum Anlass wurde das Attentat des Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschafter in Paris genommen, als Symbol, dass der Krieg gegen das „Weltjudentum“ zur notwendigen Verteidigung der Lebensinteressen des „deutschen Volkes“ wurde. Gleichzeitig stand mit dem geplanten Raub nicht „anzugliedernder“ Gebiete, wie das Protektorat Böhmen und Mähren und das Generalgouvernement Polen, nun das ganze, alte Programm der Versklavung der Bewohner dieser Gebiete und dem für sie vorgesehenen Schicksal an – von abhängiger Selbstverwaltung, über Umsiedlungen, Arbeitsversklavung bis zur Vernichtung.
Die Reichspogromnacht, in der zahlreiche Juden ermordet wurden, jüdische Menschen zusammengetrieben worden sind für die ersten Transporte in Konzentrationslager, war wie ein Fanal für das, was nun kommen sollte. Ab diesem Zeitpunkt wurde der jüdische Bevölkerungsteil im deutschen Reich nicht mehr nur als unerwünschte und rechtlose Gruppe behandelt, sondern als Feindgruppe im Inland. In den letzten Monaten des Jahres 1938 wurden die Juden aus dem Wirtschaftsleben „ausgeschaltet“, ihr Vermögen wurde beschlagnahmt; Kinder durften keine öffentlichen Schulen mehr besuchen, Erwachsene endgültig keine Universitäten mehr, ihre Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt, durch den „Judenbann“ durften sie bestimmte Plätze und Restaurants nicht mehr betreten, es wurde ihnen der Führerschein entzogen. Für Ärzte sprach der faschistische Staat das Lizenzverbot aus.
Am 30.1.1939 sprach Hitler dann das erste Mal öffentlich im Reichstag von der „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“.16

Der Beginn des zweiten Weltkrieges
und die „Feindsäuberung“ des Herrschaftsraumes


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Doch noch war es nicht soweit. Noch war Europa nicht unter der Knute des deutschen Imperialismus. Während die führenden Männer der Reichgruppe Industrie fieberhaft ihre wirtschaftsstrategischen Pläne für die weitere Unterjochung Europas zu ihren Gunsten ausarbeiteten, verhandelte die Sowjetunion mit den Westmächten, um dem Treiben des faschistischen deutschen Reiches ein Ende zu bereiten.
Die Verhandlungen scheiterten. So konnten die deutschen Faschisten nicht nur die restlichen Tschechischen Gebiete annektieren (März 39), sondern, durch den Bruch des Münchner Abkommens ohne entsprechende Reaktion der Westmächte noch gestärkt, auch am 1. September 1939 ohne Kriegserklärung Polen überfallen. Der zweite Weltkrieg hatte begonnen. Damit nahm die Verfolgung jüdischer Menschen unmittelbar eine neue Qualität an. Nun ging es nicht mehr in erster Linie darum, die Volksgemeinschaft gegen den Feind zu formieren, die nicht jüdische deutsche Bevölkerung zum kriegstauglichen Herrenvolk zu trimmen, auch wenn diese Funktion der faschistischen Judenverfolgung immer weiter bestand, jetzt wurde Krieg geführt.

Und damit rückten die Pläne zur Herrschaftssicherung in den überfallenen Ländern in den Vordergrund. Der feindfreie Herrschaftsraum wurde vorbereitet. Das bedeutete nicht nur, dass auch in den überfallenen Ländern Kommunisten, Sozialdemokraten, jeder Antifaschist, dessen man habhaft wurde, in Konzentrationslager gesperrt oder gleich ermordet wurden und darüber hinaus, wie in Polen, die gesamte „Führungsschicht liquidiert“17 werden sollte, das bedeutete nun auch, dass alle Juden als faschistisches Sinnbild des Feindes zu entfernen waren. Die Faschisten setzten nicht mehr in erster Linie auf ihre individuelle Vertreibung, sondern begannen, sie zu konzentrieren, um so ihrer stets habhaft zu sein und sie einer „Gesamtlösung“ zuzuführen. Nun wurden jüdische Menschen in Ghettos zusammengepfercht, bewacht, gequält, erschlagen, kaum ernährt, bis zur Erschöpfung als Arbeitssklaven ausgebeutet.
Zunächst waren es die polnischen Juden im zukünftigen Generalgouvernement, kurze Zeit darauf begannen die Deportationen aus Österreich und der Tschechoslowakei in dieses Gebiet Polens, dann die aus West- und Nordpolen, Landstriche, die als neue „Reichsgauen“ dem Reich angegliedert werden sollten. Ab Februar 1940 wurden dann jüdische Menschen aus dem deutschen Reich deportiert.
Rosy Wertheim

1888 geboren, Komponistin, Pianistin und Lehrerin gehörte einer der reichsten und angesehensten Familien Amsterdams an, engagierte sich in sozialistischen und christlichen Vereinen – die Wertheims waren nicht besonders religiös – und widmete sich, finanziell abgesichert durch ihre Familie, ab 1929 ganz dem Komponieren. Als sie 52 Jahre alt war und bereits etwa 90 Werke verfasst hatte, wurden die Niederlande von den Deutschen besetzt. Erst 1943 entschloss sie sich, unterzutauchen, was natürlich auch das Ende des Komponierens bedeutete. Ihre Werke gerieten dadurch in Vergessenheit, erst in jüngster Zeit ist wieder eine verstärkte Rezeption zu beobachten.
Und mit jedem Land, das überfallen wurde (zunächst Dänemark, Norwegen, Beneluxstaaten, Frankreich) steigerte sich im faschistischen Staatsapparat die Diskussion um eine – noch – „territoriale Endlösung der Judenfrage“. Die Aufnahmekapazität im Generalgouvernement war überschritten, schon war man dazu übergegangen, auch ganze Städte in den neuen „Reichsgauen“ zu Ghettos zu erklären (z.B. die Stadt Lòdz). In diese Zeit (Sommer 1940) fiel dann u.a. der sog. „Madagaskar-Plan“, der vorsah, sich nach einem Friedensschluss die Insel Madagaskar von Frankreich abtreten zu lassen und dort ein riesiges Konzentrationslager für alle jüdischen Menschen Europas zu errichten, um so die „Judenfrage“ durch „natürliche Dezimierung“ zu lösen und gleichzeitig ein Millionen Heer an Geiseln als Druckmittel zur Erpressung der USA in der Hand zu haben.

Noch wagte sich das faschistische deutsche Reich nicht an die planmäßige Massenvernichtung. Noch war die Sowjetunion, dieser stärkste Gegner des Faschismus, nicht überfallen, noch war nur ein Teil Europas in den Klauen des deutschen Imperialismus.
Hirsh Glik

(1922-1944) kämpfte als jiddischer Dichter bei den Partisanen in Litauen. Im Juni 1941 wurde er mit seinem Vater zuerst in ein Arbeitslager, dann ins Ghetto Wilna deportiert. 1943 schloss er sich Partisanen an und wurde 1944, zusammen mit 8 Genossen, ermordet. Sein „Jiddisches Partisanenlied” erlangte bereits im Wilnaer Ghetto große Berühmtheit, die sich bei Juden in der ganzen Welt bis heute fortgesetzt hat.
Man darf nicht vergessen, dass bei allem, im wahrsten Sinne des Wortes, Größen“wahn“ und maßloser Überschätzung der eigenen Möglichkeiten der herrschenden Klasse und ihrem von ihr hochgepäppelten faschistischen Staatsapparat, die Kriegsstrategen die Kräfteverhältnisse soweit berücksichtigten, dass sie nach wie vor hofften, die imperialistischen Gegner England und USA durch die Aussicht auf eine Niederwerfung der Sowjetunion durch das deutsche Reich von einem direkten Gegenschlag auf dem Kontinent abhalten zu können.

Die Kunde oder auch nur ein um die Welt gehendes Gerücht, dass Millionen von jüdischen Menschen umgebracht werden, wäre bei dem Stand der Dinge wohl ein zu großes Risiko gewesen. Doch immer mehr liefen die ganzen Diskussionen auf Vernichtung des Gegners hinaus, waren die Maßnahmen gegenüber jüdischen Menschen von Vernichtung geprägt. Und – dass die Liquidierung ganzer Bevölkerungsgruppen, die in den Augen der Faschisten „unwertes Leben“ waren, also weder zur Vermehrung dieser doch so „wertvollen deutschen Rasse“ dienten, noch zur Ausbeutung oder Kriegsführung, durchaus zum Programm gehörten, zeigte der Versuch mit Beginn des Krieges, Kranke und Homosexuelle gezielt zu ermorden (Euthanasie).

Der Ãœberfall auf die Sowjetunion
- Beginn der planmäßigen Vernichtungsaktionen


Es wurde bisher kein schriftlicher Befehl Hitlers für die planmäßige Vernichtung jüdischer Menschen gefunden, wahrscheinlich wurde er auch nie schriftlich niedergelegt. Doch irgendwann im Frühjahr 1941, zu einer Zeit als die Faschisten neben der Tschechoslowakei, Polen, Dänemark Norwegen, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, und große Teile Frankreichs, auch noch Jugoslawien und Griechenland okkupiert hatten und sich nun stark genug fühlten, den Überfall auf die Sowjetunion konkret vorzubereiten, muss die oberste faschistische Führungsschicht zu dem Beschluss der Vernichtung übergegangen sein. Überliefert sind Befehle bereits vom März 41, alle auf dem Gebiet der Sowjetunion gefangen genommenen politischen Kommissare oder Geheimdienstoffiziere der Roten Armee unverzüglich zu erschießen (der sog. Kommissarsbefehl) und – weit darüber hinausgehend –, die „jüdisch-bolschewistische Führungsschicht“ auszurotten.18
Doch der Terror, mit dem ab dem 22.6.1941 die Faschisten über die Völker der UdSSR und vor allem über die jüdischen Menschen herfielen, überstieg diese Befehle weit.
Rose Ausländer

(1901-1988) wurde in Czernowitz, Hauptstadt der damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Bukowina, geboren. Ihre Familie gehörte zur deutschsprachigen jüdischen Bevölkerung der Stadt. Nach der Angliederung der Bukowina an Rumänien wanderte sie 1920 mit Ignaz Ausländer nach Amerika aus, wo sie u.a. als Redakteurin und Bankangestellte arbeitete. Dabei blieb sie stets journalistisch und schriftstellerisch tätig und veröffentlichte auch Gedichte. Nach der Trennung von Ausländer kehrte sie 1931 mit dem Schriftsteller Helios Hecht nach Czernowitz zurück und veröffentlichte 1939 ihren ersten Gedichtband. Im gleichen Jahr emigrierte sie wieder in die USA, kehrte jedoch wegen ihrer schwerkranken Mutter fast sofort wieder nach Czernowitz zurück. 1941 besetzten deutsche Truppen die Stadt, das jüdische Viertel wurde zum Ghetto, in dem Rose Ausländer den Lyriker Paul Celan kennenlernte. Es gelang ihr, der Deportation durch Untertauchen zu entgehen. Nach der Befreiung ging sie wieder in die USA und schrieb von nun an in englischer Sprache. Bei einer Europareise traf sie 1957 Celan wieder. 1965 entschloß sie sich, in Düsseldorf zu leben und veröffentlichte in rascher Folge weitere Gedichtbände, nun wieder in deutsch. 1971 zog sie ins Nelly-Sachs-Altenheim in Düsseldorf, in dem sie, schwerkrank, 18 Jahre verbrachte. Ihre Arbeiten wurden in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Das Massenmorden begann. „Der erste Mordeinsatz ereignete sich bereits am dritten Tag des ,Unternehmens Barbarossa’, als ein Kommando der Einsatzgruppe A in der litauischen Grenzstadt Garsden 201 Menschen, die meisten davon Juden, erschoß. In den nächsten Tagen und Wochen führten die Einsatzkommandos eine Vielzahl von Massenhinrichtungen an Juden durch, teils allein, teils in Zusammenarbeit mit örtlichen Hilfsgruppen.“19

Bald waren es unterschiedslos Männer, Frauen, Kinder, die zu Tausenden zusammengetrieben und ermordet wurden. Nun, da sich die Monopolherren, bei zunächst auch hier erfolgreicher Blitzkriegstrategie, so nah am Ziel ihrer alten Träume nach dem an Rohstoffvorkommen und Ölquellen so reichen Land sahen, spitzten sich mit grausamer Wucht die ganzen völkisch rassistischen und antisemitischen Strategien zur Absicherung der erreichten Größe zu. Die Herrschaft über ein Riesenreich, über viele Völker musste gegen jeglichen Widerstand aufrechterhalten werden, um die erreichten Positionen halten und die unermessliche Gier nach Weltmacht endlich befriedigen zu können. Es war ein absolut maßloses Unterfangen und entsprechend maßlos, gemessen an der gesamten Geschichte der Menschheit, waren die Methoden. Wie aus den Auseinandersetzungen um den „Generalplan Ost“ zu ersehen ist, hatten die faschistischen Okkupanten das Problem zu weniger deutscher „Herrenmenschen“ für die Unterdrückung der vielen Menschen des bisher eroberten und noch geplanten Herrschaftsbereiches.
Zu den Umsiedlungen, Evakuierungen, Zersplitterungen, Liquidierungen der Führungen, der Intelligenz, der Arbeiterbewegung, zu dem gesamten faschistischen Programm der Versklavung kam nun die planmäßige Vernichtung von Teilen der Bevölkerung, die in allen besetzten Ländern zu finden waren – der jüdischen Menschen – dazu. Angst und Schrecken verbreitend unter den Völkern, die durch diesen Terror eingeschüchtert und von jeglichem Widerstand abgeschreckt werden sollten, war die Vernichtung der Juden aber vor allem Teil der Strategie eines feindfreien Hinterlandes.
Und durch die faschistischen Verbrechen waren die jüdischen Menschen inzwischen auch real zu Feinden geworden. Denn ganz im Gegensatz zu der widerlichen Propaganda von der „Feigheit“ der Juden, kämpften sie nun überall, wo sich organisierter Widerstand regte, ob bei den Partisanen in Jugoslawien, in den Widerstandsgruppen in Frankreich, mit der Roten Armee, waren bei den sowjetischen Partisanen im Hinterland des Feindes oder bildeten eigene Partisaneneinheiten.

Der Anfang der Niederlage und der Übergang zur fabrikmäßigen Massenvernichtung

Itzhak Katzenelson

(1886-1944) war Dichter, Bühnenautor und Erzieher, lebte von 1939 bis April 1943 im Warschauer Ghetto und wurde von dort erst ins französische KZ Vittel, 1944 schließlich nach Auschwitz deportiert. Dort wurde er ermordet. Im Ghetto schrieb er für die Untergrundpresse und machte Bildungs- und Kulturarbeit. Als er von den Vernichtungsaktionen der Faschisten erfuhr, begann er, Klagelieder zu schreiben, in denen er zur Bestrafung der Deutschen als Nation aufrief.
Ende 1941/ Anfang 1942 nahm der Kriegsverlauf eine Wende. Mit dem hartnäckigen Widerstand der Roten Armee in der Winterschlacht um Moskau im Dezember 41 und damit dem Stocken des Vormarsches der Wehrmacht scheiterte die Blitzkriegstrategie. Das faschistische Japan, bereits zunehmend unter Bedrängnis durch den Widerstandskrieg des chinesischen und des vietnamesischen Volkes, nahm Abstand von seiner ursprünglichen Absicht, seinerseits die Sowjetunion zu überfallen, sodass die sowjetischen Rotarmisten von der Ostfront nun im Westen gegen die deutschen Besatzer kämpfen konnten. Außerdem war durch den Überfall Japans auf Pearl Habour (7.12.1941) auch der USA der Krieg erklärt worden, der nun tatsächlich die ganze Welt umfasste. Am 1.1.1942 verpflichteten sich 26 Staaten in der endlich zustande gekommenen Antihitlerkoalition gegen den faschistischen Block zu kämpfen. Um so dringender wurde für die deutschen Faschisten eine schnelle Absicherung des Hinterlandes gegen jegliche Störaktionen, frei von Feinden.
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Jüdische Partisanen aus Wilna, 1944. In der stehenden Reihe der 4. von rechts: Abba Kovner
Auf diesem Hintergrund ist wohl die streng geheim gehaltene Wannsee-Konferenz am 20.1.1942 zu sehen, in deren Folge die Faschisten dazu übergegangen sind, die Vergasungslager zu errichten. Was bereits ab Dezember 41 bei Chelmno in Polen mit der Ermordung tausender jüdischer Menschen durch LKW-Auspuffgase begonnen worden ist, wurde nun fabrikmäßig fortgeführt. Von da an waren Belzek, Treblinka, Sobibór, Majdanek, Auschwitz ... die Endstationen für Millionen jüdischer Menschen, die aus ganz Europa schlimmer als Vieh in Waggons getrieben wurden, um – nachdem jeder, der noch arbeitsfähig war, den Monopolen als Sklavenarbeiter zur Verfügung gestellt worden war – vernichtet zu werden.

„Jetzt, da sich Deutschland mit allen Großmächten, ausgenommen Japan, im Krieg befand, fielen angesichts des unabweisbaren Entweder-Oder, das im totalen Sieg oder in der totalen Niederlage des deutschen Imperialismus bestand, auch die letzten politischen und ideologischen Barrieren, die der grausamsten, vollständigen und kurzfristigen „Endlösung der Judenfrage“ im Wege gestanden hatten.
Es war letztendlich der Grundgedanke, die Weltgeschichte ganz unter den Stiefel des faschistischen deutschen Imperialismus treten zu können, der die auf der Wannsee-Konferenz vorgetragenen Entscheidungen zeitigte und ihre Verwirklichung leitete.
“20

Warum noch Massenvernichtung jüdischer Menschen angesichts der Niederlage?

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Gedenkstein für die von dem Kommunisten Herbert Baum geleitete Berliner Widerstandsgruppe, die hauptsächlich aus jüdischen Arbeitern bestand. Die Gruppe klebte Plakate und malte antifaschistische Parolen an die Wände. Schließlich setzte sie 1942 im Berliner Lustgarten die antisowjetische und antisemitische Hetzausstellung „Das Sowjetparadies“ in Brand. Die Rache der Nazis war furchtbar. Auf dem Gedenkstein ist das Alter der Ermordeten zu sehen.
Nach der durch die sowjetische Armee gewonnenen Schlacht um Stalingrad (Anfang 1943) wurde immer deutlicher, dass auch die Völker in den besetzten Gebieten sich den Weltmachtträumen des deutschen Finanzkapitals trotz aller barbarischen Maßnahmen der „Feindsäuberung“ nicht unterwerfen wollten. So hatten z.B. in Jugoslawien die Partisanen 1943 fast die Hälfte des Landes befreit, griechische Partisanen kontrollierten zu dieser Zeit ein Drittel ihres Landes, in Frankreich schlossen sich Ende 43 alle Kampforganisationen der Widerstandsbewegung zu einer einheitlichen Armee zusammen, im Warschauer Ghetto erhoben sich die Menschen im April 43, als sie in die Vernichtungslager von Auschwitz und Majdanek verschleppt werden sollten, zum Aufstand. Um so grausamer wüteten die Faschisten, um so höher stiegen die Mordraten in den Vernichtungslagern, um zu retten, was von dem Griff nach der Welt noch zu retten war.
Doch irgendwann im Laufe des Jahres 44, spätestens mit der Eröffnung der zweiten Front im Westen durch die Landung der Alliierten in der Normandie im Sommer 44, muss es auch den Faschisten klar geworden sein, dass dieser Krieg verloren war. Und nun ging es, trotz aller Propaganda, mit der noch Millionen als Menschenmaterial für den Sieg in die Schlachten geworfen wurden, nicht mehr vorrangig darum, das stetig kleiner werdende besetzte Hinterland zu sichern, sondern jetzt ging es den Faschisten auch darum, Vorsorge für die Zeit nach der Niederlage zu treffen – im Interesse derjenigen, die sie an die Macht gebracht hatten und für die dieser Krieg geführt wurde.
So, wie Wehrmacht und SS bereits beim erzwungenen Rückzug aus der Sowjetunion nur verbrannte Erde zurückließen, um dem verhassten Klassenfeind, dem Staat der Arbeiter und Bauern, das Leben nach dessen Sieg so schwer wie nur möglich zu machen, so trafen Reichssicherheitskräfte nun Maßnahmen, um zumindest eine zweite Novemberrevolution nach der Niederlage zu verhindern.

Unter dem Namen „Gitter“21 begann ab August 44 eine Verhaftungs- und Ermordungswelle noch lebender Funktionäre der Arbeiterbewegung, wie auch ehemaliger Repräsentanten demokratischer Parteien. Das erste Opfer dieses Terrors wurde Ernst Thälmann, der nach 11 Jahren Kerker diesen nur verlassen konnte, um hingerichtet zu werden. Das Deutschland nach der Niederlage, ja möglichst ganz Europa, soweit es noch in den Klauen des faschistischen deutschen Reiches war, sollte aller Kräfte beraubt werden, die dann eine Gefahr für das Überleben des deutschen Imperialismus darstellten.
Dazu gehörten aber zweifellos auch die jüdischen Menschen, dieser wahnhafte Feind des deutschen Faschismus, der nach all den unvorstellbaren Erfahrungen und Leiden längst zum realen Feind geworden ist. Während die Wehrmacht an allen Fronten auf dem Rückzug war, rauchten die Schlote der Vernichtungslager unaufhörlich. Vor den heranrückenden Armeen der Alliierten wurden die Menschen aus den Lagern getrieben und buchstäblich bis zur letzten Minute auf den Todesmärschen erschlagen, erschossen, dem Erschöpfungstod anheim gegeben.

Historiker, die nicht erkennen wollen oder können, dass der Faschismus durch das deutsche Finanzkapital an die Macht gebracht worden ist und in dessen Interesse handelte, selbst über seine eigene Niederlage hinaus, bringen immer wieder das Argument, dass die Verwendung von Zügen für die Deportationen jüdischer Menschen in die Vernichtungslager, statt für den Transport von Kriegsgerät und Soldaten an die Front gerade bei schwieriger werdender Kriegslage, ein Beweis dafür sei, dass der Krieg nicht für die Kriegsziele der Monopole, sondern für das Ziel Hitlers geführt worden ist, die Juden zu vernichten.
Zog nit keyn mol
Zog nit keyn mol az du geyst dem letstn veg,
Khotsh himlen blayene farshteln bloye teg.
Kumen vet nokh undzer oysgebenkte sho –
SÂ’vet a poyk ton undzer trot: Mit zayen do!

Fun grinem palmenland biz vayten land fun shney
Mir kumen on mit undzer payn, mit undzer vey.
Un vu gefaln iz a shprits fun undzer blut,
Shprotsn vet dort undzer gvure, undzer mut.

Dos lid geshribn iz mit blut un nit mit blay,
SÂ’iz nit keyn lidl fun a foygl oyf der fray.
Dos hot a folk tsvishn falndike vent –
Dos lid gezungen mit naganes in di hent!

Zog nit keyn mol az du geyst dem letstn veg,
Khotsh himlen blayene farshteln bloye teg.
Kumen vet nokh undzer oysgebenkte sho –
SÂ’vet a poyk ton undzer trot: Mit zayen do!
Sage nie, du gehst den allerletzten Weg,
wenn Gewitter auch das Blau vom Himmel fegt.
Die ersehnte Stunde kommt, sie ist schon nah,
dröhnen werden unsere Schritte: Wir sind da!

Vom grünen Palmenland bis weit zum Land voll Schnee
Kommen wir mit unsrer Pein, mit unserm Weh.
Und wohin ein Tropfen fiel von unserm Blut,
sprießen für uns neue Kräfte, neuer Mut.

Das Lied, wir schrieben es mit Blut und nicht mit Blei,
das ist kein Lied von einem Vogel froh und frei.
Es hat ein Volk gestanden zwischen Rauch und Brand,
das Lied gesungen mit den Waffen in der Hand.

Drum sage nie, du gehst den allerletzten Weg,
wenn Gewitter auch das Blau vom Himmel fegt.
Die ersehnte Stunde kommt, sie ist schon nah,
dröhnen werden unsere Schritte: Wir sind da!

Jiddisches Widerstandslied aus dem Ghetto Willna.
Text und Musik: Hirsch Glik
Deutsche Nachdichtung: Heinz Kahlau
Weil dies ein sehr häufiges Argument ist, hat Kurt Pätzold anhand der Transportberichte der Wehrmacht und der Reichsbahn untersucht, welchen Anteil die Transporte in die Vernichtungslager am gesamten Transportaufkommen der Reichsbahn den nun tatsächlich hatten. Dabei fand er heraus, dass 1942 täglich 25000 Züge gefahren sind und davon wöchentlich 7 bis 8 Züge für die Deportationen in die Vernichtungslager verwendet worden sind. „10 Eisenbahnzüge, die sich an einem beliebigen Kriegstag 1942 irgendwo in Europa bewegten, machten tatsächlich 0,004 Prozent der Gesamtzahl aller fahrenden Züge aus.“ Und er schlussfolgert daraus: „Keines der zahlreichen Probleme, die es während des Krieges von seinem Beginn bis zu seinem Ende gab, wurde durch die Forderung des RSHA (Reichssicherheitsamt; die Verfasser) für die Verwirklichung der „Endlösung“ wesentlich oder auch nur nennenswert verschärft oder hätte durch Verzicht gelöst werden können.“22

Nein, die Transporte in die Vernichtungslager bis zum Ende sind kein Beweis dafür, dass die Faschisten gegen die Interessen der Monopole ihre eigenen Ziele verfolgten und die Monopolherren gezwungene Mitläufer der Verbrechen waren, wenn nicht gar Opfer. Sie zeigen vielmehr, dass die Faschisten bis zum Schluss im Sinne der herrschenden Klasse handelten, indem sie nicht nur möglichst alle Zeugen ihrer unglaublichen Terrorherrschaft beseitigen wollten, sondern vor allem auch alle, die dieser Klasse nach der Befreiung gefährlich werden konnten.

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“
(Bertolt Brecht)

Zu den Rettungsmaßnahmen für die deutsche Monopolbourgeoisie trotz der abzusehenden Niederlage, gehörte auch die Ausarbeitung von Positionen für Friedensverhandlungen mit den imperialistischen Konkurrenten in einem geheimen „Arbeitskreis für Außenwirtschaftsfragen“ des Reichswirtschaftsministeriums im Herbst 1944. Als Beratungsgrundlage diente die Denkschrift „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündnis Europäischer Staaten“, verfasst von einem Herrn Dr. Richard Riedl, Aufsichtsratsvorsitzender der zu dem IG-Farben-Monopol gehörenden Donau-Chemie-AG. Angesichts der veränderten Kräfteverhältnisse fraß der Wolf vorsorgend nun wieder Kreide, um seinen Konkurrenten ein Weiterbestehen des deutschen Imperialismus schmackhaft zu machen. Während Europa noch unter den Schlachten ächzte, jeder Widersacher liquidiert wurde, jüdische Menschen voller Hast noch massenweise qualvoll an den Giftgasen starben, mit deren Herstellung IG-Farben seinen Profit in die Höhe trieb, plante jener Herr in zivilisierten Worten, stets die Souveränität aller Staaten betonend, die gesamte spätere EWG und dann EU voraus - bis hin zur Europabank und der Möglichkeit von Beitrittskandidaten – mit dem Ziel: „Schaffung eines auf den Zusammenschluss freier Nationen begründeten europäischen Großraums, der die Voraussetzungen für seine wirtschaftliche, politische und kulturelle Behauptung inmitten der anderen Mächte in sich trägt und bereit ist, freundwillig mit allen zusammenzuwirken, die gleiche Bereitschaft auch ihrerseits zeigen.“23

Trotz und wegen seiner ungeheuerlichen Verbrechen überstand das deutsche Finanzkapital die Niederlage. Eingeschränkt in seiner Handlungsfähigkeit durch die besonderen internationalen Bedingungen der Nachkriegsordnung und 45 Jahre lang zurückgestutzt auf Westdeutschland als Heimatbasis, änderte sich das Aussehen des deutschen Imperialismus, doch nicht sein Wesen. Seine Ziele, formuliert noch von einem faschistischen „Arbeitskreis für Außenwirtschaftsfragen“, die Beherrschung Europas als Ausgangspunkt für „die Behauptung inmitten der anderen Mächte“, blieben die gleichen. Er wurde wieder „wirtschaftlich potent, militärisch ein Zwerg“, wie ein Kommentator der SZ heute feststellt24, ein Zustand, den die Herrschenden gerade dabei sind, zu ändern. Wie und in welchen den jeweiligen Kräfteverhältnissen entsprechenden Formen mit dem deutschen Imperialismus auch der Antisemitismus überlebte, behandelt der Artikel „Der deutsche Antisemitismus heute“.

AG „Gegen den Antisemitismus“





Anmerkungen:
1 Siehe dazu: Kurt Pätzold: Von der Vertreibung zum Genozid, in: Dietrich Eichholtz, Kurt Gossweiler (Hg.): Faschismusforschung, Berlin 1980, S.181f.
2 W.I. Lenin: Über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler Trotzkis, Lenin Werke Bd.32, S.15
3 Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus, Bonn 1996, S.163
4 Diese Kriegszieleingaben sind nachzulesen in: Reinhard Opitz (Hg): „Europastrategien des deutschen Kapitals“, Bonn 1994
5 Dietrich Eichholtz: „Das Expansionsprogramm des deutsche Finanzkapitals am Vorabend des zweiten Weltkrieges“ in: Dietrich Eichholtz, Kurt Pätzold (Hg.): Der Weg in den Krieg, Köln 1989, S.4
6 Daniel Frymann (das ist Heinrich Claß): Wenn ich der Kaiser wär, Leipzig 1912, zit. nach Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus, a.a.O. S. 147
7 siehe dazu: Die Kriegszieldenkschrift des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß, in: Reinhard Opitz (Hg.): Europastrategien des deutschen Kapitals, a.a.O. v.a. ab S. 251
8 ebd. S.253
9 ebd. S.253
10 Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus, a.a.O. S.151
11 Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker, Taschenbuchausgabe 1998, S.123
12 Kurt Pätzold: Von der Vertreibung zum Genozid, a.a.O. S.190
13 siehe dazu Dietrich Eichholtz: Das Expansionsprogramm des deutschen Finanzkapitals am Vorabend des zweiten Weltkrieges; in: Dietrich Eichholtz, Kurt Pätzold (Hg): Der Weg in den Krieg, Köln 1989, S. 14 ff.
14 Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus, a.a.O., S.160
15 siehe dazu: Kurt Pätzold: Von der Vertreibung zum Genozid, a.a.O., S.186 ff.
16 Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus, a.a.O., S.162
17 Geheimer Sonderbefehl Hitlers mit Beginn des Ãœberfalls auf Polen, siehe ebd. S.169
18 Geheimer Sonderbefehl Hitlers mit Beginn des Ãœberfalls auf Polen, siehe ebd. S.169
19 Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker, a.a.O. S. 187
20 Kurt Pätzold: Von der Vertreibung zum Genozid, a.a.O. S.207
21 siehe dazu Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus, a.a.O. S.175
22 Kurt Pätzold, Erika Schwarz: „Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof“ Franz Novak – der Transportoffizier Adolf Eichmanns, Berlin 1994, S.104f. zit. nach: Kurt Gossweiler: Rückschau auf Begegnungen und Debatten; in: Manfred Weißbecker, Reinhard Kühnl (Hg.): Rassismus Faschismus Antifaschismus, Köln 2000, S.472
23 „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündnis Europäischer Staaten“, in: Reinhard Opitz (Hg.): Europastrategien des deutschen Kapitals, a.a.O., S.991
24 Hans Werner Kilz: Staatskunst in Kriegszeiten, Süddeutsche Zeitung vom 10./11.11.01, S.4




 
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