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Mitten zwischen uns ...

Hinter dem zweideutigen Titel Die Grundlagen des jüdischen Volkes - eine notwendige Abrechnung verbarg sich die antifaschistische Tarnschrift aus dem Jahr 1938, aus der wir hier Auszüge abdrucken. Wir sind auf dieses nicht sehr bekannte Dokument bei unseren Recherchen gestoßen. Seine Leidenschaftlichkeit wird wohl jeden, der noch menschlich fühlen kann, berühren. Was uns auch beeindruckt hat, war die Weitsicht, die hier ein Jahr vor Kriegsbeginn über den Zusammenhang zwischen staatlichem Antisemitismus und den Kriegszielen Nazideutschlands vorhanden war.
Wir sind aufgrund des Studiums der gesamten Tarnschrift der Ãœberzeugung, dass es sich um ein Dokument aus den Reihen der KPD handelt. Leider fehlte es uns an Zeit und Kraft, die Arbeit von Historikern zu machen und nachzuforschen, ob und welche Wirkungen diese Tarnschrift hatte.
Es war lebensgefährlich, solche Schriften zu verbreiten, aber wir wissen nichts über ihre Verbreitung.
Wir beschränken uns darauf, unseren Lesern mitzuteilen, dass diese Schrift uns auch heute noch viel zu sagen hat, dass wir sie nicht unter „abgeschlossenes Kapitel der Geschichte“ abheften können, sondern dass wir uns durch sie aufrütteln und belehren lassen müssen.

Arbeitsgruppe „Gegen Antisemitismus“
Menschen werden, weil sie jüdischer Abstammung sind, verhöhnt, besudelt, boykottiert, mißhandelt, erschlagen. Menschen, fühlende Wesen wie wir.
Hunderte deutscher Juden sind seit 1933 ermordet worden. Geschöpfe, Menschen wie wir.
Tausende wurden blutig geprügelt, grausam gefoltert, in die Konzentrationslager geworfen und geschunden. Ärzte, die uns oft aufopfernd gepflegt und geholfen haben, Wissenschaftler, Künstler, Anwälte, Geschäftsleute, Angestellte, Menschen wie wir.
Zehntausende wurden aus Ihren Berufen gestoßen, jedes Unterhaltes beraubt, schlimmster Not preisgegeben. Menschen mit Sorgen wie wir.
Hunderttausende, die 450.000 deutschen Juden, werden durch willkürliche Gewaltakte und noch willkürlichere „Gesetze“ völlig rechtlos und vogelfrei gemacht; sie werden vertrieben, ohne auswandern zu können; man läßt sie nicht bleiben und macht es ihnen unmöglich zu gehen und peinigt sie höllisch. Familienväter, Mütter, Greise und Kinder, Menschen wie wir.
Und diese Verfolgungen, diese Quälereien, diese Pogrome spielen sich in Deutschland ab, in unserem Deutschland, im 20. Jahrhundert, in unserem Jahrhundert. (...)

Barbarischer als Mittelalter und Zarismus

(...) Die Barbarei des Mittelalters, die Barbarei des Zarismus wird heute weit überboten durch die Judenverfolgung der Naziführer in unserm Lande. Mit niedrigsten Verleumdungen und raffiniertester Demagogie, mit gewalttätigen Pogromen und unmenschlichen „Gesetzen“ wütet die Hitler-Regierung gegen die Juden. (...)
Die Hitlerdiktatur wirft die deutschen Juden zwischen Vertreibung aus dem Lande ohne Existenzmittel und Verbleiben im Lande ohne Existenzmittel hin und her. Hitler peitscht sie so und so und durch die Pogrome grauenvoll in Vernichtung und Tod. So tief hat Hitler Deutschland erniedrigt, - unser Land, das einst als eines der kulturellsten Länder der Erde galt!

Kanonenkönig Krupp schluckt Blumenfeld, Bankkönig Busch den Bleichröder und auch Görings setzen mehr Speck an

(...) Hitler hat so oft erklärt, er mache einen Unterschied zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital und das letztere, das seien die Banken und das werde abgeschafft zum Wohle des Volkes. Nun gibt es eine solche Trennung zwischen Großindustrie und Großbanken überhaupt nicht, denn sie sind beide unlösbar verfilzt und sitzen gegenseitig in den Aufsichtsräten. Über dies sind es da wie dort nur die Arbeiter und Angestellten, die schuften und schaffen, und nur die Großaktionäre, die nichts tun und raffen. Nun, die Nazi-Oberbonzen sagten jedenfalls, es werde gegen die Juden vorgegangen, denn sie sind eben das „raffende Kapital“ und dem wird ein Ende gemacht. Sehen wir zu, was geschehen ist:
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© by Gruppe KAZ Großbildansicht 1.jpg (36.8 KB)
Die allermeisten Banken in jüdischen Händen wurden liquidiert. Wer übernahm sie? Das Volk? Keine Ahnung.
Die jüdischen Bankhäuser Bleichröder und Gebrüder Arnhold wurden von der Dresdner Bank gefressen, das heißt, von deren Beherrschern, dem Kanonenprinzen Krupp jun., dem Trustkönig Flick, dem Hamburger Millionär Senator v. Berenberg-Goslar, dem Versicherungsmagnaten Kiszkalt und den Großbankiers Busch, Dr. Meyer, Schippel und Rasche. Ist das das Volk?
In der Berliner Handelsgesellschaft, der drittgrößten Bank Deutschlands, wurden die Juden Jeidels, Warburg und Fürstenberg entfernt. Das „raffende Kapital“ rafft aber weiter durch seine Aufsichtsräte AEG-Direktor Bücher, Kruppdirektor Klotzbach und - den neu hinzugekommenen Bruder Görings, Herbert Göring, der nebenbei noch fette Bezüge aus seinem Aufsichtsratsposten in der Deschimag und Allgem. Deutschen Kredit-Anstalt Leipzig und als hoher Beamter des Reichswirtschaftsministeriums einsteckt.
So sieht auch die „Arisierung“ beim „schaffenden“ Kapital aus:
Krupp hat die Reederei Blumenfeld, Hamburg, an sich genommen, der Stumm-Konzern die jüdische Eisengroßhandlung Ettlinger, Karlsruhe, und der Mannesmann-Konzern die Metallwerke Wolff, Netter & Jacoby und die Röhrenwerke samt dem dazugehörigen Lübecker Hochofenwerk verschlungen. Der Multimillionär Henschel (Lokomotiven) hat seiner Mutter die Segeltuchweberei von Fröhlich & Wolff in die Handtasche gesteckt.
Die „Arisierung“ der Banken, Warenhäuser und Industriewerke ist nichts anderes als ein Fischzug der größten Industrie- und Bank-Konzerne. Die mächtigsten Großbanken und mächtigsten Großindustriellen Krupp, Flick, Mannesmann haben einen schönen Raub gemacht, sind noch mächtiger geworden und häufen noch tollere Profite in ihren Geldsack.

Hat das Volk was bekommen? Nichts.
Geht es vielleicht den Arbeitern besser und ihre Löhne wurden erhöht? Sie werden weiter und noch mehr ausgebeutet und niedrig entlohnt.
Haben die Bauern einen Nutzen? Die Industriewaren sind nicht billiger, eher teurer geworden, die Kredite sind schwerer zu bekommen als bisher und die Zinsen sind hoch.
Die Mitteständler? Die Warenhäuser ruinieren sie unentwegt weiter. Die Zinsknechtschaft ist geblieben und es wird nicht genug gekauft, weil die Massen unter Hitler wenig verdienen.
Und die freien Berufe? Blüht es bei den Ärzten und Anwälten und Künstlern, seit Hitler ihre jüdischen Kollegen verjagt hat? Im Gegenteil, es wird schlechter, weil es allen unter dem Nazi-Regime schlechter geht.
Die Judenverfolgung hatte den Zweck, ein Häuflein allerreichster Kanonenkönige und Bankfürsten noch reicher zu machen. Noch stärker wurden damit die Ausbeuter und Erzfeinde des Volkes. (...)
Hitlers Judenverfolgungen führen das deutsche Volk in die Dschungel der Konzern-Tiger und der Bank-Hyänen - und zu alledem in das Unglück eines neuen Weltkrieges.

Krieg den „verjudeten“ – Frankreich – Tschechoslowakei – Spanien – England – USSR – Amerika

(...) Hitler und seine Kumpane bezeichnen seit jeher die demokratischen Staaten und alle Staaten, gegen die sie Krieg vorbereiten, als „verjudet“. Die Judenhetze dient als Stimmungsmache für den Krieg.
„Was Frankreich“ – so erklärt Hitler in „Mein Kampf“ – „angespornt durch eigene Rachsucht planmäßig geführt durch den Juden heute in Europa betreibt ist Sünde wider den Bestand der weißen Menschheit.“ Und er folgert daraus: „... endgültige aktive Auseinandersetzung mit Frankreich ... Vernichtung Frankreichs.“ (...)
Die Tschechoslowakei wird von Nazi-Bonzen als Ausbund der „Verjudung“ dargestellt. Der „Stürmer“ (Nr. 27/1934) bezeichnete den Präsidenten Massaryk, einen Bauernsohn, als „halbjüdischen Greis“, von dem man nicht wisse, ob er nicht „der uneheliche Sohn eines polnischen Juden“ sei. Der „Völkische Beobachter“ (12. Juli 1938) offenbart noch mehr:
„Mit den ‚guten Tschechen’ hat es allerdings eine besondere Bewandtnis, denn der Volkszugehörigkeit nach sind, mit Ausnahme sehr weniger, allerdings hochgestellter Herren, fast alle Drahtzieher Juden.“
Tod den Juden, also Tod der „verjudeten“ Prager Regierung, die das Sudetengebiet nicht hergibt, also Kriegseinmarsch in die Tschechoslowakei - das ist der Zweck der antisemitischen Übung.
[file-periodicals#6.pdf]Die spanische Republik wird selbstredend von „jüdischen Bolschewisten“ beherrscht, der Name des spanischen Ministerpräsidenten Negrin klingt wie Nathan und der des katalanischen Präsident Companys wie Cohn; weshalb Hitler gemeinsam mit Francos Marokkanern Krieg gegen Spanien führt, durch seine Geschwader offene Städte bombardieren, Kinder und Frauen zu tausenden zerfetzen läßt und das spanische Erz den „Ariern“ Krupp und Flick zuführt.
England? Auch „verjudet“: „Kein Land Europas“ - so wütet der „Stürmer“ (Nr. 12/1934) „wird so von Juden beherrscht wie England und ahnt es so wenig ... Die Königin Victoria I hütete sorgfältig die Dokumente, die ihre Abstammung vom König David beweisen sollen.“ Besser als Wilhelms „Gott strafe England“, hofft Hitler, mit dieser blöden antisemitischen Hetze eine Kriegsstimmung im Volke gegen England zu schüren.
Die Sowjetunion, dieses mächtigste Bollwerk des Friedens ist der Hauptgegenstand der judenfeindlich verbrämten Kriegstreiberei. In „Mein Kampf“ wird proklamiert: „Das Ende der Judenherrschaft Rußlands wird auch das Ende Russlands als Staat sein.“ Es folgt die Predigt eines Kriegszuges „gen Osten“ mit dem Ziele des Raubes der Ukraine, der Krim, des Urals und weiterer Sowjetgebiete. Das ist die Kehrseite der Lügenhetze gegen den „jüdischen“ Bolschewismus.
Amerika – der reinste „Judenstaat“. Naziblätter ergehen sich in Andeutungen, daß Roosevelt ein verdächtig jüdisch klingender Name sei und der „Angriff“ weiß vielsagend zu berichten, daß des Präsidenten Neffe mit Vornamen Daniel heißt. (...)
Hitlers Judenhaß ist eine seiner Tarnkappen für die Intervention gegen Spanien, für einen Überfall auf die Tschechoslowakei, einen Krieg gegen Frankreich, England, die Sowjetunion. Amerika, für einen neuen verhängnisvollen Weltkrieg.
(...)
Die mittelalterlichen Bestialitäten kennzeichnen die Tyrannenherrschaft Hitlers.
In der kommenden deutschen demokratischen Republik wird es keine Pranger und Pogrome, keinerlei Raubzüge des Finanzkapitals und keinen Rassenhaß, sondern Freiheit für das ganze Volk und Frieden für das Land geben.
Deutsche! Jeder Schlag Hitlers gegen die Juden ist zugleich ein Hieb gegen Euch alle. Jeder Schlag zieht fester die Ketten auch um Eure Glieder. Jeder Schlag rückt näher das von den braunen Bonzen gewollte neue Kriegsgemetzel.
Laßt uns alle die Botschaft erfüllen, die der Freiheitssender 29,8, der Sender der Deutschen Volksfront uns in den fluchwürdigen Pogrom-Tagen Hitlers kündete:
„Achtung, Achtung!
Kein deutscher Arbeiter, kein anständiger Deutscher darf sich dazu hergeben, an der schändlichen Judenhetze der braunen Bonzen teilzunehmen. Erinnert Euch an den Ausspruch von August Bebel: „Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls!“ Die braunen Bonzen wollen Euch dumm machen, sie wollen von ihren Sünden, von ihrer Korruption, von ihrer Kriegshetze, von ihren Schweinereien ablenken. Das war immer das Mittel der Reaktion. So hat der Zarismus gehandelt. Je mehr das Volk unter dem Druck stöhnt, desto größer die Judenhetze. Je stärker die braunen Bonzen zum Krieg treiben, desto stärker die Judenhetze. Je größer die Korruption zum Himmel stinkt, desto größer die Judenhetze.
Sich der barbarischen Judenhetze entgegenstellen, heißt den Nationalsozialismus bekämpfen, heißt die Verhetzten aufklären, heißt den deutschen Namen, der durch diese Barbareien in der ganzen Welt geschändet ist, reinwaschen von dem Schmutz und Unrat der braunen Judenhetze. Seid solidarisch mit den Juden, wie jeder solidarisch sein muß mit allen Opfern des Nationalsozialismus. Laßt nicht zu, daß ehrliche jüdische Männer, Frauen und Kinder wie Hunde behandelt werden. Denkt daran, daß es in der Geschichte immer Gerechtigkeit gab: wie ich heute Menschen behandle, so werde ich behandelt werden, wenn es zur Abrechnung kommt.
(...) Die Juden sind Menschen wie wir. Nur mittelalterliche braune Rassenhetze versucht die Juden als Menschen zweiter Klasse darzustellen. Sie leiden wie wir, sie haben ihre Sorgen wie wir. Sie müssen sich in ihrer großen Masse genau so schwer durchs Dasein schlagen wie wir. (...)
Schluß mit der Schande der Judenhetze in Deutschland! Alle anständigen Deutschen und voran die deutschen Arbeiter treten solidarisch auf gegen diese abscheuliche Barbarei: im. Interesse der Gerechtigkeit, im Interesse der Menschlichkeit, im Interesse der deutschen Ehre in der Welt, im Interesse Deutschlands!“


Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung aus der KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung Nummer 300, Januar 2002, entnommen.


 
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