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Der gelegentlich belächelte Werbeslogan der Stadt Karlsruhe "Karlsruhe - viel vor. viel dahinter." ist im Begriff, eine ganz neue Bedeutung zu erlangen. Es gibt konkrete Anzeichen dafür, dass Karlsruhe zu einem zivil-militärischen Komplex für Grundlagen- und Projektforschung ausgebaut werden soll. Die bekannt gewordenen Puzzlestücke dieses sich entwickelnden Komplexes werden hier erstmals zusammengesetzt. Dadurch kommen überraschende Details und personelle Verflechtungen einer brisanten Forschungsstrategie zu Tage.

Kernstück des Komplexes ist das Karlsruhe Institute of Technology (KIT), das aus einer Zusammenlegung von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe entsteht. Das KIT-Gesetz soll Mitte 2009 in Kraft treten. Mit der von vielen geforderten Zivilklausel (Verzicht auf Militärforschung) würde der Militarisierungstendenz merklich entgegengewirkt. Die zerstörerische Wirkung einer exzessiven Orientierung der Wissenschaft auf militärische Zwecke ist selbst in den Vereinigten Staaten realisiert worden, wie der Amtsantrittsrede Barack Obamas vom 20. Januar zu entnehmen ist. Er will der Wissenschaft wieder den ihr zukommenden Platz zuweisen, zum Beispiel zum Nutzen des Gesundheitssystems.


Die sieben Puzzlestücke

  • Militärforschung "SDR" an der Uni Karlsruhe - Kampf um die Zivilklausel für das KIT-Gesetz
  • Ministerin Schavans zivil-militärisches Sicherheitsforschungsprogramm
  • Fraunhofer-Verbund Verteidigungsund Sicherheitsforschung VVS - Karlsruher Kommunikationsplattform, "Future Security"
  • Fusion Fraunhofer IITB Karlsruhe mit dem Militärforschungsinstitut FGAN-FOM Ettlingen
  • Forschung und Lehre militärisch - Professores Jondral und Tacke am INT der Uni - Carl-Cranz-Gesellschaft
  • Nanotechnologie und KIT-Vorbild MIT - Massachusetts Institute of Technology / Institute for Soldier Nanotechnologies
  • Verplappert - ministerielle Protokoll"korrektur" nach unerwünschter Offenheit Im Kontext mit den Puzzlestücken wird aufgezeigt, was sich an Protest gegen die Militarisierung von Forschung und Lehre rührt und welche Fortschritte gemacht wurden.


I. Kampf um Zivilklausel für KIT-Gesetz

Zivilklausel - was ist das?

Beim Zusammenschluss von Universität Karlsruhe und Forschungszentrum Karlsruhe zum Karlsruhe Institute of Technology (KIT) wird für die gemeinsame Forschung eine Zivilklausel gefordert.
Nachfolgend soll kurz erläutert werden, was diese Klausel bedeutet und wie es mit der Realisierung der Forderung aussieht.

Begriffsbestimmung Zivilklausel
Eine Klausel im Rechtswesen ist eine genau definierte Einzelbestimmung in Vertragswerken oder Gesetzen, die aus einer Bedingung oder Option besteht. Im vorliegenden Fall geht es um die gesetzliche Bedingung, dass die Forschung ausschließlich friedlichen (zivilen) Zwecken dient und demzufolge militärische Forschung oder zivil-militärische Forschung ("dual use") ausgeschlossen ist.

Herkunft der Zivilklausel
Aufgrund der auf das Potsdamer Abkommen zurückgehenden völkerrechtlichen Bestimmung, dass es der Bundesrepublik Deutschland verboten ist, Kernwaffenforschung zu betreiben, wurde in den Satzungen der ab 1956 gegründeten öffentlich finanzierten Kernforschungseinrichtungen die Bestimmung aufgenommen: "Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke." Das gleiche galt für die öffentlich finanzierten Großforschungseinrichtungen in Berlin wegen des ebenfalls auf das Potsdamer Abkommen zurückgehenden Viermächtestatus.
Als Abkürzung für die genannte Bestimmung hat sich der Begriff Zivilforschungsklausel oder kurz Zivilklausel eingebürgert.

Praxis der Zivilklausel
In allen genannten Einrichtungen wurde dieser Verzicht als zukunftweisende Chance gesehen und erfolgreich gegen Aushöhlungsversuche verteidigt.
Das gelang 1986 gegen den Versuch, Forschung für Reagans Strategische Verteidigungsinitiative (Laserabwehrwaffen gegen Atomraketen) als friedlichen Zweck zu verkaufen. Das gelang 1994 gegen den Versuch, zivile und militärische Forschung miteinander zu vermischen. Das gelang 2002 gegen den Versuch, im Gefolge des 11. September Biowaffen-Abwehrforschung einzuführen.
Es gab keinerlei Versuche, die verfassungsrechtliche Grundlage dieser Bestimmung anzugreifen, obwohl diese nicht nur für die Kernforschungsprogramme, sondern für das gesamte Forschungsspektrum der Einrichtungen gültig war und ist.
Bei Auslegungsfragen, ob z. B. bei der Ausfuhr von Chemieforschungsanlagen Bedenken wegen des Chemiewaffenübereinkommens bestehen, wurde das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle BAFA in Eschborn zwecks Genehmigung eingeschaltet.
Anfang der 90er Jahre gab es größere Auseinandersetzungen an Universitäten gegen die Einführung von Militärforschungsprogrammen und in einigen Fällen Senatsbeschlüsse gegen Militärforschung, die einer selbst verpflichtenden universitären Zivilklausel entsprachen.

Warum Zivilklausel für das KIT?
In das KIT-Gesetz soll die Bestimmung aufgenommen werden: "Das KIT verfolgt nur friedliche Zwecke." Frieden, freie Forschung und diese Zivilklausel sind drei miteinander verzahnte Elemente einer verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung. Freiheit der Themenwahl in der Forschung und internationale Kooperation würden im Falle von Militärforschung durch Geheimhaltungsvorschriften beeinträchtigt werden. Öffentliche Finanzierung gebietet, Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Studierenden sollen umfassende Bildung und Entfaltungsmöglichkeiten bekommen, statt indirekt in Militärforschungsprogramme eingebunden zu werden.
Die Beschränkung auf zivile Forschung im gesamten KIT ist auch wegen des Kernwaffenforschungsverbots von größter Bedeutung, weil am KIT weiterhin Kernforschung betrieben werden soll.

Argumente gegen die Zivilklausel
Die Gegner der Zivilklausel argumentieren vor allem mit dem Artikel 5.3 der Verfassung ("Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.") und behaupten, dass das die persönliche Freiheit des Forschers bedeutet, Militärforschung betreiben zu können. Deswegen sei die Zivilklausel, die ihm das verbietet, verfassungswidrig. Fragt sich erstens, wieso niemals jemand gegen die eingangs beschriebenen Zivilklauseln geklagt hat.
Der Artikel 5.3 besagt etwas ganz anderes. Es handelt sich um ein Grundrecht der Bürger auf Meinungsfreiheit gegenüber staatlicher Willkür. Das war die Reaktion der Verfassungsväter auf den Hitlerfaschismus. Wissenschaft und Forschung waren für Krieg und Vernichtung bis hinzu den Menschheitsverbrechen in den Konzentrationslagern missbraucht worden. Das Verfassungsrecht soll die Bürger dazu in die Lage versetzen, solchen Entwicklungen vorzubeugen. Und gerade der Staat ist es jetzt, der die knappen Kassen der Universitäten mit zusätzlichen Mitteln aus dem Verteidigungshaushalt füllen möchte und damit Anreize zur "freiwilligen" Militärforschung zu schaffen sucht. Mit diesem Gegenargument wird also der verfassungsrechtliche Kern seinem Wesen nach pervertiert.
Ein verfassungsrechtliches Gutachten über die Zulässigkeit der Zivilklausel wurde in Auftrag gegeben.
Eine weitere sich abzeichnende Contralinie besteht darin, die Zivilklausel nur für den Teil der Beschäftigten zu übernehmen, die aus dem ehemaligen Forschungszentrum kommen und beim Universitätsteil keine Zivilklausel zuzulassen. Eine solche Regelung, so argumentiert ver.di, behindert eine gleichberechtigte Zusammenarbeit. Die Konkurrenz um Geldquellen würde das Zusammenwachsen der beiden Teile (Campus Nord - früher Forschungszentrum - und Campus Süd - früher Universität) behindern und diese in Wirklichkeit auseinander treiben, und zwar gerade auch wegen der Ungleichbehandlung der Neueingestellten. Diese Teilzivilklausel könnte außerdem leicht unterlaufen werden und würde in kürzester Frist verschwinden. Die Teilzivilklausel ist also nichts anderes als eine Abwicklungsklausel.
Ein weiteres beliebtes Argument gegen die Zivilklausel besagt, dass diese die Grundlagenforschung behindern würde. Das ist falsch. Viele grundlegende Forschungsergebnisse können sowohl zivile wie militärische Anwendungen haben. Sobald diese Ergebnisse veröffentlicht werden, können sie von öffentlich finanzierten oder privaten Militärforschungszentren genutzt werden. Sobald sie aber deswegen nicht veröffentlicht werden, weil ein absehbarer militärischer Nutzen anderen nicht in die Hände fallen soll, wird die Grundlagenforschung durch militärische Zwecke gesteuert. Und genau das verhindert die Zivilklausel.

Sachstand des Kampfes um die Zivilklausel
Die Eckpunkte des KIT-Vertrags sind zwischen Bundesregierung und Landesregierung Baden-Württemberg ausgehandelt, aber nicht veröffentlicht.
Das Gesetzgebungsverfahren, für das die Landesregierung, vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg, die Federführung hat, soll bis zum Sommer 2009 abgeschlossen sein. Anfang 2009 soll dazu eine Anhörung im Forschungsausschuss des Bundestags stattfinden. Entsprechende parlamentarische Anhörungen soll es auf Landesebene im März/April geben.
Die Bundesregierung hält sich zur Zivilklausel bedeckt. Die Landesregierung verweist auf den Artikel 5.3 und den "Verteidigungsauftrag des Staates zur Sicherung des Friedens". Vorstand, Betriebsrat und die gesamte Belegschaft des Forschungszentrums sind für die Zivilklausel. Der Rektor der Universität tendiert zur Teilzivilklausel, d. h. er will sich Militärforschung an der Universität offen halten.
Übrigens kam erst durch parlamentarische Anfragen im Sommer letzten Jahres ans Licht der Öffentlichkeit, dass an der Universität Karlsruhe Militärforschung betrieben wird.
Die Gewerkschaften ver.di und GEW und die Gewerkschaftliche Studierendengruppe Karlsruhe mobilisieren für die Zivilklausel und haben dafür unter anderen die Unterstützung von Parlamentariern der SPD, der Grünen und der Linken erhalten. In der Zeit vom 19.-23. Januar 2009 wurde an der Universität Karlsruhe parallel zu den Wahlen zum Studierendenparlament eine Urabstimmung zur Zivilklausel durchgeführt. 63 Prozent der Studierenden stimmten für die Zivilklausel "Das KIT verfolgt nur friedliche Zwecke" und 75 Prozent für die erweiterte Mitbestimmungsregelung, dass der Senat einstimmig über die Genehmigung strittiger Fälle befindet.
Das Abstimmungsergebnis ist ein klares Signal an den Gesetzgeber, die Meinungsbildung der Studierenden zu respektieren.
Am 10. Februar wird es eine Veranstaltung zur Zivilklausel in der Universität Karlsruhe geben, mit der die Beschäftigten, die Studierenden und die Öffentlichkeit weiter über die Bedeutung der Zivilklausel informiert und erstmalig das Gutachten zu deren verfassungsgemäßer Zulässigkeit vorgestellt wird.
Die Gewerkschaftliche Studierendengruppe beabsichtigt, sich mit anderen Hochschulinitiativen gegen Militärforschung zu vernetzen.

Wer mehr wissen möchte ...
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Auf Anfrage der Gewerkschaft ver.di, Bezirk Mittelbaden-Nordschwarzwald, teilte der Rektor der Universität Karlsruhe Prof. Hippler Anfang Dezember 2008 mit, dass ein wehrtechnisches Forschungsprogramm am Institut für Nachrichtentechnik durchgeführt wird, das sich dem Thema "Software Defined Radio" (SDR) widmet. Wie ver.di in einer Pressemitteilung ausführt, handelt es sich dabei um eine neuartige digitalisierte Funkkommunikation, mit der eine wesentlich verbesserte Führung und eigene Entscheidungsfähigkeit des Soldaten im Kriegseinsatz erreicht werden soll. Das rechnerunterstützte flexible Kommunikationssystem koordiniert Datenquellen aus Funkkommandos, Bildauswertungen und der Luftraumüberwachung und spielt eine zentrale Rolle besonders bei Einsätzen von multinationalen Kampftruppen wie der NATO Response Force und der EU Battle Group. Aus der Zeitschrift "Welt" vom 29. 2. 2004 erfahren wir, wie der Heeresinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Hans-Otto Budde, den neudeutschen Soldatentypus sieht: "Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann." Weiter in der "Welt": "Diesen Typus müssen wir uns wohl vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Art von Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln." Forscher der Uni Karlsruhe arbeiten demnach im Gegensatz zum Verfassungsauftrag an der Technik für Interventionskriege mit.

Das Militärforschungsprogramm SDR läuft am Nachrichtentechnischen Institut INT der Universität unter Leitung von Prof. Jondral. In der Dissertation mit dem Titel "Modulares SDR" (S. 10) wird die vorher genannte besondere Systemeignung für multinationale Einsätze und der primär militärische Hintergrund bestätigt.

Dass an der Universität Karlsruhe mit militärischen Zielsetzungen geforscht wird, war bis Mitte letzten Jahres weitgehend unbekannt. Das kam erst aufgrund einer Bundestagsanfrage der Partei "Die Linke" und einer Landtagsanfrage der SPD ans Licht der Öffentlichkeit. Hintergrund der beiden Anfragen ist die Forderung nach einem Verzicht auf jegliche Militärforschung an der Universität im Zuge der Bildung des Karlsruhe Institute of Technology (KIT), das durch Zusammenlegung von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe entsteht. Für das Forschungszentrum gilt seit Gründung 1956 ein Militärforschungsverbot in Form der Satzungsbestimmung genannt Zivilklausel ("Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke."). Das Zentrum praktiziert diese ausschließliche Zivilorientierung der Forschung mit Erfolg zum Nutzen der Allgemeinheit. Alle Gremien dort unterstützen die Übertragung auf das KIT-Gesetz, das bis Mitte des Jahres in Kraft treten soll. Die Bundesregierung hält sich bedeckt. Die für das Gesetzgebungsverfahren federführende Landesregierung, vertreten durch den Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur Prof. Frankenberg, verhält sich ausweichend und widersprüchlich. Eine ver.di-Einladung zu einem öffentlichen Dialog ist seit mehr als zwei Monaten unbeantwortet.

Jetzt haben sich die Studierenden der Universität eingemischt, mit 18 000 Studierenden die mit Abstand größte Personengruppe der Betroffenen. In der Zeit vom 19. bis 23. Januar 2009 wurde eine Urabstimmung parallel zu den Wahlen zum Parlament durchgeführt mit der Frage, ob die obige Zivilklausel in das KIT-Gesetz aufgenommen werden soll. Die gewerkschaftliche Studierendengruppe Karlsruhe, unterstützt von den Gewerkschaften ver.di, GEW und IG Metall, hat die Kommilitonen mobilisiert. Die Studierenden sollen umfassende Bildung und Entfaltungsmöglichkeiten bekommen, statt indirekt in Militärforschungsprogramme eingebunden zu werden.

Das Ergebnis der Urabstimmung ist ein eindeutiges Signal gegen universitäre Militärforschung. 63 Prozent der abstimmenden Studierenden fordern die Zivilklausel.

II. Schavans zivil-militärisches Sicherheitsforschungsprogramm

Das zunächst mit 123 Mio. Euro ausgestattete Programm "Forschung für die zivile Sicherheit" des Bundesforschungsministeriums vom Januar 2007 definiert zwar sicherheitsrelevante zivile Forschungsfragen, der Fokus des Programms liegt aber auf der Entwicklung von Abwehrmaßnahmen gegen die so genannten neuen Gefahren von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Damit wird der bereits 2004 vollzogene Schwenk in der EU zur zivil-militärischen Sicherheitsforschung mit Betonung auf letzterem nachgebildet. Im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms werden 1 350 Mio. Euro bis 2013 für vergleichbare Projekte zur Verfügung gestellt, von denen 250 Mio. Euro zurückfließen sollen.

Die von früheren Bundesregierungen respektierte bzw. verteidigte strikte Trennung von ziviler und militärischer Forschung ist im Gefolge des 11. September Stück für Stück geschleift worden. Nun sitzt ein Vertreter des Verteidigungsministeriums im Lenkungsgremium für das als zivil bezeichnete Sicherheitsforschungsprogramm. Damit kann die Bundeswehr direkt Einfluss auf forschungspolitische Entscheidungen nehmen, wie die FAZ am 25. 1. 2007 meldete. Die Vorsitzende des Forschungsausschusses, MdB Ulla Burchardt (SPD), verteidigt die Beibehaltung der Trennung und tritt damit der Militarisierung der Forschung entgegen. MdB Petra Sitte ("Die Linke") argumentiert in einer 2007 veröffentlichten Analyse zu Recht: "In der Hauptsache zeichnet sich ab, dass die unklare Abgrenzung von militärischer und ziviler Relevanz und Nutzung der geförderten Forschungsergebnisse Zivilklauseln in Satzungen der zivilen Forschungsinstitute hinfällig machen." Der ver.di-Bundeskongress 2007 hat dieses Programm entschieden zurückgewiesen. Es folge dem Muster des Konzeptes der "vernetzten Sicherheit", das ein Deckmantel für die gezielte Vermischung von militärischen und zivilen Zwecken und Mitteln ist. Damit soll eine umfassende Militarisierung aller innenund außenpolitischen Tätigkeitsbereiche durchgesetzt werden, was auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verhindert werden müsse. Insbesondere dürfe es keine Ausrichtung ziviler Forschung und Entwicklung auf optimierten militärischen Nutzen geben (kein "dual use"), das heißt auch keine Mitsprache des Bundesministerium für Verteidigung in Lenkungsgremien des Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die zivile Sicherheitsforschung müsse zu allererst bei der Analyse der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundlagen von Gewalt, Terror und Krieg ansetzen.

III. Fraunhofer-Verbund VVS -
Kommunikationsplattform"Future Security"


Der im November 2002 mit dem Ziel der Stärkung der wehrtechnischen Forschung gegründete Fraunhofer-Verbund für Verteidigungs- und Sicherheitsforschung (VVS) schließt sechs Fraunhofer-Institute zusammen. Die forschungsstrategische Ausrichtung des Verbundes zielt nach eigener Aussage auf Sicherstellung der dual-use-Forschung und auf Anwendungen für Auslandsoperationen des deutschen Militärs. Zu optimieren seien "Führungsfähigkeit", Spionage ("Aufklärung"), Mobilität und Wirksamkeit sowie die "Durchhaltefähigkeit" und "Überlebensfähigkeit" auf fremdem Territorium.

Gleich zwei Mitglieder dieses Verbunds sind in der Region Karlsruhe angesiedelt, das Fraunhofer ICT (Chemische Technologie) in Berghausen/Pfinztal und das Fraunhofer IITB (Informationsund Datenverarbeitung) in Karlsruhe. Was Wunder, dass Karlsruhe als Standort der VVS-Kommunikationsplattform "Future Security" ausgewählt wurde, bei der sich die Forscher auf Konferenzen mit Wirtschaft, Behörden, Bundeswehr und Geheimdiensten verständigen. In der Konferenz am 4. und 5. Juli 2006 erklärte Ministerin Schavan, dass ihr Ministerium zur Zeit eine "nationale Sicherheitsstrategie" entwickelt, bei der neben naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen auch die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung über die Entstehung gesellschaftlicher Krisen im In- und Ausland einbezogen werden. Genau in diesem Sinne befasst sich der Verbund mit der Abwehr von Flüchtlingen ("Grenzsicherung"), der Überwachung der eigenen Bevölkerung ("Personen-Screening", "Crowd-Control") und der Abwehr von Angriffen gegen kritische Infrastruktur.

IV. Fusion mit Militärforschung FGAN-FOM Ettlingen

Im Mai 2003 wurde eine Analyse des Verteidigungsministeriums über die Neuordnung der Rüstungsforschung fertiggestellt, wonach die von ihm grundfinanzierten Institute der Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften FGAN und das DLR-Institut ITP und Stuttgart in die Fraunhofergesellschaft eingegliedert werden sollen. Bestandteil dieser Pläne ist die Fusion des Karlsruher Fraunhofer IITB mit dem Ettlinger Militärforschungsinstitut FGANFOM, die sich beide mit Mustererkennung beschäftigen. Im Rahmen des Fraunhofer-Verbundes ist die enge Zusammenarbeit Fraunhofer mit FGAN ohnehin an der Tagesordnung (Bild). Aber das genügt wohl nicht. Es wird eine organisatorische Fusion angestrebt. Verzögerungen haben sich wohl aus Kostengründen und aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten ergeben. Die Fusion soll 2010 erfolgen.

Betriebsräte und ver.di haben sich von Anfang an gegen die IITB-FOM Fusion ausgesprochen. In einer Veranstaltung im Januar 2005 wurde die Ablehnung auch durch attac, die evangelische Kirche und andere sichtbar.

V. Forschung und Lehre militärisch

Im Laufe der Auseinandersetzungen um die Zivilklausel wurde das Argument geäußert, dass 0,2 Mio. Euro im Jahr 2007 an der Uni für das militärische SDR-Programm ein doch vergleichsweise geringer Betrag sei. Im gleichen Zeitraum gab FGAN-FOM 8,8 Mio. Euro und Fraunhofer ICT und IITB zusammen 9,7 Mio. Euro für Rüstungsforschung aus. Bei dem Argument wird dreierlei übersehen. Erstens ist 2008 vom Verteidigungsministerium der Rekordbetrag von 1,1 Mrd. Euro für Rüstungstechnologien und Grundlagenforschung ausgegeben worden, wovon sich ein Gutteil auf die 40 beteiligten Hochschulen verteilt, Tendenz steigend. Zweitens vertieft sich die Verflechtung der Disziplinen. Natur- und ingenieurwissenschaftliche Militärforschung wird mit sozialwissenschaftlicher Begleitforschung verbunden. Im Sonderforschungsbereich 700 der Freien Universität Berlin wird gegen heftigen Protest der Studierenden daran geforscht, wie die Akzeptanz von Interventionskriegen und militärischer Besatzung verbessert werden kann. Drittens sind die personellen Verflechtungen zu beachten. Dazu nur ein Beispiel: Der Chef des FGAN-FOM in Ettlingen, Prof. Tacke, ist Lehrbeauftragter am INT, an eben jenem Uni-Institut, an dem das militärische SDR-Forschungsprogramm läuft.

Der Chef des Fraunhofer IITB, Prof. Beyerer, ist gleichzeitig Inhaber des Lehrstuhls für Interaktive Echtzeitsysteme an der Uni Karlsruhe. So kann er die an der Uni erarbeitete Theorie in Personalunion in die zivil-militärische Anwendung auf den Fraunhofer-Verbund übertragen.

Die Zusammenarbeit aller genannten Forschungseinrichtungen und der Uni Karlsruhe findet in einer zivil-militärischen Informationsschaltstelle zwischen Großforschung, Hochschulen, Industrie, Behörden und Bundeswehr statt, der Carl-Cranz-Gesellschaft. Dort findet man die Chefs Jondral, Tacke, Beyerer und andere als Referenten für Seminare wieder. Zu den Seminaren zur Sicherheit heißt es: "Die neue Vielschichtigkeit der Bedrohungen der Gesellschaft durch Terrorismus, Naturkatastrophen und organisierte Kriminalität auf der einen Seite und die Asymmetrien militärischer Einsätze auf der anderen Seite haben die Anforderungen an Forschung und Entwicklung im Bereich Verteidigung und Sicherheit stark verändert." Mit dabei FGAN-FOM über Warnsensorik, ICT über Explosivstoffdetektion und IITB über Videoüberwachung. Man kennt sich.

VI. Nanotechnologie und KIT-Vorbild MIT

In einem Artikel mit dem Titel "Anti-Terror-Technologien - Ausweitung der Sicherheitszone" berichtete die FAZ Ende 2005 stolz, dass die Ausgaben der Regierung für die Entwicklung von Sicherheitstechnologien seit dem 11. September 2001 auf mehr als vier Milliarden Dollar jährlich gestiegen seien. Und mit erhobenem Zeigefinger heißt es in der FAZ weiter, dass amerikanische Hochschulen auf die neue Weltlage mit Forschungszentren wie dem Institute for Soldier Nanotechnology am Massachusetts Institute of Technology MIT reagiert hätten.

Die Nanotechnologie ist just dasjenige große Feld der Grundlagenforschung, für das gleichermaßen Universität und Forschungszentrum Karlsruhe führend in der Bundesrepublik sind. Die militärischen Anwendungen dieser Technologie sind vielfältig und tiefgreifend bis hin zu neuartigen Bio- und Chemie-Waffen. Vor einem Nanorüstungswettlauf wird gewarnt, ebenso vor der Entwicklung einer vierten Nuklearwaffengeneration. In einer aktuellen Wehrtechnik-Analyse des Verteidigungsministeriums wird festgestellt, dass NBIC-Forschungen (Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und Kognitionswissenschaften) strategisch wichtig seien. "Einige nanotechnologische Entwicklungen sind besonders geeignet für Streitkräftefähigkeiten, die für asymmetrische Kriege und Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle erforderlich sind, z. B. im Bereich von Sensorik, Schutz, Vernetzung, Smart Weapons, Leichtbau." An die Adresse derer, die mit dem zivilen Nutzen von militärischer Spitzenforschung argumentieren: Deren ziviler Nutzen ist nachgewiesenermaßen äußerst dürftig. Wie unter II. beschrieben, wird deswegen heute versucht, zivil deklarierte Programme von Anfang an so auszurichten, dass sie einen maximalen militärischen Nutzen haben. Das führt zu hoch militarisierter Wissenschaft und Forschung.

Zum Amtsantritt erklärte Barack Obama am 20. Januar: "Wir werden der Wissenschaft wieder den ihr zukommenden Platz zuweisen und die Wunder der Technik nutzen, um die Qualität des Gesundheitssystem zu steigern und ihre Kosten zu senken." Er hat einen Nobelpreisträger zum Chef des Energieministeriums nominiert, der die vernachlässigten erneuerbaren Energiequellen nach vorne bringen und damit die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit verbessern wird. Ob unter einer Regierung Obama ein Institut für Soldaten-Nanotechnologie gegründet worden wäre, darf bezweifelt werden.

Es wäre geradezu ein Treppenwitz, wenn die Bundesrepublik den umgekehrten Weg ginge und heute die Fehlentscheidungen der US-Forschung von gestern kopiert. Ein gewichtiger Grund, auf Militärforschung an der Universität zu verzichten und die Zivilklausel ins KIT-Gesetz zu übernehmen.

In einem Antrag vom November 2007 forderte die Bundestagsfraktion B90/Grüne "mögliche Risiken der militärischen Nutzung von Nanotechnologie systematisch von Anfang an sowohl in die Technikfolgenabschätzung als auch in den Prozess zur Erarbeitung eines ´Code of Conduct´ für die verantwortliche Forschung, Entwicklung und Nutzung von Nanotechnik mit einzubeziehen."

VII. Verplappert - ministerielle Protokoll"korrektur"

Im August 2007 gab es ein Gespräch des Betriebsrats des Forschungszentrums und des Personalrats der Universität mit Vertretern des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums über die geforderte Zivilklausel. Die Beamten lehnten dort die Übernahme der Zivilklausel ab, weil bei der Sicherheitsforschung Ziviles und Militärisches schlecht getrennt werden könne. Die Bestürzung der Beschäftigtenvertreter nach anderen Mitteilungen aus dem Bundesforschungsministerium kann man sich gut vorstellen. Das Argument liegt jedoch völlig auf der Linie des zuvor beschriebenen regierungsamtlichen zivil-militärischen Sicherheitsforschungsprogramms. ver.di antwortete darauf mit einer Presse-Erklärung und zog die Schlussfolgerung, dass allein dieser Vorgang die Notwendigkeit der Zivilklausel belegt.

Doch dann geschah das Denkwürdige. Das Protokoll, das drei Wochen später verteilt wurde, enthielt ziemlich genau das Gegenteil des Gesagten, nämlich die Versicherung, dass die Zivilklausel voraussichtlich übernommen werde. Welchem Zweck dient eine derartige Zensur? Bei den Betroffenen soll die Illusion genährt werden, dass es mit der Zivilklausel klappt. Das Wie ist mit den Ausführungen der Uni-Leitung zu Beginn bereits bekannt gemacht worden, nämlich über eine pfiffige Abwicklung mittels Teilzivilklausel.

Die völkerrechtliche Brisanz einer Abwicklung der Zivilklausel sollten die Verantwortlichen jedoch klar vor Augen haben. Wegen des Kernwaffenforschungsverbots in Verbindung mit der am KIT betriebenen Kernforschung und Nanoforschung wird ein KIT ohne wirksame Zivilklausel nicht akzeptiert werden.


 
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