Obama muss sich ärgern, dass er mit seinen Positionen gegen den Irak-Krieg und gegen die Bush-Administration einstmals öffentlich aufgetreten ist. Heute wiederholt er ihr Tun. Damals trat sein Amtsvorgänger Bush als Krieger gegen den Terrorismus in Afghanistan und im Irak an. Die deutschen Imperialisten bildeten eine Front gegen den Irak-Krieg. Heute führt Obama Krieg, der deutsche Imperialismus ist Teil dieses Krieges. Deutsche Waffenlieferungen und die Luftangriffe im Irak und in Syrien durch eine "Koalition der Willigen" sind nichts weiter als Arbeitsteilung.
Der Krieg beschränkt sich aktuell nicht auf den Irak, sondern erweitert sich durch die Bombardierung syrischer Gebiete und die logistische Unterstützung der libanesischen und jordanischen Armee.
Anders als vor einem Jahr lautet die Begründung für den Krieg nicht: Sturz des blutdurstigen Diktators Assad in Syrien, sondern: Aufhalten der blutdurstigen Milizen des islamischen Staates (IS, ISIS, ISIL oder Daasch) sowie anderer terroristischen Gruppen wie Al-Nusra-Front, etc.
Blutdurstig ist der Gegner immer, profitdurstig sind unsere Herren natürlich nicht: Es geht um die "Menschenrechte". Wer die Bilder von Enthauptungen und Massenmord, von der massenhaften Flucht hunderttausender Menschen aufgrund ihre religiöse Vorstellungen sieht, die Zerstörung des Erbes der Menschheit, dem fehlen die Worte. Die Gefühle kochen über gegen diese Barbarei. So geht es mir auch.
Wir, als Kommunisten, müssen unseren Kampf jedoch gegen die Kriegshetze und die Kriegslust der deutschen Imperialisten richten; als Beitrag zur Solidarität mit den Menschen im Irak, in Syrien, im Libanon, in der Türkei und in Jordanien. Dies müssen wir der Arbeiterklasse und den demokratischen Kräften verständlich machen und sie gegen den laufenden Krieg mobilisieren.
Wir müssen deutlich machen, dass dieser Krieg gegen Irak und Syrien nicht um irgendwelche Menschenrechte geht, sondern um die Interessen unserer Herren. Dabei stehen die Imperialisten Deutschlands im Krieg, ihre Soldaten befinden sich an der Grenze zu Syrien, ihre Waffen landen in den Händen der kurdischen Peschmerga
1 wie in den Händen der islamistischen Banden in Syrien. Die Bundeswehr beteiligt sich ebenfalls an der Vernichtung von syrischen Chemiewaffen, die aktuell in Niedersachsen stattfindet.
Der deutsche Imperialismus ist also weiterhin eine Kriegspartei, dabei ist er bereit, Tabus zu brechen. Dies gilt in erster Linie bei den Waffenlieferungen an die Peschmerga. Manchem bundesdeutschen Politiker (von CDU über Grün bis zu Teilen der Linkspartei) geht dies nicht weit genug, sie möchten deutsche Soldaten in den Krieg schicken. Das müssen wir entschieden zurückweisen.
Zunächst soll es um die Darstellung die militärische Lage und die darin liegende Gefahr einer zunehmenden Verschärfung durch eine Intervention der imperialistischen Mächte gehen. Dies ist nötig, um zu verstehen, wie der sogenannte Islamische Staat aufsteigen konnte - und wie seine Bekämpfung im Sinne der Arbeiterklasse verwirklicht werden kann.
Zur militärischen LageDie imperialistische Kriegskoalition und ihre arabischen Lakaienstaaten (Qatar, Saudi-Arabien, etc.) agieren in einem Krieg, den sie selber mindestens in den vergangenen drei Jahren politisch, militärisch, finanziell und personell forciert haben. Die Ausweitung des Krieges in Syrien sowie über die syrischen Grenzen hinaus ist heute Realität. Im Großkrieg in dieser Region werden sich unweigerlich die zwischen-imperialistischen Widersprüche zuspitzen; der Weltfrieden wird dadurch ernsthaft bedroht.
Aktuell findet der Krieg in Syrien, im Irak und in Libanon sowie an die syrisch-israelischen und syrisch-türkischen Grenze sowie an die jordanisch-irakischen Grenze statt. In Syrien kämpfen, auf der einen Seite, die syrische Armee und ihre Verbündeten, (die libanesische Hizbollah, Milizen aus dem Irak, Milizen der Syrisch Sozial-Nationalistischen Partei [SSNP], Mitglieder der palästinensischen PFLP-GC, vermutlich auch iranische Revolutionsgardisten sowie, beratend, wohl auch Militärberater aus der Russischen Föderation auf Seite der syrischen Armee). Eine zweite Kriegspartei stellen die verschiedenen islamistischen Gruppen (FSA, al-Nusra-Front, Islamische Front, die palästinensische Hamas, etc.). Als große Spaltung dieser Gruppen ist der Islamische Staat als dritte Kriegspartei hervorgegangen. Schließlich gibt es noch die kurdisch-dominierten Volksverteidigungseinheiten (PKK-nahe Gruppen, laut ihrer Selbstdarstellung). Wir haben also vier Kriegsparteien: Die Vertreter des syrischen Staates, die verschiedenen islamistischen Gruppen, die Volksverteidigungseinheiten und der Islamische Staat.
Dazu stößt jetzt eine Koalition der Willigen unter Führung der USA, in Kooperation mit einigen arabischen Golfstaaten.
An der syrisch-israelischen Grenzen finden ebenfalls kriegerische Handlungen statt, dort kämpfen die syrische Armee und ihre Verbündeten gegen die Rebellen und gegen die israelische Armee. Kurzzeitig wurden UN-Truppen durch syrische Rebellen (u.a. al-Nusra-Front) entführt, es handelte sich dabei um die Beobachtungskommission für die Sicherstellung des Waffenstillstandes zwischen Syrien und Israel, die seit 1974 an den Golan-Höhen arbeitet. Nach mehreren Auseinandersetzungen mit syrischen Rebellen hat die UN ihre Friedenstruppen von der syrisch-israelischen Grenze abgezogen. Israels Armee hat in den letzten Wochen syrische Kampfjets unter syrischer Lufthoheit abgeschossen. Die Situation zwischen Syrien und Israel war zeitweise während des letzten Gaza-Krieges gefährlich, für Israel hätte ein vier Fronten-Krieg entstehen können. Neben dem Krieg gegen Gaza im Süden hätten kleinere Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Libanon (Hizbollah) und Syrien sowie schließlich eine vierte Front in Form einer unbeherrschbaren Lage in der Westbank drohen können.
An der syrisch-türkischen Grenzen finden ebenfalls Auseinandersetzungen statt, in der Vergangenheit schlugen häufiger Mörserraketen auf türkischem Territorium ein, die Türkei antwortete mit Angriffen auf syrische Militärposten. Zusätzlich steht die türkische Armee an der syrischen Grenze; ein Beschluss des türkischen Parlaments hat den Vormarsch nach Syrien längst freigegeben. An der Grenze befinden sich auch deutsche Soldaten im Rahmen einer vermeintlichen Mission zum Schutze der Türkei durch die NATO. Die türkische Armee kämpft auf niedrigem Niveau gegen kurdische Rebellen und unterstützt verschiedene islamistische Gruppen, incl. (so kurdische Quellen) die Kämpfer des Islamischen Staates (IS). In der Türkei fühlt sich die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) nicht mehr an den Waffenstillstand mit der Regierung gebunden.
Im Libanon gibt es sowohl an der Grenze zu Syrien als auch im Lande selbst militärische Auseinandersetzungen. Dazu befindet sich die libanesische Armee im Krieg gegen sunnitische Milizen, die entweder eine rein libanesische Erscheinung sind oder aus dem Kontext des syrischen Krieges heraus agieren, so die al-Nusra-Front und die Kämpfer des IS. Zusätzlich zur libanesischen Armee kämpft die libanesische Hizbollah gegen die sunnistischen Milizen. Im Libanon selbst spitzt sich die Situation zwischen den verschiedenen Konfessionen zu, innerhalb der Institutionen des libanesischen Staates herrschen Widersprüche, so z. B. eine Krise um den Staatspräsidenten, demnächst wird es Probleme umdie Parlamentswahlen geben. Ökonomisch ist die Lage ebenfalls äußerst grenzwertig. Zusätzlich spitzt sich die Stimmung zwischen Libanesen und geflüchteten Syrern zu, es fanden bereits Pogrome gegen syrische Flüchtlingslager statt, entsprechend gibt und wird es verstärkte Gegenwehr durch die Syrer geben. Beides ist rassistisch motiviert.
Im Irak kämpfen die irakische Armee und schiitische Milizen auf einer Seite gegen den IS. Dazu wird sich bemüht, die staatliche Gewalt zu dezentralisieren, um Teile der sunnitischen Gemeinschaft im Kampf zu binden. Auch die Peschmerga kämpfen gegen den IS, in Kooperation oder zusätzlich, je nach Lage, agieren auch PKK-nahe kurdische Gruppen gegen den IS. All diese Kräfte; die irakische Armee (plus schiitische und sunnitische Milizen), die kurdischen Peschmerga und die PKK-nahen Kräfte, kämpfen zwar nicht unbedingt gemeinsam; jedoch zumindest vorerst auch nicht gegeneinander. Als neuer unmittelbarer Teilnehmer des Krieges treten die USA, Frankreich, Großbritannien und andere Staaten auf. Deutsche Soldaten helfen den Peschmerga-Truppen mit Ausbildung an deutschen Waffen. US-Soldaten beraten die irakische Armee vor Ort im Kampf gegen den IS. Die politische Lage im Irak ist, ähnlich wie im Libanon, sehr fragil. Über mehrere Monate verweigerte die parlamentarische Mehrheitsfraktion (Teile der Schiiten) einer Regierung der nationalen Einheit (unter Anschluss der sunnitischen und kurdischen Kräfte) ihre Zustimmung, es gab lange Zeit keine Regierung. Die jetzige entstand unter Druck der USA, ihr fehlt immer noch ein Verteidigungs- und Innenminister. In der Autonomen Region Kurdistan bestehen Bestrebungen zur Unabhängigkeit vom irakischen Zentralstaat. Dies wurde nur vorerst aufgrund der gemeinsamen Bedrohung durch den IS zurückgestellt.
Nicht zuletzt gibt es immer wieder Auseinandersetzungen an der jordanisch-irakischen Grenze zwischen dem IS und der jordanischen Armee, die aktuell wiederum an Luftangriffen gegen Syrien beteiligt ist.
Der Krieg in und um Syrien weitet sich also nicht nur geographisch auf die Nachbarländer Irak und Libanon und an den Grenzen Israels, der Türkei und Jordaniens aus, auch die Quantität teilnehmender Kriegsparteien nimmt zu. Wir müssen wortwörtlich von einem Brandherd in der gesamten Region reden.
Es ist fast unmöglich, noch den Durchblick zu behalten, wer mit wem gegen wen kämpft. Die aktuelle Aggression gegen den Irak und Syrien durch die Imperialisten der USA, GB, Frankreich und der BRD und die arabischen Lakaienstaaten, in diesem Fall wieder unter Führung der USA, verschlechtert zusätzlich die Übersichtlichkeit. Wollten die USA die moderaten Kräfte der syrischen Revolution bewaffnen, u.a. die FSA, um Assad letztlich zu stürzen, so ärgern sich diese moderate Kräfte über US-Angriffe auf ihre Verbündeten (bspw. der al-Nusra-Front). Auf den Jubel über die US-Kriegsbereitschaft folgte der Katzenjammer: Die USA und ihre Verbündeten bombardierten bisher keine Stellungen der syrischen Armee, sondern ausschließlich verschiedene islamistische Gruppen, darunter Verbündete der moderaten Rebellen. Auf der anderen Seite gibt es Unklarheiten bezüglich der syrischen Regierung; diese scheint sich zumindest mit den US-Luftangriffen auf syrisches Gebiet arrangiert zu haben, wobei auch hier ein gewisses Spaltungspotential in der syrischen Führungsriege gegeben ist.
Die imperialistische Aggression stellt noch keine neue Qualität des Krieges dar, außer der Tatsache ihres grenzübergreifenden Charakters, der jedoch bereits vorher bestand. Die imperialistische Aggression wird aber ab dem Moment, wo Interventionstruppen gesandt werden, eine neue Qualität erhalten.
Politische LageWer die politischen Gründe für die aktuelle Aggression gegen den Irak und gegen Syrien sucht, findet sie in erster Linie in der Bekämpfung der barbarischen und terroristischen Gruppe Islamischer Staat. Die Enthauptungen, die Kreuzigungen, die Vernichtung von Kulturgut, die Flucht Zehntausender Yeziden, Hunderttausender aus der Stadt Mossul, die Flucht der Christen, der Massenmord, das sind nur einige Bilder der Barbarei. Wer die Bilder des Schreckens anschaut, dem stockt der Atem.
Das alles ist keine reine Propaganda des Imperialismus, um Stimmung für einen Krieg zu machen. Der Imperialismus bedient sich diese Bilder, um für seinen Krieg zu mobilisieren. Da scheinen die alten Chiffren der Propaganda für einen Krieg gegen Syrien und Assad als nicht ausreichend. Die Bilder von vergasten Kindern waren nicht ausreichend für eine Bombardierung Syriens. Es stellt sich die Frage: Haben wir es hier mit einem Szenario, mit dem die imperialistischen Staaten nicht gerechnet zu haben oder das nicht mehr kontrollieren können, zu tun? Oder ist das einfach konstruktives Chaos, d.h. gewolltes Chaos? Oder entspricht die Stärkung von Gruppen wie dem IS den nationalen Verhältnissen im Rahmen von Klassenkämpfen und externer imperialistischer Einmischung?
Ich vertrete letzte Version. Der Islamische Staat ist eine Erscheinung in der arabisch-islamischen Welt. Sie ist in erster Linie eine Erscheinung des Zerfalls der arabischen nationalen Bewegung.
Der sogenannte Islamische Staat ist die bislang reinste und radikalste Form des arabisch-islamischen Konfessionalismus, wobei hier nicht ausschließlich der
arabische oder der
islamische Konfessionalismus aufgegriffen wird. Der
arabisch-islamische Konfessionalismus bezieht auch den kurdischen Nationalismus oder den Konfessionalismus der libanesischen Christen ein. "Arabisch-islamisch" deshalb, weil die gesamte Region von den Arabern und dem Islam geprägt ist
2.
Der Islamische Staat ist eine in Teilen Syriens und des Iraks herrschende Gruppe, sie hat ihren Ursprung im Irak und in Al-Qaida. Der Ruhm des Namens IS beginnt mit dem Krieg in Syrien, dort beteiligte sich die Gruppe unter diesen Namen mit dem Zusatz im Irak und Bilad Al-Sham
3 am Kampf gegen den Präsidenten Assad und seine Regierungstruppen. Sie genoss lang genug Zeit die indirekte und direkte Zustimmung und Unterstützung des Imperialismus wegen ihres Kampfes gegen Assad. Hier wurden alle gegen den syrischen Präsidenten gerichteten Gruppen von arabischen Golfstaaten finanziell, militärisch und personell unterstützt, wobei Saudi-Arabien sich den radikalsten Salafistisch-Wahabistischen Gruppen zuwandte, u.a. der Al-Nusra-Front und dem IS.
Die arabische Nationalbewegung und die Irak-Kriege Der arabisch-islamische Konfessionalismus ist die Verneinung der arabischen Nation, der jetzige Konfessionalismus ist nichts anderes als Ausdruck einer ernsthaften Krise des arabischen Nationalismus bzw. der arabischen Nationalbewegung. Der Konfessionalismus besagt, dass die Menschen einer Nation nicht gleich sind. Hier sind die Sunniten, da die Schiiten und dort die Christen; sie sind nicht gleich und sollen keine gleiche Rechte besitzen. Die Bürger eines Staates sind ungleich und werden, je nach ihrer Konfession oder Religion, beurteilt, ihnen können Bürgerrechte und -pflichten verwehrt bleiben.
Man kann dies am Besten beim sogenannten Islamischen Staat beobachten, quasi in der Reinform des arabisch-islamischen Konfessionalismus. Nach Theorie und Praxis des IS sollen die Christen beispielsweise entweder religiöse Sondersteuern bezahlen, zum Islam übertreten oder mit ihrer Enthauptung rechnen. Sie dürfen keine Gotteshäuser bauen; alle christlichen Gotteshäuser, die nach Etablierung des Islam gebaut worden sind, sollen zerstört werden und werden auch zerstört.
Der Konfessionalismus strebt zu vor-bürgerlichen und vor-kapitalistischen Verhältnissen zurück. Das gibt uns eine Vorahnung über die sozialen Schichten, die diesen Konfessionalismus stützen. Jedenfalls handelt es sich dabei weder die nationale Bourgeoisie noch die Arbeiterklasse.
Blicken wir auf die arabische Bourgeoisie und ihren panarabischen Nationalismus, so sehen wir auf der gesamten Linie einen Niedergangsprozess seit den achziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die arabische Einheit, die von den arabischen Nationalisten (und der sie tragenden Bourgeoisie) propagiert wird, ist niemals Realität geworden, ebenso wenig wie bspw. militärische Siege gegen den Erzfeind Israel. Auf ökonomischer Ebene existieren kaum Ansätze für eine arabische Einheit (Zollunion, gemeinsame wirtschaftliche Projekte, gemeinsame Währung, etc.), noch finden in den jetzigen arabischen Einzelstaaten ökonomische Großprojekte wie in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts statt (z.B. Bau des Assad-Staudammes). Das Vorantreiben dieser Industrialisierung der jeweiligen arabischen Länder war damals nur mit der Hilfe der UdSSR möglich.
Wir können also eine allgemeine Tendenz zum Niedergang in der arabischen Bourgeoisie und ihrer Ideologie, dem panarabischen Nationalismus, erkennen. Dazu kam der Irak-Krieg 2003 und die damit verbundene Besatzung des Iraks durch US- und britische Imperialisten. Der Irak war eine der letzten Bastionen des arabischen Nationalismus (neben Nasser-Ägypten und Assad-Syrien). Der gesamte Staatsapparates wurde zerstört, stattdessen wurde eine Regierung installiert, die nicht nach gesamt-nationalen (irakischen) Strömungen gebildet war, sondern nach Konfessionen und Ethnien. Der gesamte zerfallene Staatsapparat wird dann nach konfessionalistischen Kriterien besetzt. Parlamentssitze, Minister, Regierungschefs, Parlamentsvorsitz und Präsidenten werden nach Ethnien und Konfessionen zugeteilt. In den Ministerien erhalten dank florierender Korruption Angehörige der Konfession des jeweiligen Ministers ihre Posten. Die prägenden Parteien im Parlament sind sämtlich nicht gesamt-nationalstaatlich, sondern beschränken sich häufig auf eine der Ethnien oder Konfessionen.
Was zunächst eine allgemeine Tendenz in der Entwicklung des wirtschaftlichen und politischen Lebens in der Region war, wurde durch die Politik des Imperialismus und der Besatzung zementiert. Anstelle eines Nationalbewusstseins und der mit ihr verbundenen (juristischen) Gleichheit aller Bürger eines Staates wird ein Konfessionalbewusstsein verstärkt und gezüchtet. Und dabei begehen die Imperialisten noch ein weiteren Fehler: Sie nennen die vorherrschende Ethnokratie und die Herrschaft der Konfessionen im Irak eine Demokratie, also Herrschaft eines Staatsvolks. Das erklärt die Haltung des ehemaligen Ministerpräsidenten des Iraks zur Bildung einer Regierung unter Ausschluss der Parlamentswahlverlierer aus anderen Ethnien und Konfessionen.
Und die Arbeiterklasse?Ich habe über die Schwächung der arabischen (in diesem Fall nur der irakischen) Bourgeoisie und über die Rolle der imperialistischen Besatzung bei der Zementierung des Konfessionalismus gesprochen. Aber was ist mit der Arbeiterklasse?
In der Tat kann die irakische Arbeiterklasse auf eine lange und starke Geschichte zurückblicken, auch im Verbund mit der Irakischen Kommunistischen Partei. In den 50er Jahren waren die irakischen Gewerkschaften die stärksten im gesamten gemeinsamen arabischen Sprachraum. Ihre Hochburgen lagen in der Ölindustrie. Und heute? Durch die Unterbrechung zu Zeiten des Saddam'schen Baathismus verlor die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung massiv an Einfluss. Klassenbewusstsein in der Masse der Klasse ist angesichts der herrschenden ideologischen Verneblung und aufgrund der reellen ökonomisch-politischen Struktur im konfessionalistischen, post-Baathistischen Irak sehr schwach.
Die sozialen Proteste der Jahre 2011 und 2012 gegen die Sozialpolitik der irakischen Regierung konnten angesichts der Niederschlagung durch Regierungstruppen keinen Erfolg erzielen. Die Verarbeitung dieser Niederlage wird aufgrund der Schwäche der progressiven Kräfte innerhalb der Arbeiterklasse nicht klassenmäßig definiert, sondern konfessionell. Hier die armen Sunniten, dort der schiitische Staatsapparat. Diese Niederschlagung (und zusätzlich den Aufstand der syrischen Massen, der von den sunnitischen Teilen der Bevölkerung geprägt war) radikalisierte breite Schichten des irakischen Sunnitentums und trieb sie in die Arme von Al-Qaida bzw. später des IS. Die Unterstützung der syrischen Rebellen durch die Imperialisten und arabische Reaktionäre ist hinlänglich bekannt. Radikalisierte, verarmte Schichten werden reaktionär aufgeladen und bewaffnet.
Der IS, dder ursprünglich im Irak aktiv war, ist als reinste Form des arabisch-islamischen Konfessionalismus also Produkt des Zerfalls der arabischen Nationalstaatlichkeit, der imperialistischen Besatzung und der fehlenden bzw. schwachen klassenkämpferischen Gegenwehr.
Ohne diese Analyse kann man keine Lösung erwarten. Diese Lösung wäre nicht weniger das Ende jeglicher imperialistischer Einmischung, das Wachstum einer neuen Bürgerlichkeit (Gleichheit aller Bürger) in den arabisch-islamischen Staaten sowie Änderungen in den Sozialsystemen durch eine klassenkämpferische Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung. Da es aktuell danach nicht aussieht, deutet leider alles auf langfristige militärische Auseinandersetzungen, sogenannte Bürgerkriege, in der Region hin.
Was passiert aktuell in der BRD -
und was wären unsere Aufgaben?Der deutsche Imperialismus ist ein Teil der Aggression gegen Syrien und den Irak: Durch seine Waffenlieferungen an die Peschmerga, das andauernde Verbot der PKK, die Weigerung zu Gesprächen mit der syrischen Regierung und die Unterstützung der türkischen und arabischen Reaktion mit Soldaten und Patriot-Raketen in der Türkei, sowie die Waffenexporte, etc. etc. - wir hätten also genug zu tun in unserem Land.
Aktuell laufen Debatten um diese Aufgaben, z.B. über die Aufhebung des PKK-Verbots. In den bürgerlichen Medien werden Stimmen laut, die dies fordern. Gleichzeitig betonen sie, dass sich die PKK ja zu gemäßigten Kräften entwickelt habe. Sie wollen also eine entwaffnete, gemäßigte PKK. Eine Aufhebung des Verbots mit dem Preis ihrer politischen Entwaffnung muss zurückgewiesen werden. Wir müssen mit den kurdischen Genossen debattieren, dass die PKK im Kampf gegen Imperialismus und Faschismus stärker wird und so den Weg für einen Fortschritt für die kurdische Bevölkerung freimachen kann.
Eine weitere bereits vorhandene und sogar zunehmende Position in den Linken ist die Zustimmung zu Angriffen auf den IS durch den Imperialismus in syrischen und irakischen Staatsgebieten. Die oben genannte Analyse zur Entstehung des arabisch-islamischen Konfessionalismus, namentlich in Form des IS, und die entsprechende Lösung (Ende der imperialistischen Einmischung, neue Bürgerlichkeit und Änderung des Sozialsystems) kann nur langfristige Strategien nach sich ziehen. Als eine sofortige Antwort auf den IS wäre heute (in Übereinstimmung mit den Positionen der arabischen Kommunisten) die militärische Kooperation aller demokratischen Kräfte vor Ort, d.h. von den kurdischen Kräften der YPG bis hin zu den Peschmerga, der irakischen, libanesischen und syrischen Armee sowie ihrer jeweiligen Verbündeten, in Betracht zu ziehen. Das ist der einzig progressive Weg, der die Souveränität aller demokratischen Kräfte und Staaten bewahren kann. Dazu wären notwendigerweise sofort weitgehende politische und soziale Reformen einzuleiten, um schrittweise die gefährlichsten Kräfte des Konfessionalismus zu vernichten.
Ein weiterer Punkt ist die Islamfeindlichkeit, die aktuell zunimmt: Hinter jedem Muslim stecke ein IS-Anhänger, der Islam sei verbrecherisch und terroristisch, etc. Begleitet wird diese rassistische Hetze mit Überlegungen, wie unsere Rechte massiv angegriffen werden können. Von Einschränkungen der bürgerlichen Rechte für Muslime (Entzug von Personalausweisen bzw. Markierung des Ausweises, Reisebeschränkungen, Überwachung, Abschiebung und sogar Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit) bis hin zu Angriffen auf religiöse Einrichtungen ist alles vorhanden. Wir müssen, bei aller Notwendigkeit des Kampfes der Völker des Nahen Ostens gegen die islamistischen Reaktion und bei aller Anerkenntnis der unmenschliche Handlungen dieser Gruppen, gegen Islamfeindlichkeit in Deutschland auftreten und für die Verbesserung der Lage muslimischer Migranten in unserem Land kämpfen. Denn die Erfahrung der Islamfeindlichkeit und das soziale Randständigsein radikalisieren unsere Klassenbrüder und -schwestern muslimischen Glaubens in Deutschland und in Europa. Sie müssen hingegen in den Kampf der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung eingezogen werden.
Wir müssen ebenfalls für die Verteidigung und den Ausbau des Asylrechts in der BRD sowie für die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel und ihrer Nationalität, kämpfen und dabei die demokratischen Kräfte des Bürgertums gewinnen. Wir müssen unsere antifaschistische Arbeit forcieren.
Schließlich müssen wir unsere Analyse - angesichts der Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen und ihrer potenziellen Langfristigkeit - den zwischen-imperialistischen Widersprüchen zuwenden, da in ihnen der Kern einer kriegerischen Handlung in Weltmaßstab liegen kann. Unsere antimilitaristische Arbeit muss stärker werden. Denn Imperialismus bringt Krieg!
Anmerkungen:
1 Sicherheitskräfte der Autonomen Region Kurdistan in der Irakischen Republik.
2 Der Einfachheit halber verwende ich, anstelle von arabisch-islamisch-sunnitischen, arabisch-islamisch-schiitischem, arabisch-alawitischen und arabisch-christlich-maronitischem Konfessionalismus oder auch kurdischem Nationalismus, den Begriff des arabisch-islamischen Konfessionalismus - auch wenn jede Strömung ihre Besonderheiten besitzt und einzeln betrachtet werden muss.
3 "Bilad Al-Sham" bedeutet übersetzt quasi Großsyrien, deswegen wird es fälschlicherweise oft als Syrien oder Levante übersetzt. Allerdings umfasst "Bilad Al-Sham" auch Jordanien, den Libanon und Palästina/Israel.