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„Die Versöhnung mit den Mördern ist zur Norm geworden, was das Heranwachsen einer neuen Generation von Mördern bedeutet. Wir werden deshalb dafür sorgen, dass die Vergeltung unvergessen bleibt und mehr als Rache ist. Sie wird zum Gesetz des ermordeten jüdischen Volkes.”

Was kann jemand tun, dessen Familie, Freunde, beinahe alle, die ihm etwas bedeutet haben, umgebracht wurden? Er kann sich so schnell wie möglich vom Ort des Grauens entfernen und versuchen, irgendwie und irgendwo neu anzufangen; oder er beschließt, dass die Mörder nicht ungeschoren davonkommen werden und nimmt es selbst in die Hand, sie dafür bezahlen zu lassen. Genau das war die Motivation der jüdischen Rächergruppe Nakam, die im Nachkriegsdeutschland Nazis verfolgte und verurteilte – was in vielen Fällen das Todesurteil bedeutete; Freisprüche gab es allerdings tatsächlich auch.
Jim G. Tobias, Peter Zinke:
Nakam – jüdische Rache an NS-Tätern.
konkret Literatur Verlag 2000
ISBN: 3-89458-194-8, 26,80 Euro.

[Anm. der secarts.org-Redaktion: das Buch ist nach wie vor im Buchhandel erhältlich; u. a. bei www.amazon.com ab 5 € / gebraucht.]
Enttäuscht und wütend über die Justiz, die nur darauf bedacht schien, die 12 Jahre Faschismus möglichst schmerzlos verschwinden zu lassen, blieb den Nakam – Aktivisten aus ihrer Sicht gar keine andere Wahl. Sie wollten und konnten nicht vergeben, schon gar nicht der deutschen Bevölkerung, deren Aktivität sich nach dem verlorenen Krieg hauptsächlich auf Jammern und Wehklagen über die schlechte Versorgungssituation beschränkte. Als ein Gruppenmitglied sich in Nürnberg ein Zimmer nimmt, um von dort aus Aktionen planen zu können und der Wirtin einen (gefälschten) Ausweis mit dem angeblich polnischen Namen „Maim” vorlegt, bekommt er zu hören: „Das klingt ja fast wie das jüdische ‚Chaim‘! Aber zum Glück hat von dem Judenpack ja fast niemand überlebt.”

Solche und viele ähnliche Erfahrungen werden es gewesen sein, die zum Entschluss der Nakam – Gruppe beitrugen, nicht nur einzelne Nazis zu bestrafen, sondern das gesamte deutsche Volk. Abba Kovner, einer ihrer Gründer, hielt Ende März ‘45 vor seinen Kameraden eine Rede, in der er dies begründete: „Es kann nicht sein, dass sechs Millionen Juden vernichtet wurden und diese Menschen von niemandem gerächt werden. Die Juden schrieben mit ihrem Blut an die Wände der Gaskammern: Rächt uns! Es ist die Pflicht von uns Übriggebliebenen, diese Rache durchzuführen. Das ist keine persönlich Rache, sondern die Rache eines Volkes an einem anderen. (...) Wenn keine Strafe vom Himmel kommt, wird sie von hier, von der Erde kommen. Sechs Millionen für sechs Millionen.”

Infolge dieses Beschlusses wurde z.B. der Plan gefasst, das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten zu vergiften. Da die Rächer bei anderen jüdischen Organisationen, die sich vorrangig mit dem Aufbau Israels beschäftigten, meist auf wenig Verständnis oder sogar offene Ablehnung stießen, wurde dieser Plan jedoch vorher verraten und kam so nicht zur Ausführung.

Die Autoren haben vor einigen Jahren Aktivisten in Israel besucht, von denen einige in Kibbuzim leben. Einigen war es mehr, anderen weniger unangenehm, über ihre Verhgangenheit zu sprechen, doch sie bereuen sie nicht, einer stellt klar, er „würde alles so oder ähnlich wieder machen.” Für die Frau eines ehemaligen Nakam – Kämpfers, eine ehemalige polnische Zwangsarbeiterin, sind die beiden Autoren die ersten Deutschen, die sie seit 1945 trifft. Sie erzählt, dass ihre gesamte Familie vergast wurde und sie die „Entschädigungszahlungen” Deutschlands wütend abgelehnt habe. Ihr Mann, so die Autoren, „beendet das Interview mit dem Satz: ‚Ich hasse alle Deutschen sehr.‘ Dann laden er und seine Frau uns zum Abendessen ein.”


Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung aus der KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung Nummer 300, Januar 2002, entnommen.


 
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