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Von Toto

Obama muss sich ärgern, dass er mit seinen Positionen gegen den Irak-Krieg und gegen die Bush-Administration einstmals öffentlich aufgetreten ist. Heute wiederholt er ihr Tun. Damals trat sein Amtsvorgänger Bush als Krieger gegen den Terrorismus in Afghanistan und im Irak an. Die deutschen Imperialisten bildeten eine Front gegen den Irak-Krieg. Heute führt Obama Krieg, der deutsche Imperialismus ist Teil dieses Krieges. Deutsche Waffenlieferungen und die Luftangriffe im Irak und in Syrien durch eine "Koalition der Willigen" sind nichts weiter als Arbeitsteilung.

Der Krieg beschränkt sich aktuell nicht auf den Irak, sondern erweitert sich durch die Bombardierung syrischer Gebiete und die logistische Unterstützung der libanesischen und jordanischen Armee.

Anders als vor einem Jahr lautet die Begründung für den Krieg nicht: Sturz des blutdurstigen Diktators Assad in Syrien, sondern: Aufhalten der blutdurstigen Milizen des islamischen Staates (IS, ISIS, ISIL oder Daasch) sowie anderer terroristischen Gruppen wie Al-Nusra-Front, etc.

Blutdurstig ist der Gegner immer, profitdurstig sind unsere Herren natürlich nicht: Es geht um die "Menschenrechte". Wer die Bilder von Enthauptungen und Massenmord, von der massenhaften Flucht hunderttausender Menschen aufgrund ihre religiöse Vorstellungen sieht, die Zerstörung des Erbes der Menschheit, dem fehlen die Worte. Die Gefühle kochen über gegen diese Barbarei. So geht es mir auch.

Wir, als Kommunisten, müssen unseren Kampf jedoch gegen die Kriegshetze und die Kriegslust der deutschen Imperialisten richten; als Beitrag zur Solidarität mit den Menschen im Irak, in Syrien, im Libanon, in der Türkei und in Jordanien. Dies müssen wir der Arbeiterklasse und den demokratischen Kräften verständlich machen und sie gegen den laufenden Krieg mobilisieren.

Wir müssen deutlich machen, dass dieser Krieg gegen Irak und Syrien nicht um irgendwelche Menschenrechte geht, sondern um die Interessen unserer Herren. Dabei stehen die Imperialisten Deutschlands im Krieg, ihre Soldaten befinden sich an der Grenze zu Syrien, ihre Waffen landen in den Händen der kurdischen Peschmerga1 wie in den Händen der islamistischen Banden in Syrien. Die Bundeswehr beteiligt sich ebenfalls an der Vernichtung von syrischen Chemiewaffen, die aktuell in Niedersachsen stattfindet.

Der deutsche Imperialismus ist also weiterhin eine Kriegspartei, dabei ist er bereit, Tabus zu brechen. Dies gilt in erster Linie bei den Waffenlieferungen an die Peschmerga. Manchem bundesdeutschen Politiker (von CDU über Grün bis zu Teilen der Linkspartei) geht dies nicht weit genug, sie möchten deutsche Soldaten in den Krieg schicken. Das müssen wir entschieden zurückweisen.

Zunächst soll es um die Darstellung die militärische Lage und die darin liegende Gefahr einer zunehmenden Verschärfung durch eine Intervention der imperialistischen Mächte gehen. Dies ist nötig, um zu verstehen, wie der sogenannte „Islamische Staat“ aufsteigen konnte - und wie seine Bekämpfung im Sinne der Arbeiterklasse verwirklicht werden kann.

Zur militärischen Lage

Die imperialistische Kriegskoalition und ihre arabischen Lakaienstaaten (Qatar, Saudi-Arabien, etc.) agieren in einem Krieg, den sie selber mindestens in den vergangenen drei Jahren politisch, militärisch, finanziell und personell forciert haben. Die Ausweitung des Krieges in Syrien sowie über die syrischen Grenzen hinaus ist heute Realität. Im Großkrieg in dieser Region werden sich unweigerlich die zwischen-imperialistischen Widersprüche zuspitzen; der Weltfrieden wird dadurch ernsthaft bedroht.

Aktuell findet der Krieg in Syrien, im Irak und in Libanon sowie an die syrisch-israelischen und syrisch-türkischen Grenze sowie an die jordanisch-irakischen Grenze statt. In Syrien kämpfen, auf der einen Seite, die syrische Armee und ihre Verbündeten, (die libanesische Hizbollah, Milizen aus dem Irak, Milizen der Syrisch Sozial-Nationalistischen Partei [SSNP], Mitglieder der palästinensischen PFLP-GC, vermutlich auch iranische Revolutionsgardisten sowie, beratend, wohl auch Militärberater aus der Russischen Föderation auf Seite der syrischen Armee). Eine zweite Kriegspartei stellen die verschiedenen islamistischen Gruppen (FSA, al-Nusra-Front, Islamische Front, die palästinensische Hamas, etc.). Als große Spaltung dieser Gruppen ist der „Islamische Staat“ als dritte Kriegspartei hervorgegangen. Schließlich gibt es noch die kurdisch-dominierten Volksverteidigungseinheiten (PKK-nahe Gruppen, laut ihrer Selbstdarstellung). Wir haben also vier Kriegsparteien: Die Vertreter des syrischen Staates, die verschiedenen islamistischen Gruppen, die Volksverteidigungseinheiten und der „Islamische Staat“.

Dazu stößt jetzt eine „Koalition der Willigen“ unter Führung der USA, in Kooperation mit einigen arabischen Golfstaaten.

An der syrisch-israelischen Grenzen finden ebenfalls kriegerische Handlungen statt, dort kämpfen die syrische Armee und ihre Verbündeten gegen die Rebellen und gegen die israelische Armee. Kurzzeitig wurden UN-Truppen durch syrische Rebellen (u.a. al-Nusra-Front) entführt, es handelte sich dabei um die Beobachtungskommission für die Sicherstellung des Waffenstillstandes zwischen Syrien und Israel, die seit 1974 an den Golan-Höhen arbeitet. Nach mehreren Auseinandersetzungen mit syrischen „Rebellen“ hat die UN ihre Friedenstruppen von der syrisch-israelischen Grenze abgezogen. Israels Armee hat in den letzten Wochen syrische Kampfjets unter syrischer Lufthoheit abgeschossen. Die Situation zwischen Syrien und Israel war zeitweise während des letzten Gaza-Krieges gefährlich, für Israel hätte ein vier Fronten-Krieg entstehen können. Neben dem Krieg gegen Gaza im Süden hätten kleinere Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Libanon (Hizbollah) und Syrien sowie schließlich eine vierte Front in Form einer unbeherrschbaren Lage in der Westbank drohen können.

An der syrisch-türkischen Grenzen finden ebenfalls Auseinandersetzungen statt, in der Vergangenheit schlugen häufiger Mörserraketen auf türkischem Territorium ein, die Türkei antwortete mit Angriffen auf syrische Militärposten. Zusätzlich steht die türkische Armee an der syrischen Grenze; ein Beschluss des türkischen Parlaments hat den Vormarsch nach Syrien längst freigegeben. An der Grenze befinden sich auch deutsche Soldaten im Rahmen einer vermeintlichen Mission zum Schutze der Türkei durch die NATO. Die türkische Armee kämpft auf niedrigem Niveau gegen kurdische Rebellen und unterstützt verschiedene islamistische Gruppen, incl. (so kurdische Quellen) die Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS). In der Türkei fühlt sich die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) nicht mehr an den Waffenstillstand mit der Regierung gebunden.

Im Libanon gibt es sowohl an der Grenze zu Syrien als auch im Lande selbst militärische Auseinandersetzungen. Dazu befindet sich die libanesische Armee im Krieg gegen sunnitische Milizen, die entweder eine rein libanesische Erscheinung sind oder aus dem Kontext des syrischen Krieges heraus agieren, so die al-Nusra-Front und die Kämpfer des IS. Zusätzlich zur libanesischen Armee kämpft die libanesische Hizbollah gegen die sunnistischen Milizen. Im Libanon selbst spitzt sich die Situation zwischen den verschiedenen Konfessionen zu, innerhalb der Institutionen des libanesischen Staates herrschen Widersprüche, so z. B. eine Krise um den Staatspräsidenten, demnächst wird es Probleme umdie Parlamentswahlen geben. Ökonomisch ist die Lage ebenfalls äußerst grenzwertig. Zusätzlich spitzt sich die Stimmung zwischen Libanesen und geflüchteten Syrern zu, es fanden bereits Pogrome gegen syrische Flüchtlingslager statt, entsprechend gibt und wird es verstärkte Gegenwehr durch die Syrer geben. Beides ist rassistisch motiviert.

Im Irak kämpfen die irakische Armee und schiitische Milizen auf einer Seite gegen den IS. Dazu wird sich bemüht, die staatliche Gewalt zu dezentralisieren, um Teile der sunnitischen Gemeinschaft im Kampf zu binden. Auch die Peschmerga kämpfen gegen den IS, in Kooperation oder zusätzlich, je nach Lage, agieren auch PKK-nahe kurdische Gruppen gegen den IS. All diese Kräfte; die irakische Armee (plus schiitische und sunnitische Milizen), die kurdischen Peschmerga und die PKK-nahen Kräfte, kämpfen zwar nicht unbedingt gemeinsam; jedoch zumindest vorerst auch nicht gegeneinander. Als neuer unmittelbarer Teilnehmer des Krieges treten die USA, Frankreich, Großbritannien und andere Staaten auf. Deutsche Soldaten helfen den Peschmerga-Truppen mit Ausbildung an deutschen Waffen. US-Soldaten beraten die irakische Armee vor Ort im Kampf gegen den IS. Die politische Lage im Irak ist, ähnlich wie im Libanon, sehr fragil. Über mehrere Monate verweigerte die parlamentarische Mehrheitsfraktion (Teile der Schiiten) einer Regierung der nationalen Einheit (unter Anschluss der sunnitischen und kurdischen Kräfte) ihre Zustimmung, es gab lange Zeit keine Regierung. Die jetzige entstand unter Druck der USA, ihr fehlt immer noch ein Verteidigungs- und Innenminister. In der Autonomen Region Kurdistan bestehen Bestrebungen zur Unabhängigkeit vom irakischen Zentralstaat. Dies wurde nur vorerst aufgrund der gemeinsamen Bedrohung durch den IS zurückgestellt.
Nicht zuletzt gibt es immer wieder Auseinandersetzungen an der jordanisch-irakischen Grenze zwischen dem IS und der jordanischen Armee, die aktuell wiederum an Luftangriffen gegen Syrien beteiligt ist.

Der Krieg in und um Syrien weitet sich also nicht nur geographisch auf die Nachbarländer Irak und Libanon und an den Grenzen Israels, der Türkei und Jordaniens aus, auch die Quantität teilnehmender Kriegsparteien nimmt zu. Wir müssen wortwörtlich von einem Brandherd in der gesamten Region reden.

Es ist fast unmöglich, noch den Durchblick zu behalten, wer mit wem gegen wen kämpft. Die aktuelle Aggression gegen den Irak und Syrien durch die Imperialisten der USA, GB, Frankreich und der BRD und die arabischen Lakaienstaaten, in diesem Fall wieder unter Führung der USA, verschlechtert zusätzlich die Übersichtlichkeit. Wollten die USA die moderaten Kräfte der „syrischen Revolution“ bewaffnen, u.a. die FSA, um Assad letztlich zu stürzen, so ärgern sich diese „moderate“ Kräfte über US-Angriffe auf ihre Verbündeten (bspw. der al-Nusra-Front). Auf den Jubel über die US-Kriegsbereitschaft folgte der Katzenjammer: Die USA und ihre Verbündeten bombardierten bisher keine Stellungen der syrischen Armee, sondern ausschließlich verschiedene islamistische Gruppen, darunter Verbündete der „moderaten Rebellen“. Auf der anderen Seite gibt es Unklarheiten bezüglich der syrischen Regierung; diese scheint sich zumindest mit den US-Luftangriffen auf syrisches Gebiet arrangiert zu haben, wobei auch hier ein gewisses Spaltungspotential in der syrischen Führungsriege gegeben ist.

Die imperialistische Aggression stellt noch keine neue Qualität des Krieges dar, außer der Tatsache ihres grenzübergreifenden Charakters, der jedoch bereits vorher bestand. Die imperialistische Aggression wird aber ab dem Moment, wo Interventionstruppen gesandt werden, eine neue Qualität erhalten.

Politische Lage

Wer die politischen Gründe für die aktuelle Aggression gegen den Irak und gegen Syrien sucht, findet sie in erster Linie in der Bekämpfung der barbarischen und terroristischen Gruppe „Islamischer Staat“. Die Enthauptungen, die Kreuzigungen, die Vernichtung von Kulturgut, die Flucht Zehntausender Yeziden, Hunderttausender aus der Stadt Mossul, die Flucht der Christen, der Massenmord, das sind nur einige Bilder der Barbarei. Wer die Bilder des Schreckens anschaut, dem stockt der Atem.

Das alles ist keine reine Propaganda des Imperialismus, um Stimmung für einen Krieg zu machen. Der Imperialismus bedient sich diese Bilder, um für seinen Krieg zu mobilisieren. Da scheinen die alten Chiffren der Propaganda für einen Krieg gegen Syrien und Assad als nicht ausreichend. Die Bilder von vergasten Kindern waren nicht ausreichend für eine Bombardierung Syriens. Es stellt sich die Frage: Haben wir es hier mit einem Szenario, mit dem die imperialistischen Staaten nicht gerechnet zu haben oder das nicht mehr kontrollieren können, zu tun? Oder ist das einfach „konstruktives Chaos“, d.h. gewolltes Chaos? Oder entspricht die Stärkung von Gruppen wie dem IS den nationalen Verhältnissen im Rahmen von Klassenkämpfen und externer imperialistischer Einmischung?

Ich vertrete letzte Version. Der „Islamische Staat“ ist eine Erscheinung in der arabisch-islamischen Welt. Sie ist in erster Linie eine Erscheinung des Zerfalls der arabischen nationalen Bewegung.
Der sogenannte Islamische Staat ist die bislang reinste und radikalste Form des arabisch-islamischen Konfessionalismus, wobei hier nicht ausschließlich der arabische oder der islamische Konfessionalismus aufgegriffen wird. Der arabisch-islamische Konfessionalismus bezieht auch den kurdischen Nationalismus oder den Konfessionalismus der libanesischen Christen ein. "Arabisch-islamisch" deshalb, weil die gesamte Region von den Arabern und dem Islam geprägt ist2.

Der Islamische Staat ist eine in Teilen Syriens und des Iraks herrschende Gruppe, sie hat ihren Ursprung im Irak und in Al-Qaida. Der „Ruhm“ des Namens IS beginnt mit dem Krieg in Syrien, dort beteiligte sich die Gruppe unter diesen Namen mit dem Zusatz „im Irak und Bilad Al-Sham“3 am Kampf gegen den Präsidenten Assad und seine Regierungstruppen. Sie genoss lang genug Zeit die indirekte und direkte Zustimmung und Unterstützung des Imperialismus wegen ihres Kampfes gegen Assad. Hier wurden alle gegen den syrischen Präsidenten gerichteten Gruppen von arabischen Golfstaaten finanziell, militärisch und personell unterstützt, wobei Saudi-Arabien sich den radikalsten Salafistisch-Wahabistischen Gruppen zuwandte, u.a. der „Al-Nusra-Front“ und dem IS.

Die arabische Nationalbewegung und die Irak-Kriege

Der arabisch-islamische Konfessionalismus ist die Verneinung der arabischen Nation, der jetzige Konfessionalismus ist nichts anderes als Ausdruck einer ernsthaften Krise des arabischen Nationalismus bzw. der arabischen Nationalbewegung. Der Konfessionalismus besagt, dass die Menschen einer Nation nicht gleich sind. Hier sind die Sunniten, da die Schiiten und dort die Christen; sie sind nicht gleich und sollen keine gleiche Rechte besitzen. Die Bürger eines Staates sind ungleich und werden, je nach ihrer Konfession oder Religion, beurteilt, ihnen können Bürgerrechte und -pflichten verwehrt bleiben.

Man kann dies am Besten beim sogenannten Islamischen Staat beobachten, quasi in der Reinform des arabisch-islamischen Konfessionalismus. Nach Theorie und Praxis des IS sollen die Christen beispielsweise entweder religiöse Sondersteuern bezahlen, zum Islam übertreten oder mit ihrer Enthauptung rechnen. Sie dürfen keine Gotteshäuser bauen; alle christlichen Gotteshäuser, die nach Etablierung des Islam gebaut worden sind, sollen zerstört werden und werden auch zerstört.
Der Konfessionalismus strebt zu vor-bürgerlichen und vor-kapitalistischen Verhältnissen zurück. Das gibt uns eine Vorahnung über die sozialen Schichten, die diesen Konfessionalismus stützen. Jedenfalls handelt es sich dabei weder die nationale Bourgeoisie noch die Arbeiterklasse.

Blicken wir auf die arabische Bourgeoisie und ihren panarabischen Nationalismus, so sehen wir auf der gesamten Linie einen Niedergangsprozess seit den achziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die arabische Einheit, die von den arabischen Nationalisten (und der sie tragenden Bourgeoisie) propagiert wird, ist niemals Realität geworden, ebenso wenig wie bspw. militärische Siege gegen den „Erzfeind“ Israel. Auf ökonomischer Ebene existieren kaum Ansätze für eine arabische Einheit (Zollunion, gemeinsame wirtschaftliche Projekte, gemeinsame Währung, etc.), noch finden in den jetzigen arabischen Einzelstaaten ökonomische Großprojekte wie in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts statt (z.B. Bau des Assad-Staudammes). Das Vorantreiben dieser Industrialisierung der jeweiligen arabischen Länder war damals nur mit der Hilfe der UdSSR möglich.
Wir können also eine allgemeine Tendenz zum Niedergang in der arabischen Bourgeoisie und ihrer Ideologie, dem panarabischen Nationalismus, erkennen. Dazu kam der Irak-Krieg 2003 und die damit verbundene Besatzung des Iraks durch US- und britische Imperialisten. Der Irak war eine der letzten Bastionen des arabischen Nationalismus (neben Nasser-Ägypten und Assad-Syrien). Der gesamte Staatsapparates wurde zerstört, stattdessen wurde eine Regierung installiert, die nicht nach gesamt-nationalen (irakischen) Strömungen gebildet war, sondern nach Konfessionen und Ethnien. Der gesamte zerfallene Staatsapparat wird dann nach konfessionalistischen Kriterien besetzt. Parlamentssitze, Minister, Regierungschefs, Parlamentsvorsitz und Präsidenten werden nach Ethnien und Konfessionen zugeteilt. In den Ministerien erhalten dank florierender Korruption Angehörige der Konfession des jeweiligen Ministers ihre Posten. Die prägenden Parteien im Parlament sind sämtlich nicht gesamt-nationalstaatlich, sondern beschränken sich häufig auf eine der Ethnien oder Konfessionen.

Was zunächst eine allgemeine Tendenz in der Entwicklung des wirtschaftlichen und politischen Lebens in der Region war, wurde durch die Politik des Imperialismus und der Besatzung zementiert. Anstelle eines Nationalbewusstseins und der mit ihr verbundenen (juristischen) Gleichheit aller Bürger eines Staates wird ein „Konfessionalbewusstsein“ verstärkt und gezüchtet. Und dabei begehen die Imperialisten noch ein weiteren „Fehler“: Sie nennen die vorherrschende Ethnokratie und die Herrschaft der Konfessionen im Irak eine „Demokratie“, also Herrschaft eines „Staatsvolks“. Das erklärt die Haltung des ehemaligen Ministerpräsidenten des Iraks zur Bildung einer Regierung unter Ausschluss der „Parlamentswahlverlierer“ aus anderen Ethnien und Konfessionen.

Und die Arbeiterklasse?

Ich habe über die Schwächung der arabischen (in diesem Fall nur der irakischen) Bourgeoisie und über die Rolle der imperialistischen Besatzung bei der Zementierung des Konfessionalismus gesprochen. Aber was ist mit der Arbeiterklasse?

In der Tat kann die irakische Arbeiterklasse auf eine lange und starke Geschichte zurückblicken, auch im Verbund mit der Irakischen Kommunistischen Partei. In den 50er Jahren waren die irakischen Gewerkschaften die stärksten im gesamten gemeinsamen arabischen Sprachraum. Ihre Hochburgen lagen in der Ölindustrie. Und heute? Durch die Unterbrechung zu Zeiten des Saddam'schen Baathismus verlor die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung massiv an Einfluss. Klassenbewusstsein in der Masse der Klasse ist angesichts der herrschenden ideologischen Verneblung und aufgrund der reellen ökonomisch-politischen Struktur im konfessionalistischen, post-Baathistischen Irak sehr schwach.

Die sozialen Proteste der Jahre 2011 und 2012 gegen die Sozialpolitik der irakischen Regierung konnten angesichts der Niederschlagung durch Regierungstruppen keinen Erfolg erzielen. Die Verarbeitung dieser Niederlage wird aufgrund der Schwäche der progressiven Kräfte innerhalb der Arbeiterklasse nicht klassenmäßig definiert, sondern konfessionell. Hier die „armen“ Sunniten, dort der schiitische Staatsapparat. Diese Niederschlagung (und zusätzlich den Aufstand der syrischen Massen, der von den sunnitischen Teilen der Bevölkerung geprägt war) radikalisierte breite Schichten des irakischen Sunnitentums und trieb sie in die Arme von Al-Qaida bzw. später des IS. Die Unterstützung der syrischen „Rebellen“ durch die Imperialisten und arabische Reaktionäre ist hinlänglich bekannt. Radikalisierte, verarmte Schichten werden reaktionär aufgeladen und bewaffnet.
Der IS, dder ursprünglich im Irak aktiv war, ist als reinste Form des arabisch-islamischen Konfessionalismus also Produkt des Zerfalls der arabischen Nationalstaatlichkeit, der imperialistischen Besatzung und der fehlenden bzw. schwachen klassenkämpferischen Gegenwehr.
Ohne diese Analyse kann man keine Lösung erwarten. Diese Lösung wäre nicht weniger das Ende jeglicher imperialistischer Einmischung, das Wachstum einer neuen „Bürgerlichkeit“ (Gleichheit aller Bürger) in den arabisch-islamischen Staaten sowie Änderungen in den Sozialsystemen durch eine klassenkämpferische Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung. Da es aktuell danach nicht aussieht, deutet leider alles auf langfristige militärische Auseinandersetzungen, sogenannte Bürgerkriege, in der Region hin.

Was passiert aktuell in der BRD -
und was wären unsere Aufgaben?


Der deutsche Imperialismus ist ein Teil der Aggression gegen Syrien und den Irak: Durch seine Waffenlieferungen an die Peschmerga, das andauernde Verbot der PKK, die Weigerung zu Gesprächen mit der syrischen Regierung und die Unterstützung der türkischen und arabischen Reaktion mit Soldaten und Patriot-Raketen in der Türkei, sowie die Waffenexporte, etc. etc. - wir hätten also genug zu tun in unserem Land.

Aktuell laufen Debatten um diese Aufgaben, z.B. über die Aufhebung des PKK-Verbots. In den bürgerlichen Medien werden Stimmen laut, die dies fordern. Gleichzeitig betonen sie, dass sich die PKK ja zu „gemäßigten“ Kräften entwickelt habe. Sie wollen also eine entwaffnete, gemäßigte PKK. Eine Aufhebung des Verbots mit dem Preis ihrer politischen Entwaffnung muss zurückgewiesen werden. Wir müssen mit den kurdischen Genossen debattieren, dass die PKK im Kampf gegen Imperialismus und Faschismus stärker wird und so den Weg für einen Fortschritt für die kurdische Bevölkerung freimachen kann.

Eine weitere bereits vorhandene und sogar zunehmende Position in den Linken ist die Zustimmung zu Angriffen auf den IS durch den Imperialismus in syrischen und irakischen Staatsgebieten. Die oben genannte Analyse zur Entstehung des arabisch-islamischen Konfessionalismus, namentlich in Form des IS, und die entsprechende Lösung (Ende der imperialistischen Einmischung, neue „Bürgerlichkeit“ und Änderung des Sozialsystems) kann nur langfristige Strategien nach sich ziehen. Als eine sofortige Antwort auf den IS wäre heute (in Übereinstimmung mit den Positionen der arabischen Kommunisten) die militärische Kooperation aller demokratischen Kräfte vor Ort, d.h. von den kurdischen Kräften der YPG bis hin zu den Peschmerga, der irakischen, libanesischen und syrischen Armee sowie ihrer jeweiligen Verbündeten, in Betracht zu ziehen. Das ist der einzig progressive Weg, der die Souveränität aller demokratischen Kräfte und Staaten bewahren kann. Dazu wären notwendigerweise sofort weitgehende politische und soziale Reformen einzuleiten, um schrittweise die gefährlichsten Kräfte des Konfessionalismus zu vernichten.

Ein weiterer Punkt ist die Islamfeindlichkeit, die aktuell zunimmt: Hinter jedem Muslim stecke ein IS-Anhänger, der Islam sei verbrecherisch und terroristisch, etc. Begleitet wird diese rassistische Hetze mit Überlegungen, wie unsere Rechte massiv angegriffen werden können. Von Einschränkungen der bürgerlichen Rechte für Muslime (Entzug von Personalausweisen bzw. Markierung des Ausweises, Reisebeschränkungen, Überwachung, Abschiebung und sogar Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit) bis hin zu Angriffen auf religiöse Einrichtungen ist alles vorhanden. Wir müssen, bei aller Notwendigkeit des Kampfes der Völker des Nahen Ostens gegen die islamistischen Reaktion und bei aller Anerkenntnis der unmenschliche Handlungen dieser Gruppen, gegen Islamfeindlichkeit in Deutschland auftreten und für die Verbesserung der Lage muslimischer Migranten in unserem Land kämpfen. Denn die Erfahrung der Islamfeindlichkeit und das soziale Randständigsein radikalisieren unsere Klassenbrüder und -schwestern muslimischen Glaubens in Deutschland und in Europa. Sie müssen hingegen in den Kampf der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung eingezogen werden.

Wir müssen ebenfalls für die Verteidigung und den Ausbau des Asylrechts in der BRD sowie für die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel und ihrer Nationalität, kämpfen und dabei die demokratischen Kräfte des Bürgertums gewinnen. Wir müssen unsere antifaschistische Arbeit forcieren.

Schließlich müssen wir unsere Analyse - angesichts der Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen und ihrer potenziellen Langfristigkeit - den zwischen-imperialistischen Widersprüchen zuwenden, da in ihnen der Kern einer kriegerischen Handlung in Weltmaßstab liegen kann. Unsere antimilitaristische Arbeit muss stärker werden. Denn Imperialismus bringt Krieg!


Anmerkungen:
1 Sicherheitskräfte der Autonomen Region Kurdistan in der Irakischen Republik.
2 Der Einfachheit halber verwende ich, anstelle von arabisch-islamisch-sunnitischen, arabisch-islamisch-schiitischem, arabisch-alawitischen und arabisch-christlich-maronitischem Konfessionalismus oder auch kurdischem Nationalismus, den Begriff des arabisch-islamischen Konfessionalismus - auch wenn jede Strömung ihre Besonderheiten besitzt und einzeln betrachtet werden muss.
3 "Bilad Al-Sham" bedeutet übersetzt quasi „Großsyrien“, deswegen wird es fälschlicherweise oft als „Syrien“ oder „Levante“ übersetzt. Allerdings umfasst "Bilad Al-Sham" auch Jordanien, den Libanon und Palästina/Israel.



 
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  Kommentar zum Artikel von mischa:
Montag, 27.10.2014 - 10:13

27.10.2014 09:30:30

YPG General Commander Siphan Hemo spoke on the main news bulleting of the Med Nuce TV, saying that ISIS gangs were using all their forces, and even forcing civilians into conflict. Hemo said the decision of the peshmerga to go to Kobanê was positive as it would enable them to broaden the war. Sipan Hemo added that the YPG had fought an honourable war against the ISIS gangs for 41 days, saying with every passing day the YPG and YPJ fighters were defeating the gangs and advancing.

YPG Commander said YPG and YPJ fighters were mounting a fierce resistance to continuing ISIS attacks, adding that with the arrival of the peshmerga, “we will step up the struggle together.” Hemo added that the FSA would be able to make a contribution to the Kobanê resistance by fighting ISIS on other fronts, adding that Turkey was now trying different methods as its calculations had not turned out as it had expected.

Hemo emphasised the role played by the people in all four parts of Kurdistan, saying: “the resistance belongs as much to the Kurdish people involved in resistance as it does to the YPG and YPJ fighters.”

‘We consider the peshmerga’s arrival positive’

Hemo continued: “The peshmerga of Kurdistan should assist in the defence of the Kurdish people everywhere. In many parts of South Kurdistan, first and foremost in Sinjar, our units are fighting together with the peshmerga against ISIS. Their arrival is appropriate and positive,” adding that the peshmerga coming to Kobanê would give a boost to morale.

‘Some groups within the FSA are already fighting alongside us’

Hemo said he also considered the arrival of the Free Syrian Army (FSA) to be positive, saying: “some progressive groups within the FSA are fighting alongside us. They have contacted the YPG recently, they can also fight here.”

‘It would be better if the FSA opened new fronts’

Hemo stressed that ISIS attacks were not limited to Kobanê, saying that ISIS were also in Manbij, Jarablus and Rakka, adding: “If they want to make a contribution to the YPG they can attack ISIS in Manbij or Jarablus. It would be better if a second front was opened.”

Hemo emphasised that Japhat Al Akrad (Kurdish Front) and Burkan Al Firat were already fighting in Kobanê alongside YPG and YPJ forces and that the FSA should hold on to its own areas. He added that the FSA’s attitude to the revolution in Rojava was positive.

‘Turkey does not want the Kurds to be free’

Hemo said the Turkish state had from the start opposed the revolution in Rojava, supporting groups attacking the revolution. He added that the whole world could now see that Turkey had opened the border to the gangs many times, allowing ISIS members to cross into Rojava or Syria.

Hemo added that the Turkish state had not expected Kobanê to resist for so long, saying: “They expected Kobanê to fall, but as it hasn’t they want to send a group that it favours. If Turkey wants to recognise Kobanê it should support those who are resisting. Instead, it has obstructed people from North Kurdistan who want to offer support.”

Hemo said that Turkey wanted to prevent Kurds achieving freedom. They do not want the YPG or the Kurds. They want to finish off the Kurds within the entirety of Syria and the Arabs, but we have said from the start that Kobanê is a Kurdish area. Turkey’s plans will not succeed.”

PYD Commander pointed out that the YPG and YPJ and the Kurdish people of Rojava had done no harm to Turkey and would not do so in the future. “However, they have supported the gangs. If they continue to do this it will bring harm on them,” he added. Hemo concluded by saying that debating which groups should go to Kobanê demonstrated that Turkey had different designs for the area.



  Kommentar zum Artikel von Toto:
Sonntag, 26.10.2014 - 17:10

Hallo
Es tut mir leid, dass ich nicht geantwortet habe, aber ich war krank und hatte für ein längeren Antwort keine Zeit.

Nun versuche ich die aufgeworfene Fragen zu beantworten. Zunächst muss man feststellen, dass dieser Artikel vor etwa 4-5 Wochen bei der DKP Göttingen im Rahmen des regulären Treffen (Mitgliederversammlung) gehalten werden musste und thematisch als der Auftrag rauskam (vier Wochen vorher), den neuen Irak-Krieg zum Thema machen sollte. Damals war der Krieg gegen Syrien nicht Teil und die Lage in Kobane (bzw. ihre Wahrnehmung in Deutschland) war war ebenfalls nicht in der politischen Ebene. Darum möge dieser Artikel einigen als wolle er viele Themen behandeln, das ist so. Dazu sollte dann in der DKP Göttingen weitere Diskussionen einbringen, was ich auch kurz wiedergeben werde (zumindest wo es hier relevant ist)

Beginne mit den letzten Punkt: FSA für Kobane. Das ist zumindest unklar, den Ko-Vorsitzenden der PYD dementiert diese Information der türkischen Präsidenten. Aber das Bündnis der progressiven Opposition, Nationale Koordinierungskomitee, in der auch die PYD arbeitet, spricht durchaus von Beteiligung von einigen Einheiten der FSA. Die genannten FSA-Gruppen aus der Stadt Aleppo, die die YPG unterstützen sollen, haben zum Teil dann den Aufruf ihrer syro-türkischen "Führung" zurückgewiesen. Andere sagen, es soll die nahende militärische Umzinglung der syrischen Armee entgehen durch Umstationierung. Ich hatte früher bereits gesagt, dass die sogenannte FSA erstens keine homogene Gruppe unter einheitlichen Führung wie sie sich selber darstellen. Es ist ein Haufen verschiedenster Gruppen von "Kommunisten" bis hin zu Islamisten. Es wurde mich also nicht wundern, wenn Teile der FSA durchaus mit der YPG eine gemeinsame Sache machen können. Andere werden unter keinen Umstand mit der YPG zusammenarbeiten und die YPG würde sich mit Hände und Füße dagegen wehren mit solchen FSA-Gruppen zusammenzuarbeiten.

Auch hier sei auf die Nachricht hingewiesen, dass die syrischen Informationsministerium (man könnte böse sagen: Propoganda-Ministerium) habe bekannt gegeben, sie hätte die YPG mit Waffen versorgt. Die YPG darauf prompt verneint hat.

Allerdings der gelungene Schachzug der Türkei ist die Integration der Peschmerga in den Kampf um Kobane, es soll nach den heldenhafte Verteidigung der Stadt durch die PKK-Verbündeten eine kurdische Alternative, die Türkei-höriger ist, präsentiert werden. Jene Peschmerga, die mit deutschen Waffen versorgt wird. Allgemein gesagt und das ist nur die Wiederholung der türkischen Genossen. Die kurdische Nationalbewegung steckt in einem Widerspruch, sie will ihre Unabhängigkeit und muss doch sich auf diese oder jene imperialistische oder regionale Macht verbünden. Erinnert sei hier in der Rede Öcalan zum Nerwoz-Fest, wo er auf die lange Gemeinsamkeit des kurdischen und türkischen Volkes und zwar auf der Grundlage des Islams in einer Phase, wo die Türkei sich gegenüber Syrien als der stärkeren Player präsentieren konnte. Da hat jemand auf der Türkei gesetzt und musste heute eines Besseren gelehrt werden. Damals haben unsere Genossen der TKP viel Kritik und Beschimpfung, u.a. in der deutsche Linken, für ihre Kritik an der Politik der PKK. Diesen Widerspruch erleben wir heute tagtäglich durch die Forderung nach Waffenlieferungen und bessere Bombadierung, was schwer den kurdischen Genossen vorzuwerfen ist.


Zum Begriff "neuen Bürgerlichkeit" in der "arabischen" Staaten:
Mir schwebt keinen neuen Baathismus oder arabische Nationsidee vor, sondern im Sinne der marxistischen Nationsbegriff von Genosse Stalin und eine kleine Konkretisierung. Die Nation bzw. Nationalstaat ist der Organisationsrahmen der kapitalistische Warengesellschaft (vllt. hier ein Rückgriff auf Kautsky). In der arabischen Gesellschaften haben sich überall die kapitalistische Warenverhältnisse durchgesetzt, die Bezeichnung der Golfstaat als feudale Diktaturen hält beispielsweise kein ökonomischen Untersuchung stand. Die kap. Warenverhältnisse haben sich überall durchgesetzt, selbst dann, wenn Sklaven (was jetzt in Gebiete des IS und lange Zeit auch in Saudi-Arabien existiert[e]) gibt. Die Hauptproduktivkraft ist der Doppelfreie Arbeiter, der seine Arbeitskraft verkaufen muss. Wenn ich nach Stalin und Kautsky die Nation und Nationalstaat als den Organisationsrahmen der kap. Warengesellschaft sehe, so fehlt für eine arabische Nation jeglicher ökonomische Grundlage (es gibt kein gemeinsamen Wirtschaftsraum, siehe Verkehr, Währung, etc.) und dies wird sich aufgrund der internationalen Kräfteverhältnis nicht verändern. Eine arabische Nation wird meiner Meinung nach nicht geben. Der Kapitalismus in der arabisch-sprachigen (obwohl nicht alle in diese Staaten arabisch sprechen) Gesellschaften hat sich durchgesetzt und hat sein Nationalstaaten gefunden, in Form die jetzt vorhandene Staaten wie Syrien, Irak, Ägypten, etc.

Es gibt andere Genossen, wie in der DKP Göttingen, die sagen diese Staaten (z.B. Syrien, Irak) waren nie lebensfähig, weil sie ein kunstlichen Produkt des Kolonialismus (siehe den Sykes-Picot-Vertrag, aber auch mit den linear gezeichneten Grenzen) sind. Man sehe ja auch heute ihren Zerfall, der syrische und irakische Staat befinden sich aktuell in Auflösungsprozess. Zumindest für Syrien kann ich das verneinen, der Staatsapparat Syrien befindet sich keineswegs in Auflösung. Man sehe die Fähigkeit des syrischen Staates eine zentrale Führung der gesamten Armee, Polizei und Geheimdienst in all ihrer Facetten zu organisieren. Klar gibt es Gebietsverluste. Man müsse sich aber nicht von Zahlentricks beeindrucken lassen. Wer die politische Geographie des Landes kennt, weiß, dass die 70-80%, die damals angeblich unter Herrschaft der FSA standen(erinnert ihr euch daran?), pure Trickserei war und bis heute ist. Die Vereinigten Rebellen Syriens (also FSA, Al-Nusra-Front bis zu IS zusammengenommen) haben bisher geschafft eine große Stadt in der wüsten-ähnlichen Gebiet Syriens unter ihre Herrschaft zu bringen, wo die syrische Führung nicht ihre militärische Schwerpunkt gelegt hat. Und das nach vier Jahre Aggression. Dieser Staat ist überlebensfähig, genauso - das ist eine Behauptung - wie dem Libanon und Irak sind. Was gebraucht wird, ist eine neue Bürgerlichkeit, die sich ganz von arabischen Nation verabschiedet und sich daran setzt die Gleichheit aller Bürger dieser Staaten zu verwirklichen. Damit meine ich für Syrien endlich die reale Gleichheit der kurdischen und arabischen Bürger, Schluss mit der Diskriminierung der religiösen Minderheiten wie die Yezziden und Alawiiten (den Geschwätz von Diskriminierung der Sunniten durch die alawitischen Machthaber habe ich nie Glauben geschenkt) und gleichzeitig Weltlichkeit des Zivilrechts, etc. Diese Bürgerlichkeit wächst wie ich hoffe bereits heute im Krieg, denn alle leisten ihren Anteil für die Verteidigung Syrien und endlich merken viele Syrer, dass von der arabischen Brüder (speziell arabische Liga) kein Beistand geben wird. Ich sage gleichzeitig, dass ich dies für den Irak nicht bestätigen kann.

Die Haltung des alten Regimes der arabisch-sprachigen Raum zur Verwirklichung dieser Gleichheit erst, wenn Palästina frei ist und die arabische Einheit verwirklicht, zu verschieben, kann nicht mehr auf sich warten. Das ist eine radikal-demokratische Haltung, die aber die Vereinheitlichung der Arbeiterklasse in den betreffenden Länder erleichtern wird. Heute stehen die Arbeiter nämlich immer noch getrennt.

Zur Türkei möchte ich nicht viel sagen, hier im Forum ist auch ein Genosse aus der türkischen KP, der vllt besser was dazu sagen kann. Aber soviel sei verraten, Deutschland und der Türkei sind die einzigen Staaten, die ihre Bürger von IS-Geiselnahme friedlich lösen konnten.

Zum Thema: Konfessionalismus (hier bezogen auf kurdischen Nationalismus und Schiitischen Konfessionalismus)
Zuerst möchte kurz sagen, dass der schiitische und sunnitische Islam zumindest in ihrer Entstehung Ausdrücke von sozialen Widersprüche. Der Schiitismus drückte den Protest gegen die herrschende Sunnitentum ("Feudalherren") verdeckt in Form einer religiöse Strömung. Ob dieser Funktion den Widerstand gegen die herrschenden Klasse Arabiens von den Schiitismus erfüllt wird, kann nicht schwarz-weiß beantwortet werden. Die islamische Republik Iran und Hizbollah sind gleichzusetzen, auch dann wenn sie Bündnispartner sind. Genauso wie IR Iran und Syrien nicht gleichzusetzen. Der Hizbollah unterliegt den Widerspruch die libanesischen Schiiten real darzustellen, gleichzeitig kämpft er in Syrien auf Seite des syrischen Volkes (in all seiner Ethnien, Religionsgemeinschaften und Konfessionen). Ich meine bei dem Wort "Konfessionalisten" ein Sammelbegriff, der dann spezifiziert auf die jeweilige "Konfession" bzw. Gruppen werden muss.

Zur Islamfeindlichkeit: Vermutlich versuche ich im Alltag oder in meinen eigenen Kopf immer von "europäischen/weißen" Muslimenfeindlichkeit zu sprechen und zu denken. Aber der Begriff Islamophobia(Angst vorm Islam) hat sich als Begriff durchgesetzt, seine deutsche Übersetzung lautet Islamfeindlichkeit. In diesem Forum - und das übernehme ich - soll sowenig wie möglich Fach- und Fremdbegriffe zu benutzen, damit es allen verständlich bleibt. Darum die deutsche Übersetzung einer allgemeinen benutzten Begriff zur Bezeichnung einer gesellschaftlichen Erscheinung.

Aktuell gibt es Debatten um massive Einschränkung von Rechte Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland, sodass sogar ein "progressiven Kraft" die Abschiebung von Salafisten fordert. Es werden rassistische Beleidigungen gegenüber "Salafisten" in progressiven, teils kommunistische, Kreise von "Sackhaar-Bartenträger" und ähnlichem. Da werden bestimmte rassistische Bilder reproduziert, die so nicht einfach hingenommen werden müssen. Und hier geht es zwar um Fremdenfeindlichkeit, aber in einer spezifischen Form gegenüber Muslime. Wo bleibt der Aufschrei gegen Debatten über Entzug der Staatsbürgerschaft an vermeintliche oder tatsächliche Salafisten.

Der Islam ist wie der Christentum grausam, brutal und reaktionär. Die Sätze im Quran irgendwelche Ungläubige zu töten oder Frauen zu steinigen, findet man genauso im Bibel. Es ist keine marxistische Religionskritik eine Religion ahistorisch und unabhängig von Klassenkämpfe zu kritisieren, der Islam war zum Beispiel zu der Zeit als er auf die Welt kam in der arabischen Halbinsel eine revolutionäre Kraft, die die alte Gesellschaft zerschlug und eine neue erschuff! Das dies heute ist, liegt in der Natur der Sache. Aber da gilt es die Gründe für die "Rückständigkeit" der arabisch-islamischen Gesellschaften in Betracht zu ziehen.

"falls ja: islamfeindlichkeit macht aus deutschen moslems IS-Kämpfer? uiuiui.
da könntest du genauso gut sagen: wessi-gehabe und arbeitslosigkeit macht aus ostdeutschen jugendlichen nazis.
das mag für mache ja stimmen. aber ich würde dem individuum dann doch noch etwas mehr entscheidungsfähigkeit zugestehen, statt sie völlig als opfer ihrer umstände zu sehen."


Zugegeben die Formulierung ist unscharf und missverständlich, es hätte anders geschrieben werden müssen. Sinngemäß begünstigt die Radikalisierung und nicht radikalisiert sie


  Kommentar zum Artikel von retmarut:
Samstag, 25.10.2014 - 19:21

Ja, ist schon erheiternd, wer da jetzt alles "helfen" will:
* die reaktionären KDP-Peschmergas aus dem Nordirak,
* die FSA, die in der Vergangenheit die kurdischen Gebiete zu terrorisieren suchte,
* die USA, die vordem die ISIS noch als Befreiungsorganisation betrachtet hatten
* ...

Eigentlich fehlt nur noch, dass die ISIS selbst den Kurden "zur Hilfe" eilt.


  Kommentar zum Artikel von mischa:
Samstag, 25.10.2014 - 10:59

Zur Kenntnis:
Auch die Rebellen der Freien Syrischen Armee wollen den kurdischen Verteidigern der Stadt Kobane zu Hilfe kommen. Die US-Luftwaffe soll der FSA den Weg dahin freischießen. Die Kurden selbst bleiben skeptisch.
http://www.dw.de/fsa-bietet-1300-k%C3%A4mpfer-f%C3%BCr-kobane-an/a-18018972


  Kommentar zum Artikel von tolpatchow:
Donnerstag, 23.10.2014 - 20:20

Finde den Artikel sehr gelungen. Ein paar Sachen sind mir aber unklar geblieben.
- du rechnest die "kurdischen Nationalisten" zu den Konfessionalisten? Wen umfasst das, auch die PKK?
- was ist mit der Türkei? Die spielt doch auch eine aktive und teilweise eigenständige Rolle im Konflikt. Auch gegen die US-Politik. Stichwort "Neo-Osmanisches Reich", oder hälst du das für Quatsch?
- du schreibst, eine Art neue arabische Nationsidee und Ausbildung eines Bürgertums sei zu unterstützen. Was meisnt du damit? Einen neuen Baathismus?


  Kommentar zum Artikel von smersch:
Mittwoch, 22.10.2014 - 23:51

ich liste einfach mal ein paar punkte auf, zu denen mit was aufgefallen ist:

"von den kurdischen Kräften der YPG bis hin zu den Peschmerga, der irakischen, libanesischen und syrischen Armee sowie ihrer jeweiligen Verbündeten"

zu denen allerdings auch konfessionalisten gehören (z.b die Hisbollah oder der Iran)


"islamfeindichkeit"

ich weiß was du meinst, bin aber trotzdem kein freund des begriffs (oder islamophobie). ich halte feindlichkeit oder gar feindschaft gegen(über) dem islam für nichts schlechtes.
xenophobie und rassismus, besonders gegen menschen aus den nahen osten(aber eben nicht nur) sind natürlich ein problem. aber ich habe das gefühl, der fokus auf den islam ist lediglich neue munition aus alten waffen.

"die aktuell zunimmt"
die "islamfeindlichkeit" wohl schon. da es sich hiebei aber vor allem um türken, araber und iraner handelt (oder wenn xenophobe dafür halten), bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich schwerer für sie geworden ist. feindschaft, gerade gegenüber türken, ist weitaus älter und brauchte den islam bisher nicht. ich glaube, dass neben der umwandlung des globalen klassenkonfliktes in einen globalen kulturenkonfliktes, zusätzlich das selbstbewusstere auftreten von menschen mit bezügen zum nahen osten, dies in den fokus rückt. inzwischen reden ja nicht einfach nur "die deuschen" in ihrem medien über die "türken" oder "moslems". diese reden zunehmend mit und haben natürlich einiges über ihre erfahrungen mit der mehrheitsgesellschaft zu erzählen. und trauen sich das auch zunehmend offensiv zu formulieren und zu forderen,

"der Islam sei verbrecherisch und terroristisch"
verbrecherisch macht ohne verbindung zu einem konkreten rechtssystem natürlich wenig sinn. aber im sinne von barbarisch, grausam, reaktionär: doch, das gibt er her. dieses beispiel macht neben dem "jeder-moslem-ein-is-kämpfer" nicht so viel sinn, da eben nicht polemisch.

"Denn die Erfahrung der Islamfeindlichkeit und das soziale Randständigsein radikalisieren unsere Klassenbrüder und -schwestern muslimischen Glaubens in Deutschland und in Europa."

du meinst wahrscheinlich radikalisieren im sinne von IS, oder? denn ganz klar wird das nicht.

falls ja: islamfeindlichkeit macht aus deutschen moslems IS-Kämpfer? uiuiui.
da könntest du genauso gut sagen: wessi-gehabe und arbeitslosigkeit macht aus ostdeutschen jugendlichen nazis.
das mag für mache ja stimmen. aber ich würde dem individuum dann doch noch etwas mehr entscheidungsfähigkeit zugestehen, statt sie völlig als opfer ihrer umstände zu sehen.

die für mich logischere reaktion wäre: ein aufbegehren gegen die xenophobie und den rassismus in deutschland, besonders von den menschen die "optische" in den nahen osten geackt werden. und das passiert ja auch. z.b. durch zunehmendes engagement in der spd oder linkspartei. den "muslimischen" identitätsaspekt versucht ja gerade die cdu für sich zu kultivieren und da gehört er auch hin. kommunisten sollten in diesem kontext wohl stärker die verzahnung von xenophober, rassistischer und konfessioneller abschottung und kaptalistischer und imperialistischer ausbeutung herstellen, damit der kampf gegen die bürgerliche zumutungen nicht vollständig in einem kapitalisimuskonformen antirassismus aufgeht. ("die flüchtlinge von heute, sind die facharbeiter von morgen"- bayerischer landesbischof der evangelische kirche)

soviel erstmal dazu. kein schlechter text, da er viele verschiedene aspekte versucht zu beleuchten. aber ich glaube, dass ist auch so ein bisschen das problem. er will zuviel auf einmal. eine aufspaltung in mehrere, die geradliniger und pointierter verlaufen, fände ich persönlich besser.



  Kommentar zum Artikel von MARFA:
Dienstag, 21.10.2014 - 18:17

Bin bisher erst zum raschen rüberlesen gekommen - aber vielen Dank schonmal für diesen Artikel!

"Der „Islamische Staat“ ist eine Erscheinung in der arabisch-islamischen Welt. Sie ist in erster Linie eine Erscheinung des Zerfalls der arabischen nationalen Bewegung. [...]
Der arabisch-islamische Konfessionalismus ist die Verneinung der arabischen Nation, der jetzige Konfessionalismus ist nichts anderes als Ausdruck einer ernsthaften Krise des arabischen Nationalismus bzw. der arabischen Nationalbewegung. Der Konfessionalismus besagt, dass die Menschen einer Nation nicht gleich sind. Hier sind die Sunniten, da die Schiiten und dort die Christen; sie sind nicht gleich und sollen keine gleiche Rechte besitzen. Die Bürger eines Staates sind ungleich und werden, je nach ihrer Konfession oder Religion, beurteilt, ihnen können Bürgerrechte und -pflichten verwehrt bleiben. [...]
Wir können also eine allgemeine Tendenz zum Niedergang in der arabischen Bourgeoisie und ihrer Ideologie, dem panarabischen Nationalismus, erkennen. "


So ähnlich schwebte mir das schon längere Zeit im Kopf herum! Aber eben ohne Einordnung in die weltweiten Widersprüche. Super Analyse!