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"Freiheit!" Die würgende Schlinge des Henkers erstickte den trotzigen Bekenntnisschrei, mit dem Koloman Wallisch vom Leben Abschied nahm. Ungeduldig hatte die Wiener Regierung beim Leobener Gericht angefragt, warum die Verhandlung gegen Wallisch so lange dauere, warum er noch nicht zum Tode verurteilt sei. Das war um sieben Uhr abends am 19. Februar 1934. Der fragende, drängende Bundeskanzler brauchte nicht mehr lange zu warten. Um acht Uhr vierzig Minuten wurde das Todesurteil verkündet. Um elf Uhr vierzig Minuten wurde Wallisch hingerichtet.
Der Hass der Besitzenden, der Hass der Reaktionäre, der ihn viele Jahre lang verfolgte, hatte sein Ziel erreicht.

Warum dieser Hass?
Großbildansicht wallisch.jpg (48.3 KB)
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Koloman Wallisch (1889-1934), nach der Niederschlagung der Unruhen im Februar 1934 zum Tod verurteilt. Das Bild zeigt Koloman Wallisch zwei Stunden vor der Vollstreckung des Todesurteils im Gefängnis in Leoben (19.02.1934).
Als ungarischer Bolschewik war Koloman Wallisch verschrien. Er habe, so wurde behauptet, während der ungarischen Rätezeit Todesurteile verhängt. Er sei, so sagte der Staatsanwalt des Leobener Standgerichtes, durch Jahre ein Schrecken des steirischen Oberlandes gewesen, eine Gefahr für jeden anständigen Bürger. Er habe mit Gewalt und Bürgerkrieg gedroht.
Aber Koloman Wallisch war nie Kommunist, er hat nie Menschen zum Tode verurteilt und er hat nie zum Bürgerkrieg gehetzt. Er hat — und das stempelte ihn in den Augen der Besitzenden zum Verbrecher — mit großem Erfolg die Arbeiter organisiert, in Ungarn, in Jugoslawien, in der Steiermark und mit Geschick und Umsicht für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter gewirkt. Er hat freilich auch die Abwehr der Arbeiter gegen den Faschismus, ihren Kampf für die Erhaltung der Demokratie organisiert. Das war Organisierung der Verteidigung der Verfassung, die auch von jener Regierung beschworen war, die die faschistischen Heimwehren großgezüchtet und seit Jahr und Tag die Verfassung gebrochen hatte!
Koloman Wallisch' Leben war das Leben eines Vertrauensmannes der Arbeiter in bewegter Zeit und war also das Leben eines Gehetzten und Gejagten, eines dauernd vom Hass der Besitzenden Bedrohten.

Das war Kolomans Leben:
All die Härten der Lehrzeit, die ein Bauarbeiterlehrling erdulden musste in einer Zeit, da man sich um Lehrlingsschutz noch wenig kümmerte. Wanderjahre dann, Mitarbeit in der Organisation, bald Überbürdung mit vielen Funktionen, Parteisekretär in Szegedin, während des Krieges gleichzeitig Kaderfeldwebel und Parteisekretär in Szegedin, Organisator eines Streiks — als Soldat — und deswegen Verhaftung und Verwicklung in ein militärgerichtliches Verfahren, das mit dem Abschub an die Front endet. Nach dem Zusammenbruch des Krieges wieder Parteiarbeit in Szegedin, Teilnahme an der ungarischen Revolution, nach dem Sturz der Räteregierung abenteuerliche Flucht nach Jugoslawien. In Marburg wieder Parteiarbeit, wieder Organisierung der Arbeiter und bald wieder verfolgt wegen eines Streiks, den er nicht gewollt. Vieltägiges Verbergen in einem Versteck, dann auf Schmugglerpfaden Flucht nach Österreich. Die zweite Emigration! Der zweite Zusammenbruch des bescheidenen Heimes! In der Steiermark zuerst in Fürstenfeld, dann in Brück an der Mur und zuletzt, freilich nur wenige Monate, in Graz Parteisekretär. Am 12. Februar 1934 die Fahrt nach Brück zu den Arbeitern, denen er versprochen hatte, er werde in der Stunde der Gefahr bei ihnen sein. Fahrt in den Tod...

Koloman Wallisch fuhr nicht als zuversichtlicher, siegesgewisser Revolutionsführer nach Brück. Er ging in einen Kampf, den er selbst für wenig erfolgreich hielt. Aber er suchte die Brucker Arbeiter, wie er es versprochen, in der Stunde der Gefahr auf, um bei ihnen zu sein, wie er es für seine Pflicht hielt.
Auch Koloman Wallisch war „von der Parteien Gunst und Hass umgeben". Aber sein Charakterbild wird in der Geschichte nicht schwanken! Denn eindeutig waren Liebe und Hass verteilt. Die Arbeiter liebten ihn, er war der bekannteste, volkstümlichste, den Arbeitern vertrauteste Führer des Proletariats in der Steiermark. Die Besitzenden hassten ihn. Nicht etwa, weil er ihnen etwas getan hätte! Er hat nie jemandem ein Leid zugefügt Die Besitzenden hassten ihn, weil er der Organisator der Arbeiter und ihr geliebtester Vertrauensmann war. Das Bürgertum brauchte eine Verkörperung seines Hasses. Es hasste in Koloman Wallisch die aufsteigende, die freiheitssehnsüchtige, kulturhungrige, die die Vorherrschaft der Besitzenden bedrohende Arbeiterklasse. Weil es in Koloman Wallisch die Verkörperung des Sozialismus sah, verfolgte es ihn mit so glühendem Hass, mit einem über das Grab hinausreichenden Hass.

[file-ebooks#44]Die Liebe der Arbeiter hat diesen Hass tausendfach aufgewogen, die Liebe der Arbeiter der Steiermark und vor allem der Arbeiter von Brück an der Mur. Auch diese Liebe reicht über das Grab hinaus. Diese Liebe ist seit Kolomans Tod gewachsen, sie hat Tausende und aber Tausende Herzen erobert. Zum Grabe des Soldaten der Revolution wandern die Gedanken von Millionen Arbeitern in aller Welt.
Den Arbeitern, für die er gekämpft hat und für die er gestorben ist, will ich vom Leben und Sterben des Arbeiterführers Koloman Wallisch erzählen. Wahrheitsgetreu will ich
das Leben dieses aufrechten, revolutionären Sozialisten schildern. Ich muss dabei auch sehr viel von meinen Erlebnissen berichten. Ich habe mit meinem geliebten Mann neunzehn Jahre in glücklichster Ehe gelebt. Aber ich war nicht nur seine Frau, ich war auch seine Genossin und seine Mitarbeiterin. Neunzehn Jahre Ehe mit Koloman Wallisch — das waren auch neunzehn Jahre Parteiarbeit, neunzehn Jahre Kampf für den Sozialismus. Meine Parteitätigkeit war auf das engste verbunden mit seiner Arbeit.

Wenn ich auch als Sozialistin Gegnerin jedes Personenkultes bin, da ich weiß, dass Zehntausende, deren Namen nie genannt werden, nicht minder Großes leisten, nicht minder schwere Opfer bringen als jene, die als Führer bekannt werden, so glaube ich doch sagen zu dürfen, dass Koloman Wallisch ein Denkmal verdient, ein Denkmal solcher Art, wie ich es ihm durch dieses Buch schaffen will. Denn in ihm waren die besten Eigenschaften der Arbeiterklasse Gestalt geworden: unerschütterliche sozialistische Überzeugung, Fleiß, Treue, Hingabe an die Idee und Opferbereitschaft. Wenn diese einfache Lebensgeschichte eines einfachen proletarischen Kämpfers mit dazu beitragt, die sozialistische Idee in den Herzen und Hirnen Wankelmütiger zu festigen, wenn sie dem Sozialismus neue Bekenner und neue Streiter zuführt, dann wird mein Buch zu jenem Denkmal werden, das ich mir für Koloman Wallisch wünsche.


Aus: Paula Wallisch, Ein Held stirbt, Verlag der sozialistischen Partei – Landesleitung Steiermark, 1946


 
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