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BERLIN (02.04.2014) - Auf dem heute beginnenden EU-Afrika-Gipfel treiben Berlin und Brüssel den Ausbau ihrer militärischen und militärpolitischen Aktivitäten auf dem afrikanischen Kontinent voran. Neben Beschlüssen zur EU-Intervention in der Zentralafrikanischen Republik stehen Verhandlungen über den weiteren Aufbau afrikanischer Security-Strukturen unter Aufsicht der EU auf dem Programm. Die Maßnahmen sollen afrikanische Kräfte nutzen, um "Ordnungs"-Vorstellungen im Sinne Berlins und Brüssels zu realisieren: Man müsse keine eigenen Kampftruppen schicken, um zur Sicherung seines Einflusses in einer "Krisenregion eine Präsenz- und Beobachtungsposition" einzunehmen, urteilen Experten. In diesem Sinne unterstützt die Bundesrepublik die Afrikanische Union (AU) beim Aufbau ihrer Militärstrukturen und nimmt an "Ausbildungsmissionen" in Somalia und Mali teil; weitere Schritte könnten in absehbarer Zeit im westafrikanischen Golf von Guinea eingeleitet werden, um dort Piraterie zu bekämpfen, heißt es in einem Diskussionspapier. Experten weisen darauf hin, dass deutsch-europäische Kampfeinsätze in Afrika trotz der Nutzung afrikanischer Streitkräfte vorgesehen sind. Die EU-Militäraktivitäten zielen darauf ab, den westlichen Einfluss auf dem Kontinent zu sichern - gegen China.

Intervention in der Zentralafrikanischen Republik

Militärische Aktivitäten der EU auf dem afrikanischen Kontinent bilden einen der Schwerpunkte des heute in Brüssel beginnenden EU-Afrika-Gipfels. Bereits heute soll auf einem "Mini-Gipfel" am Rande des Treffens die EU-Intervention in der Zentralafrikanischen Republik in Schwung gebracht werden. Zuletzt hatte die Krim-Krise zu spürbaren Verzögerungen geführt, weil sie einige östliche EU-Staaten veranlasst hatte, ihre Truppenzusagen zurückzuziehen. Frankreich hat sich nun bereiterklärt, die dadurch entstandenen Lücken zu schließen. Deutschland will zwei Flugzeuge für den Transport von Truppen und Kriegsgerät sowie einen Sanitätsflieger stellen; außerdem werden bis zu zehn deutsche Militärs in das strategische Hauptquartier der EU-Truppen im griechischen Larissa ("Operation Headquarters", OHQ) und in das operative Hauptquartier in Bangui ("Force Headquarters", FHQ) entsandt. Die EU-Einheit soll die Bürgerkriegsparteien kurzfristig von weiteren Kämpfen abhalten und schon bald durch afrikanische Einheiten ersetzt werden. Während Paris sich in seiner früheren Kolonie als "Ordnungsmacht" zu behaupten sucht, verfolgt Berlin keine strategischen Interessen in der Zentralafrikanischen Republik.1

"Ertüchtigungsinitiative" oder: E2I

Jenseits solch tagespolitischer Fragen stehen auf dem EU-Afrika-Gipfel auch Verhandlungen über den weiteren Aufbau afrikanischer Security-Strukturen auf dem Programm. Hintergrund ist ein im Kern keineswegs neues Konzept, das im außenpolitischen Establishment Berlins zur Zeit unter dem Schlagwort "Ertüchtigungsinitiative" oder - etwas modischer - unter der Bezeichnung "Enable and Enhance Initiative" (E2I) diskutiert wird. Wie die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift "Internationale Politik" festhält, wird das Konzept seit 2011 von Bundeskanzlerin Angela Merkel offensiv vertreten: "Weil EU und NATO nicht alle sicherheitspolitischen Probleme alleine lösen könnten, sei es notwendig, auch regionale Partner in die Verantwortung zu nehmen", referiert das Blatt eine Rede der Kanzlerin bei der Kommandeurtagung der Bundeswehr im Herbst 2012. Die Zeitschrift weist explizit darauf hin, dass die Nutzung afrikanischer Staaten zu "Ordnungszwecken" unter europäischer Aufsicht keinen Kontrollverlust bedeuten muss: "Durch das vermittelte Know-how europäischer Partner" könne "in der Krisenregion eine Präsenz- und Beobachtungsposition eingenommen werden", die es erlaube, "Informationen über interne Strukturen" zu erlangen und so "die Verbindung mit aktuellen oder potenziellen Handelspartnern" abzusichern.2

Manöver im Golf von Guinea

Als möglicher Testfall für das "E2I"-Konzept, das auf deutsche Initiative in die Abschlusserklärung des EU-Gipfels vom Dezember 2013 aufgenommen worden ist, gilt ein derzeit erwogener Einsatz im Golf von Guinea. Dort kommt es gelegentlich zu Überfällen von Piraten auf Handelsschiffe, die, wie es nun heißt, dringend unterbunden werden müssten. Dazu könnten westafrikanische Staaten herangezogen werden, heißt es in einem internen Diskussionspapier, aus dem die "Internationale Politik" zitiert: Die EU solle ihnen "helfen, eine regionale Strategie zur Bekämpfung von Piraterie und bewaffneten Überfällen auf See zu entwickeln", und den "Aufbau von Kapazitäten in den Bereichen Koordination, Kooperation und Interoperabilität" unterstützen. Dazu könnten auch "gemeinsame Manöver europäischer und westafrikanischer Streitkräfte" dienen, etwa das in der Region stattfindende Manöver "Obangame Express 2014" ("OE-14"), an dem sich - unter US-Führung - ab diesem Monat auch die deutsche Kriegsmarine beteiligen wird. Daran anknüpfend könne man "ein langfristiges Anti-Piraterie-Programm der EU für den Golf von Guinea" entwickeln, heißt es weiter: im Rahmen der Militärpolitik der EU (GSVP), gestützt auf Streitkräfte aus der Region und ohne Notwendigkeit, eigene Soldaten in gefährliche Situationen entsenden zu müssen.3

AU-Security-Strukturen

Mit ähnlicher Stoßrichtung fördert Berlin schon seit mehreren Jahren den Aufbau einer Security-Infrastruktur durch die Afrikanische Union (AU). Allein im Zeitraum von 2008 bis 2014 hat das Auswärtige Amt rund 159 Millionen Euro für die "African Peace and Security Architecture" zur Verfügung gestellt. Damit wurden etwa der Auf- und der Ausbau regionaler Trainingszentren für Militär und Polizei unterstützt, insbesondere des "Kofi Annan International Peacekeeping Training Center" (KAIPTC) in Accra (Ghana), das am 24. Januar 2004 im Beisein des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder eröffnet wurde; bereits damals hatte Berlin finanzielle Hilfen bereitgestellt. Berlin unterstützt den Aufbau der Polizeikomponente der "African Standby Forces" (ASF) und organisiert Ausbildung und Training afrikanischer Polizisten im Rahmen des "Polizeiprogramms Afrika" der deutschen Entwicklungsagentur GIZ.4 Mitte Februar hat der "Deutsch-Französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat" erklärt, der heute beginnende EU-Gipfel solle die "Fähigkeiten" der AU im Security-Bereich weiter stärken.5 Erst letzte Woche hat der deutsche Außenminister bei einem Besuch in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba - dort hat die AU ihren Sitz - erklärt, Berlin werde "in Zukunft noch stärker bei der Ausbildung von Sicherheitskräften helfen". Steinmeier besichtigte in Addis Abeba auch ein neu entstehendes AU-Gebäude, das von Deutschland mit 27 Millionen Euro finanziert und mit Hilfe der GIZ errichtet wird. Es soll Ende 2014 fertiggestellt werden und bietet der AU-"Abteilung für Frieden und Sicherheit", dem "Rat für Frieden und Sicherheit der AU" und einem Lage- und Reaktionszentrum Raum.6

Militärtraining in Somalia und Mali

Um einheimische Kräfte zu "Ordnungs"-Aufgaben nach deutsch-europäischen Vorstellungen heranzuziehen, beteiligt sich die Bundeswehr schon seit einiger Zeit auch an sogenannten Ausbildungseinsätzen: Deutsche Militärs trainieren Soldaten aus Somalia (zunächst in Uganda, jetzt in Mogadischu) und aus Mali, beides im Rahmen von EU-Interventionen (EUTM Somalia sowie EUTM Mali). Dabei zeigen - darauf weist die "Internationale Politik" hin - beide "Ausbildungsmissionen", dass auch der Versuch, militärische "Ordnungs"-Tätigkeiten mit Hilfe afrikanischer Kräfte durchzuführen, nicht ohne blutige Kampfeinsätze der EU auskommen wird: Auch Trainingsmaßnahmen seien prinzipiell "auf einen gleichzeitigen robusten Schutz- und Stabilisierungseinsatz angewiesen".7 Entsprechend hat Berlin im Januar angekündigt, in Zukunft werde die Bundeswehr häufiger in Afrika intervenieren.8 Der Machtkampf um die Ukraine hat dies lediglich eine Zeitlang in den Hintergrund gedrängt.

Dann eben anders

Die Ausweitung der deutsch-europäischen Militär-Aktivitäten in Afrika findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem einerseits die Vereinigten Staaten sich auf ihren Machtkampf gegen China vorbereiten und deshalb deutsch-europäische "Ordnungs"-Versuche auf dem afrikanischen Kontinent, von dem sie sich langfristig ein Stück weit zurückziehen wollen, prinzipiell unterstützen. Andererseits verlieren Deutschland und die EU zur Zeit in Afrika wirtschaftlich an Einfluss - vor allem gegenüber China: Investitionen und Handel der Volksrepublik mit dem afrikanischen Kontinent steigen rapide an; bereits 2012 belief sich der chinesisch-afrikanische Handel auf einen Wert von 150 Milliarden Euro, während der deutsche Handel mit Afrika südlich der Sahara nur auf ein Volumen von 26,6 Milliarden Euro kam. Afrika könne heute "selbstbewusster auftreten", da es "nicht mehr ausschließlich auf die EU als Partner angewiesen" sei, urteilen Beobachter.9 Der Verlust ökonomischer Dominanz geht auf deutsch-europäischer Seite mit dem Bemühen einher, die eigene Stellung dann eben anders zu sichern - mit militärischen Mitteln.

Anmerkungen:
1 S. dazu Deutschland 001.
2, 3 Jana Puglierin, Sebastian Feyock, Yvonne van Diepen: Ertüchtigen statt wegsehen. Eine deutsche Initiative soll das Krisenmanagement der GSVP verbessern. Internationale Politik März/April 2014.
4 Frieden und Sicherheit in Afrika. www.auswaertiges-amt.de.
5 Erklärung des Rates des Deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates (DFVSR). www.auswaertiges-amt.de 19.02.2014.
6 Äthiopien: Aufbau der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur. www.auswaertiges-amt.de 27.03.2014.
7 Jana Puglierin, Sebastian Feyock, Yvonne van Diepen: Ertüchtigen statt wegsehen. Eine deutsche Initiative soll das Krisenmanagement der GSVP verbessern. Internationale Politik März/April 2014.
8 S. dazu Die Agenda 2020, Deutschlands Befreiungsschlag und Der Weltordnungsrahmen.
9 Europa und Afrika debattieren Freihandel. www.dw.de 31.03.2014.



 
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