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Nach 2000 und 2006 hat Hugo Chávez seine dritte Wiederwahl als Präsident Venezuelas geschafft. Mit 55,1 Prozent lag er klar vor dem gemeinsamen Kandidaten der bürgerlichen und Rechtsparteien, Henrique Capriles, der auf 44,3 Prozent kam; vier weitere Kandidat/inn/en bekamen zusammen 0,6 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 80,7 Prozent in Rekordhöhe.

Gegenüber dem Dezember 2006 steigerte Chávez, der seit seiner ersten Wahl 1998 auch von der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) unterstützt wird, sein Stimmenpotential um weitere 900 000 auf wohl über 8,2 Millionen, verlor aber knapp acht Prozentpunkte. 18,9 Millionen Menschen waren wahlberechtigt.
Systemrelevantes

Was wären wir ohne unseren Guido? Der Bundesaußenminister hat seine Gratulation für Hugo Chávez mit der Erwartung verbunden, er müsse nun "Verantwortung für Venezuela übernehmen". Wenn Verantwortungsübernahme erst nach fast vierzehn Jahren Regierungszeit beginnt, kann demnach in diesem Leben niemand mehr eine verantwortliche Politik von der FDP erwarten. Hatte aber auch niemand im Sinn. Auch nichts Neues aus Brüssel: die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mahnte Chávez "allen Teilen der Gesellschaft die Hand zu reichen" und heuchelte gleichzeitig Freude über die hohe Wahlbeteiligung. In der Tat kommen selbst EULänder mit Wahlpflicht wie Belgien oder Luxemburg kaum auf solche Werte; wären achtzig Prozent Wahlbeteiligung Standard und würden die europäischen Armen für ihre Interessen Partei ergreifen wie ihre venezolanischen Klassenbrüder und -schwestern, dann müssten Wahlen hier im Interesse der systemrelevanten Kräfte, also der Banken und Konzerne, entweder verboten werden oder grundsätzlich allenfalls unter der Prämisse von höher stehenden Troika-Entscheidungen stattfinden.

Die systemrelevanten Kräfte in Venezuela sind jedenfalls andere: diejenigen Menschen, auf die sich Hugo Chávez stützt und die wiederum ihn stützen. Das heißt hier deswegen Populismus; vermutlich auch aus wirklicher Furcht, weil Chávez richtigerweise von einer Richtungsentscheidung zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Modellen spricht. Sein Modell ist trotz aller Bemühungen und mancher zählbarer Erfolge andererseits aber auch weit davon entfernt Sozialismus genannt werden zu können. Das weiß wohl auch Hugo Chávez, weshalb er sein Projekt nach der ursprünglichen Suche nach einem "dritten Weg", nach dem "bolivarianischen Prozess", nach "Sozialismus des 21. Jahrhundert", nach dem "Aufbau des Sozialismus" nun wieder neu benennt: "demokratischer und bolivarianischer Sozialismus" heißt es jetzt.

Entscheidender als das Etikett ist jedenfalls der Inhalt, also, was real geschieht - und Sozialismus ist nicht zu fühlen, sondern ein wissenschaftlich an den Besitzverhältnissen messbares Ergebnis einer Politik der Umverteilung. Aber auch wenn in dieser Hinsicht im bolivarianischen Venezuela noch Vieles zu wünschen übrig bleibt, steht doch auf Hugo Chávez´ Habenseite, dass nicht einmal ein Vierteljahrhundert nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus das Gespenst zwar nicht wirklich wieder umhergeht, aber zumindest anderenorts Laute von sich gibt. Während wir hier im Dunkeln seinem Schatten nachjagen.

Günter Pohl
Die am vergangenen Sonntag zusätzlich abgegebenen Stimmen gingen mit einem Plus von 2,350 Millionen (auf mehr als 6,6 Millionen) gegenüber dem Ergebnis von Manuel Rosales vor sechs Jahren überwiegend an Capriles, der im Wahlkampf zwar gegen "Misswirtschaft und Korruption" wetterte, aber zumindest offiziell für den Siegfall versprach, die sozialen Leistungen beizubehalten - ein indirektes Eingeständnis der Erfolge der bolivarianischen Regierung: die Armutsrate wurde halbiert, was bei den ursprünglich hohen realen Zahlen weltweit zu den Sonderfällen gehört.

Elf Parteien und Gruppierungen hatten die regierende "Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas" (PSUV) unterstützt, die selbst knapp 43 Prozent der Stimmen holte. Die PCV trug dabei mit knapp 500 000 Stimmen (3,3 Prozent) den größten Anteil zum Sieg bei; die anderen Unterstützerparteien schafften zwischen 0,3 und 1,5 % der Stimmen. Innerhalb des Oppositionslagers aus achtzehn Gruppierungen waren nur drei Parteien stärker als die Kommunisten. Wenn auch der Sieg von Hugo Chávez deutlich knapper ausfiel als 2006, blieben die offenbar als sich selbst erfüllende Prophezeiungen gedachten "Prognosen" eines knappen Wahlausgangs reines Wunschdenken der Opposition und in- und ausländischer Medien. Wäre es dazu gekommen, hätte - so Befürchtungen aus dem Regierungslager - ein Nichtanerkennen des Ergebnisses durch Capriles für bewaffnete Aufstände genutzt werden können. Die sofortige Anerkennung der Niederlage durch Henrique Capriles ließ solche Pläne letztlich Makulatur werden. Erst nach den Wahlen gaben auch Vertreter konservativer europäischer "Think Tanks" am Montag zu, dass es in kaum einem Land so schwer wie in Venezuela sei, die Wahlen zu fälschen, da zu der elektronischen Stimmabgabe jeweils auch die auf Papier komme und durch das Wahlamt jeweils große Kontrollzählungen der Voten vorgenommen würde. Nichtsdestotrotz waren Fälschungen durch die Regierung Venezuelas durch internationale Medien im Vorhinein als für mehr oder weniger geplant erklärt worden.

Der Präsident setzte sich in zwanzig der 23 Bundesstaaten sowie im Hauptstadtdistrikt durch. Durch den Sieg kann Hugo Chávez nach der Verfassungsänderung von 2009 nun bis 2019 regieren. Bei den Parlamentswahlen im September 2010 hatte die PSUV, der Chávez vorsteht, mit 92 der 162 landesweit gewählten Abgeordneten ebenfalls eine klare absolute Mehrheit geholt. Damit kann der Kurs antineoliberaler Politikansätze weitergehen. In seiner ersten Rede nach Bekanntgabe des Sieges sagte Chávez: "Venezuela wird weiterhin in Richtung demokratischer und bolivarianischer Sozialismus des 21. Jahrhunderts gehen!" Die Ankündigung einer massiven Steigerung der Erdölförderung um ein Viertel in den nächsten zwei Jahren deutet darauf hin, dass das bolivarianische Projekt weiterhin weitgehend ohne Enteignungen privaten Kapitals und andere Umverteilungen vor sich gehen soll, denn die Öleinnahmen haben schon bisher die umfangreichen Sozialprojekte im Bereich Bildung, Wohnungen und Gesundheit gedeckt. Deren geplante Ausweitung wird eine Fortführung der Sozialausgaben garantieren können.


 
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