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Dossier: Flüchtlinge in Europa // Der Kapitalismus selbst ist die Katastrophe!
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Übe­r­all in die­sem Land, in Ost und West, kämp­fen Flücht­lin­ge um ihr Recht, um men­schenwürdi­ge Be­hand­lung, um die in der UN-Flücht­lings­kon­ven­ti­on fest­ge­schrie­be­nen Rech­te, die ih­nen hier ver­wehrt wer­den (Recht auf Ar­beit, Recht auf Freizügig­keit – das ih­nen durch die ein­zig in der BRD ver­ord­ne­te „Re­si­denz­pflicht“ ge­nom­men wird) und vor al­lem natürlich um das Recht auf Asyl. Sie trot­zen der Ver­fol­gung durch die Staats­or­ga­ne, sie ha­ben nichts zu ver­lie­ren. In Ber­lin nahm die Po­li­zei im De­zem­ber vo­ri­gen Jah­res Hun­ger­strei­ken­den ei­nen Wärme­bus und De­cken weg, um sie zum Auf­ge­ben zu zwin­gen. In München wur­de das Camp der Hun­ger­strei­ken­den mit Ge­walt auf­gelöst. Der Pro­test­marsch von Flücht­lin­gen durch Bay­ern wird gna­den­los von der Po­li­zei ver­folgt („Ver­s­toß ge­gen die Re­si­denz­pflicht“). In Ei­senhütten­stadt gibt es eine Rich­te­rin, die re­gelmäßig Flücht­lin­ge nach ei­ner Ver­hand­lung von 15 Mi­nu­ten ver­ur­teilt, mit Be­mer­kun­gen wie „Asyl­tou­ris­ten“. Die Flücht­lin­ge kämen nach Deutsch­land, „um Straf­ta­ten zu be­ge­hen”, was dann dazu führe, dass in Deutsch­land Span­nun­gen entstünden, die sich „durch wei­te­re Straf­ta­ten ent­la­den” würden1. Ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren we­gen Rechts­beu­gung wird von der Staats­an­walt­schaft ein­ge­stellt.

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Das sind nur ganz we­ni­ge Be­spie­le dafür, wie sehr sich der Kampf um das Asyl­recht zu­ge­spitzt hat. Der zuständi­ge Bun­des­mi­nis­ter Fried­rich (In­ne­res) wal­tet sei­nes Am­tes, in­dem er ge­gen die von Krieg und Un­ter­drückung Ge­beu­tel­ten und Ge­hetz­ten Stim­mung macht: Er fin­det den „Zu­strom alar­mie­rend“ und fürch­tet 100.000 Asyl­anträge. Hun­dert­tau­send! Neh­men wir mal 80 Mil­lio­nen Ein­woh­ner der BRD. Dann kommt auf 800 Be­woh­ner 1 (in Wor­ten: ein) Flücht­ling. Hil­fe!! Deutsch­land wird von ei­nem Re­gen­trop­fen über­flu­tet!

Von all die­sen Nie­de­run­gen des All­tags in der BRD un­be­hel­ligt kümmert sich die Kanz­le­rin um die deut­sche He­ge­mo­nie in Eu­ro­pa und der Außen­mi­nis­ter um den Platz an der Son­ne für den deut­schen Im­pe­ria­lis­mus auf dem Rest der Welt. Den­noch lan­de­te ein Asyl­an­trag An­fang Juli auf den Schreib­ti­schen von Kanz­le­rin und Außen­mi­nis­ter. Es war der An­trag des US-Bürgers Ed­ward Snow­den, bis vor kur­zem Mit­ar­bei­ter des Ge­heim­diens­tes NSA, jetzt als Whist­leb­lo­wer po­li­tisch Ver­folg­ter.

Snowden und das deutsche Asyl(verhinderungs)recht

Warum Hellersdorf?
Warum nicht Reinickendorf?


Mar­zahn-Hel­lers­dorf ist ein Ber­li­ner Be­zirk – Rei­ni­cken­dorf eben­falls. In Hel­lers­dorf wen­det sich eine ras­sis­ti­sche „Bürger­initia­ti­ve“ ge­gen Flücht­lin­ge – in Rei­ni­cken­dorf eben­falls. Bei­de ha­ben so­gar den glei­chen An­walt, den üblen Ras­sis­ten Jens-Ge­org Mor­gen­stern.

In Rei­ni­cken­dorf gab es – noch be­vor es in Hel­lers­dorf so rich­tig mit der po­gro­m­ar­ti­gen Stim­mung los­ging – wi­der­li­che Vorgänge. Mor­gen­stern ließ kein ras­sis­ti­sches Kli­schee aus, um ge­gen die Flücht­lin­ge vor­zu­ge­hen und ihre Ver­trei­bung durch­zu­set­zen. Außer­dem for­der­te er im Na­men sei­ner Man­dan­ten, dass die Flücht­lings­kin­der nicht auf dem Spiel­platz der Wohn­ei­gentümer­ge­mein­schaft spie­len dürfen. In­zwi­schen ist der Spiel­platz, auf dem sonst kei­ne Kin­der zu se­hen sind, ein­gezäunt. Die Rach­sucht an Flücht­lings­kin­dern hat of­fen­bar so­gar das Be­zirks­amt Rei­ni­cken­dorf er­grif­fen: ein „an­ti­ras­sis­ti­scher Spiel- und Ba­de­tag“, ver­an­stal­tet von Flücht­lin­gen und Un­terstützern, muss­te von Rei­ni­cken­dorf nach Kreuz­berg ver­legt wer­den, weil das Be­zirks­amt Rei­ni­cken­dorf ge­gen die Ver­an­stal­ter ein Hüpfbur­gen­ver­bot verhängt hat­te, und das wur­de so­gar noch vom Ver­wal­tungs­ge­richt bestätigt!6

War­um nun stürzen sich die Na­zis auf Hel­lers­dorf und zie­hen da­mit die ge­sam­te Auf­merk­sam­keit der Me­di­en, so­gar in­ter­na­tio­nal, auf die­sen Be­zirk? Wären nicht in Rei­ni­cken­dorf min­des­tens eben­so gute Vor­aus­set­zun­gen für eine Po­grom­stim­mung ge­we­sen? Was ist der Un­ter­schied zwi­schen den bei­den Be­zir­ken?

Wer das nicht so­wie­so weiß, muss nur ei­nen Blick in ei­nen Ber­li­ner Stadt­plan tun, um Be­scheid zu wis­sen: Rei­ni­cken­dorf liegt in Ber­lin-West, Mar­zahn-Hel­lers­dorf in Ber­lin-Ost. Für die Na­zis ist das wie­der mal ein An­lass, die be­son­de­re Un­ter­drückung der in die BRD ein­ver­leib­ten Ost­deut­schen dem­ago­gisch zu nut­zen und ras­sis­tisch zu wen­den. Und da­mit be­die­nen sie gleich­zei­tig das alte Vor­ur­teil, das zum nie en­den­den Kampf ge­gen die an­geb­lich so tote DDR ge­nutzt wird: die Os­sis ha­ben in der Dik­ta­tur kei­ne De­mo­kra­tie ge­lernt, des­halb sind sie ras­sis­tisch und für die Na­zis etc. etc.

Mar­zahn-Hel­lers­dorf ist für die­ses Kli­schee be­son­ders be­liebt we­gen sei­ner zahl­rei­chen Großsied­lun­gen, als „Plat­ten­bau­ten“ ge­schmäht, hin­ter de­ren Gar­di­nen an­geb­lich die dum­men Os­sis sit­zen, die den Na­zis hin­ter­her ren­nen.

Nur: in die­sem Fall lässt sich sehr leicht nach­wei­sen, dass dar­an über­haupt nichts stimmt. Die Rei­ni­cken­dor­fer und die Hel­lers­dor­fer Bürger­initia­ti­ven ha­ben nämlich noch eine Ge­mein­sam­keit: in Rei­ni­cken­dorf han­delt es sich hauptsächlich um Be­sit­zer von Ei­gen­tums­woh­nun­gen7 in Hel­lers­dorf sind das „zum Großteil Ei­gen­heim­be­sit­zer, die Angst um Grundstück­s­prei­se und ihre Gar­tenzäune ha­ben“.8 Auch Rechts­an­walt Mor­gen­stern äußerte sich be­sorgt über die sin­ken­den Prei­se der Im­mo­bi­li­en sei­ner Man­dan­ten, wenn Flücht­lin­ge in der Nähe woh­nen.9

In ganz Ber­lin ha­ben Mie­ter Angst da­vor, dass ihre Wohn­ge­gend „auf­ge­wer­tet“ wird durch Lu­xus­woh­nun­gen etc. – denn das kann un­be­zahl­ba­re Mie­ten be­deu­ten. Sin­ken­de Grundstück­s­prei­se sind für Mie­ter eher güns­tig, sie können hof­fen, von hor­ren­den Miet­erhöhun­gen ver­schont zu blei­ben. Also gibt es für die Mie­ter in Großsied­lun­gen („Plat­ten­bau­ten“) über­haupt kei­ne ma­te­ri­el­le Ein­schränkung durch die Flücht­lin­ge. Das heißt natürlich nicht, dass es dort kei­ne ras­sis­tisch ver­hetz­ten Men­schen gibt. Aber er­wie­se­ner­maßen stützen sich die bei­den Bürger­initia­ti­ven nun mal auf Im­mo­bi­li­en­be­sit­zer – ob klei­ne­re oder größere, je­den­falls in­ter­es­siert an ho­hen Grundstück­s­prei­sen und da­mit an ei­ner von Flücht­lin­gen gesäuber­ten Um­ge­bung (wo­bei natürlich auch nicht je­der, der ein Häuschen mit Gar­ten hat, ein Ras­sist sein muss). Da­mit wis­sen wir, was wir von den laut­stark um ihre Au­tos und um ihre Kin­der be­sorg­ten Hel­lers­dor­fer Haus­frau­en zu hal­ten ha­ben, und von dem dämli­chen Kli­schee des Mar­zahn-Hel­lers­dor­fer-Plat­ten­bau-Nazi-Os­sis und von die­ser Hel­lers­dor­fer Nazi-In­sze­nie­rung, auf die die ge­sam­te bürger­li­che Pres­se gern her­einfällt!

E.W.-P.
Der An­trag Snow­dens wur­de ab­ge­lehnt. Begründung: Um ei­nen Asyl­an­trag zu stel­len, müsste Snow­den sich in der BRD auf­hal­ten. Das ist eine die­ser nie­der­träch­ti­gen büro­kra­ti­schen Begründun­gen, wie sie in den seit 1993 gülti­gen Zusätzen zum Asyl­recht (oder ei­gent­lich zur Ver­nich­tung des Asyl­rechts) im Grund­ge­setz fest­ge­schrie­ben sind.

Nicht der Hass auf die­se Nie­der­tracht, son­dern ganz an­de­re Lei­den­schaf­ten fühl­ten so man­che bra­ven De­mo­kra­ten nach die­ser Ab­leh­nung in ih­rer Brust. Snow­den habe, so Jürgen Trit­tin (Grüne) „Deutsch­land ei­nen Dienst er­wie­sen. Die Bun­des­re­gie­rung soll­te ihm Schutz gewähren”.2 Ja, war­um fin­det die­se va­terländi­sche Be­geis­te­rung, die nicht nur Trit­tin und an­de­re kleinbürger­li­che De­mo­kra­ten er­fasst hat, kein Echo bei der Bun­des­re­gie­rung?

Die Ant­wort kann nur je­mand ge­ben, der sich in Va­ter­lands­lie­be nicht über­tref­fen lässt, ein prag­ma­ti­scher, mit al­len Was­sern ge­wa­sche­ner So­zi­al­de­mo­krat, ei­ner wie der SPD-In­nen­po­li­ti­ker Die­ter Wie­felspütz. Zwar sei es außer­or­dent­lich sym­pa­thisch „und in ge­wis­ser Wei­se viel­leicht so­gar be­wun­derns­wert”, was Snow­den ge­macht habe, so Wie­felspütz, doch sei Ge­heim­nis­ver­rat auch in Deutsch­land straf­bar3.

Natürlich ha­ben bei der Ab­leh­nung von Snow­dens Asyl­an­trag di­plo­ma­ti­sche Rück­sich­ten eine Rol­le ge­spielt. Aber die­se Ab­leh­nung ist gar kei­ne Aus­nah­me, son­dern die Re­gel. Es geht bei Snow­den und bei al­len an­de­ren auch um eine Furcht der Herr­schen­den, die ein wich­ti­ger Grund für die Ab­leh­nung po­li­tisch Ver­folg­ter ist – die Furcht vor der Vor­bild­funk­ti­on. Wie­felspütz warnt hier vor der Straf­bar­keit der Ge­wis­sens­ent­schei­dung (und kei­ne an­de­re „Straf­tat“ kann man ja Snow­den vor­wer­fen). Es ist schon er­schre­ckend ge­nug für Re­gie­rung und Chef­eta­gen, dass die Hartz-4-Sach­be­ar­bei­te­rin Inge Han­ne­mann die Ma­chen­schaf­ten der Job-Cen­ter ans Ta­ges­licht brach­te – sie darf nun nicht mehr im Job-Cen­ter ar­bei­ten. Aber das ist noch „harm­los“, weil es sich hier um kei­nen Ge­heim­dienst han­delt. Aber wenn nun ein Snow­den Schu­le macht? Was, wenn ein­fa­chen Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ten beim Ver­fas­sungs­schutz das Ge­wis­sen schlägt und sie uns ver­ra­ten, was in den ge­schred­der­ten Ak­ten zu den NSU-Mor­den stand? Was, wenn Tech­ni­ker aus den deut­schen Ge­heim­diens­ten Abhörprak­ti­ken ge­gen Ge­werk­schaf­ten und po­li­ti­sche Or­ga­ni­sa­tio­nen der Ar­bei­ter­be­we­gung of­fen­ba­ren? Was, wenn von An­ge­stell­ten des BNDs of­fen­ge­legt wird, dass die­ser Ge­heim­dienst ge­nau­so im Weißen Haus in Wa­shing­ton her­um­schnüffelt wie die NSA im Ber­li­ner Kanz­ler­amt?

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Dar­auf müssen wir un­ser Au­gen­merk le­gen, wenn es um den Asyl­an­trag Snow­dens geht – auf die Un­ter­drücker und Aus­beu­ter in un­se­rem ei­ge­nen Land, de­nen va­terländi­sche Auf­wal­lun­gen ge­gen ihre im­pe­ria­lis­ti­schen Kon­kur­ren­ten und „Angst“ vor NSA, Goog­le, Mi­cro­soft und Co. wun­der­bar in den Kram pas­sen.

Karl Lieb­knecht schrieb im Herbst 1917 in ei­nem Brief aus dem Zucht­haus Luckau: „Ge­setzt den Fall: in Ber­lin hau­se eine Räuber-/?Ein­bre­cher-/?ban­de – u. in Pa­ris eine and­re. Was ist da­ge­gen zu tun? Die Re­gie­rungs­so­zia­lis­ten sa­gen: Ganz ein­fach: Die Ber­li­ner for­dern von den Pa­ri­sern, dass die dor­ti­ge Ban­de unschädlich ge­macht wer­de, die Pa­ri­ser von den Ber­li­nern, dass sie die hie­si­ge ab­half­tern, wid­ri­gen­falls –. Wir sa­gen: Da könnt ‚ ihr lan­ge hin- u. her­for­dern‘! Wir wis­sen ein bess­res Re­zept: Ihr Ber­li­ner packt die Ber­li­ner Ban­de, ihr Pa­ri­ser die Pa­ri­ser Ban­de – so seid ihr bei­de mit ei­nem Schla­ge los. Nun ur­teilt, wel­che Tak­tik ist vor­zu­zie­hen?“ 4

Aus der Rede des KPD-Abgeordneten Renner im Parlamentarischen Rat 1949 zum Asylrecht

Herr Dr. von Bren­ta­no will das Asyl­recht nur de­nen gewähren, die ihr Hei­mat­land ver­las­sen muss­ten, weil sie auf­rech­te Kämp­fer für die De­mo­kra­tie wa­ren. Nun ken­ne ich kein Land in Eu­ro­pa, das nicht von sich be­haup­tet, dass der Zu­stand in sei­nem Land die De­mo­kra­tie schlecht­hin ist. Ich ken­ne kein sol­ches Land. Alle Länder, auch Spa­ni­en10, be­haup­ten, de­mo­kra­ti­sche Länder zu sein. Die Mei­nun­gen darüber ge­hen natürlich aus­ein­an­der. Was der eine als De­mo­kra­tie an­sieht, ist dem an­de­ren das Ge­gen­teil. Ich las­se durch­aus of­fen, wel­che Mei­nung rich­tig ist. Ich rede nur schlecht­hin von der Tat­sa­che, dass je­des Land sei­ne Re­gie­rungs­form als de­mo­kra­tisch an­spricht. Nur die­je­ni­gen, die ge­gen die dort exis­tie­ren­de Staats­ord­nung an­ge­hen, ver­s­toßen dann nach Auf­fas­sung der dort herr­schen­den Ge­walt ge­gen die De­mo­kra­tie. Sie müssen aus die­sem Grund das Land ver­las­sen. Sie sind also in je­dem Fall vom Stand­punkt ih­res Hei­mat­lan­des aus ge­se­hen als Kämp­fer ge­gen die De­mo­kra­tie in dem je­wei­li­gen Land an­zu­spre­chen. Dass man aber im 20. Jahr­hun­dert als po­li­tisch rei­fer Mensch und De­mo­krat über­haupt den Ge­dan­ken aus­spre­chen kann, es sei not­wen­dig, das Asyl­recht ein­zu­en­gen, das geht weit über mein Be­griffs­vermögen hin­aus. Es gehört doch hier zum gu­ten Ton, die größten eu­ropäischen Länder ge­ra­de­zu als Mus­ter von De­mo­kra­ti­en hin­zu­stel­len; ich den­ke an Frank­reich und Eng­land. Wie steht es da­mit? Frank­reich war das Land, das bis zu ei­nem ge­wis­sen Zeit­punkt – nämlich bis zu dem Zeit­punkt, als die Kräfte von Vichy11 an die Macht ka­men – das ab­so­lu­te Asyl­recht gewährte. Da wur­den aus Deutsch­land Kom­mu­nis­ten und An­ti­fa­schis­ten je­der Schat­tie­rung auf­ge­nom­men. Es wur­den die Kämp­fer für das Za­ren­tum, die Weiss­gar­dis­ten usw. auf­ge­nom­men, je­der hat­te Asyl­recht.

(Zu­ruf: So­gar Rau­sch­ning12.)
– Auch Rau­sch­ning; es ist gut, dass Sie das brin­gen. Schließlich, wenn Hit­ler ge­kom­men wäre, hat­te er dort auch Asyl­recht be­kom­men, sei­en Sie si­cher.

Da­ge­gen war Eng­land trotz An­er­ken­nung des all­ge­mei­nen Asyl­rechts schon et­was vor­sich­ti­ger. Da durf­te ein Kom­mu­nist nur un­ter ge­wis­sen Kau­te­len hin­ein­kom­men. Die USA schlos­sen eben­falls bei ge­ne­rel­ler An­er­ken­nung des Asyl­rechts die Kom­mu­nis­ten von vorn­her­ein aus.

(Zu­ruf: Sie sind aber trotz­dem hin­ein­ge­kom­men!)
– Das lag an an­de­ren Din­gen, das wis­sen Sie doch, Herr Kol­le­ge Wag­ner. Wir ka­men übe­r­all hin und ka­men auch übe­r­all wie­der her­aus....

Ein letz­tes Wort. Man soll sich hüten, den Be­griff „po­li­ti­scher Emi­grant“ ir­gend­wie ein­zu­en­gen. Die Pra­xis hat be­wie­sen, dass ein gros­ser Teil der in der Na­zi­zeit aus Deutsch­land geflüch­te­ten Emi­gran­ten im Asyl­land von Deutsch­land her mit ir­gend­ei­ner kri­mi­nel­len Be­schul­di­gung be­las­tet wur­de. Die Na­zi­behörden ha­ben so­zu­sa­gen an ei­nem je­den von uns ir­gend­et­was Kri­mi­nel­les ent­deckt. Sie ha­ben auf Grund die­ser Ent­de­ckun­gen zum Bei­spiel ei­nem Ge­werk­schaft­ler, der dafür ge­sorgt hat, dass das Geld der Ge­werk­schaf­ten ins Aus­land kam, dass un­ser ehr­li­ches Geld nach drüben kam und nicht Hit­ler in den Ra­chen fiel, ei­nen Pro­zess we­gen Un­ter­schla­gung an­gehängt. Das müssen Sie doch wis­sen. Man hat es also in den al­ler­meis­ten Fällen ver­stan­den, den Be­griff po­li­ti­scher Emi­grant mit dem Be­griff kri­mi­nel­ler Flücht­ling zu ver­men­gen. Des­we­gen muss man jede Ein­engung des Be­griffs po­li­ti­scher Emi­grant ver­mei­den. Man muss schlecht­hin von po­li­ti­scher Emi­gra­ti­on und po­li­ti­schem Asyl­recht spre­chen, sonst gerät man in des Teu­fels Küche.

(Die Fußno­ten wur­den von der KAZ-Ar­beits­grup­pe „Flücht­lin­ge“ her­ge­stellt, die die­se Auszüge aus der Rede des Ge­nos­sen Ren­ner in der KAZ 293 do­ku­men­tier­te. Die­se Aus­ga­be der KAZ er­schien 1999, während des Ag­gres­si­ons­krie­ges ge­gen Ju­go­sla­wi­en, als die Bun­des­re­gie­rung nicht nur die Bun­des­wehr son­dern auch die Flücht­lings­ströme als Waf­fe be­nutz­te.)
Ge­nau in die­sem Sin­ne for­dern wir: Asyl­recht für alle Flücht­lin­ge (ein­sch­ließlich Snow­den)!

Aber würde Asyl­recht für Snow­den nicht eine Verschärfung des Wi­der­spruchs zwi­schen dem deut­schen und dem US-Im­pe­ria­lis­mus be­deu­ten und da­mit die Kriegs­ge­fahr erhöhen? Ja, wenn es un­ter den va­terländi­schen Vor­zei­chen ge­schieht, und wenn es nur für Snow­den ge­for­dert wird. Nein, wenn wir für die Wie­der­her­stel­lung des Asyl­rechts im Grund­ge­setz und für sei­ne tatsächli­che An­wen­dung kämp­fen (die es in der BRD auf­grund des ungüns­ti­gen Kräfte­verhält­nis­ses kaum je­mals wirk­lich ge­ge­ben hat). Das Asyl­recht für alle Flücht­lin­ge durch­ge­setzt hieße, dass die­ses Land völlig an­ders aus­sieht als jetzt, dass der deut­sche Im­pe­ria­lis­mus un­ter so star­ken an­ti­fa­schis­ti­schen Druck gerät, dass sei­ne Kräfte ge­bun­den wer­den und er zwangs­wei­se nach außen „fried­li­cher“ wer­den muss, weil ihm nichts an­de­res übrig bleibt. Denn wenn die Lage so ist, könnte am Ho­ri­zont auch schon eine re­vo­lu­ti­onäre Si­tua­ti­on sicht­bar wer­den …

Die ursprüngliche Fassung des Asylrechts im
Grundgesetz muss wiederhergestellt werden!


Es war im Jahr 1993, als das Asyl­recht im Grund­ge­setz so­weit re­la­ti­viert wur­de, dass es fak­tisch außer Kraft ge­setzt ist. Die­ses Asyl­recht war eine der we­ni­gen wirk­lich an­ti­fa­schis­ti­schen Be­stim­mun­gen im Grund­ge­setz – an­ti­fa­schis­tisch un­ter den Be­din­gun­gen, dass der Im­pe­ria­lis­mus herrscht. Das heißt: Das Asyl­recht im Grund­ge­setz war ein ge­gen den Im­pe­ria­lis­mus durch­ge­setz­tes Recht. Es be­inhal­te­te ursprüng­lich: Je­der, der erklärt po­li­tisch ver­folgt zu sein, erhält Asyl. Und das be­deu­tet: un­se­re Her­ren können nicht frei schal­ten und wal­ten mit Men­schen­mas­sen, die nach ei­ner Blei­be su­chen, sie können sie nicht ein­fach für ihre Zwe­cke aus­nut­zen (dass sie trotz­dem von An­fang an in der BRD Men­schen­mas­sen als Waf­fe be­nutz­ten – z.B. Re­pu­blik­flüch­ti­ge aus der DDR, Um­sied­ler aus den be­frei­ten Ländern, Men­schen aus an­de­ren Ländern, die nach ei­nem re­ak­ti­onären Ar­ti­kel des Grund­ge­set­zes als „Volks­deut­sche“ de­fi­niert wer­den usw. – hat mit dem Asyl­recht nichts zu tun, son­dern da­mit, dass es sehr we­ni­ge wirk­lich an­ti­fa­schis­ti­sche Er­run­gen­schaf­ten im Grund­ge­setz gab und gibt). Wie kam die­ses Asyl­recht über­haupt ins Grund­ge­setz: Die re­ak­ti­onäre und völker­rechts­wid­ri­ge Gründung der BRD wur­de mit ei­nem sog. Par­la­men­ta­ri­schen Rat 1948/?49 vor­be­rei­tet. In die­sem Par­la­men­ta­ri­schen Rat saß auch die KPD, ent­schie­de­ne Geg­ne­rin der Gründung der BRD und gleich­zei­tig Kämp­fe­rin für je­des Quänt­chen An­ti­fa­schis­mus. Sie nutz­te es aus, dass die Gründung der BRD ein ge­wag­tes re­ak­ti­onäres Aben­teu­er ge­gen die So­wjet­uni­on und die an­de­ren be­frei­ten Länder war und nützte den Par­la­men­ta­ri­schen Rat als Tribüne, um der Weltöffent­lich­keit und der Ar­bei­ter­klas­se je­den Wi­der­spruch dar­zu­le­gen, in den sich die bürger­li­chen Par­tei­en in ih­rem Kampf ge­gen die Leh­ren aus dem Fa­schis­mus ver­wi­ckel­ten. Ei­ner die­ser Wi­dersprüche war, dass man­che So­zi­al­de­mo­kra­ten und an­de­re Ab­ge­ord­ne­te im Par­la­men­ta­ri­schen Rat, die sel­ber un­ter den Hit­ler­fa­schis­ten ver­folgt wa­ren, sich der For­de­rung nach ei­nem un­ein­ge­schränk­ten Asyl­recht nicht ver­sch­ließen woll­ten. Die Hal­tung der KPD war nicht nur von sol­chen Er­fah­run­gen geprägt, son­dern prin­zi­pi­el­ler Na­tur im Kampf der Ar­bei­ter um De­mo­kra­tie (wir ha­ben auf die­sen Sei­ten Auszüge aus Re­de­beiträgen des KPD-Ab­ge­ord­ne­ten Ren­ner im Par­la­men­ta­ri­schen Rat do­ku­men­tiert). Und der Kampf um ein an­ti­fa­schis­ti­sches Asyl­recht hat­te Er­folg! Natürlich wur­de mit der Sta­gna­ti­on der west­deut­schen Ar­bei­ter­be­we­gung und un­ter den Be­din­gun­gen des KPD-Ver­bots das Asyl­recht mehr und mehr außer Kraft ge­setzt. Aber den Grund­ge­setz­ar­ti­kel zum Asyl­recht konn­ten die Im­pe­ria­lis­ten erst nach der Zertrümme­rung der DDR bis zur Un­kennt­lich­keit ändern, ge­nau­so wie erst seit die­sem Zeit­punkt die gren­zen­lo­sen Einsätze der Bun­des­wehr möglich wur­den.

Rostock-Lichtenhagen 1992 –
nicht nur Antifaschisten erinnern sich


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1992 war das Jahr des ta­ge­lan­gen Po­groms ge­gen Flücht­lin­ge und ge­gen viet­na­me­si­sche Ar­bei­ter in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen – vor­be­rei­tet durch maßlose ras­sis­ti­sche Het­ze der Bun­des­re­gie­rung (al­les „stöhnte“ un­ter der „Asy­lan­ten­flut“) und durch staat­lich ver­ord­ne­te Wi­derwärtig­kei­ten ge­gen Flücht­lin­ge in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen, ge­dul­det und un­terstützt durch die Po­li­zei, be­klatscht durch ei­nen Teil der An­woh­ner, viel zu we­nig geschützt durch den si­cher­lich auch vor­han­de­nen an­de­ren Teil der An­woh­ner … 1993 wur­de dann das Asyl­recht im Grund­ge­setz „ergänzt“, in Wirk­lich­keit aber ab­ge­schafft – mit den Stim­men von CDU, CSU, FDP und der in der „Op­po­si­ti­on“ be­find­li­chen SPD. Denn man „ver­stand die Sor­gen und Ängs­te der Men­schen“. Da­mit wur­de erst­mals in der Ge­schich­te der BRD eine Nazi-Be­we­gung, die par­la­men­ta­risch völlig un­be­deu­tend ist, zur Durch­set­zung ei­ner Grund­ge­setzände­rung be­nutzt.

Jetzt sind wie­der die Volks­ver­ste­her von CDU und CSU bis NPD und „Pro Deutsch­land“ un­ter­wegs. In Ber­lin-Hel­lers­dorf hat sich der Mob ge­sam­melt, um sich der „be­sorg­ten An­woh­ner“ an­zu­neh­men. Aber die An­ti­fa­schis­ten ha­ben sich or­ga­ni­siert, ma­chen Mahn­wa­chen und De­mons­tra­tio­nen und schützen die Be­woh­ner, die jetzt – zum Teil völlig verängs­tigt – zwangs­wei­se durch die zuständi­ge Behörde in die­sen He­xen­kes­sel ge­bracht wer­den.

Vie­le An­ti­fa­schis­ten fühlen sich nun an 1992 er­in­nert – von „Hel­lers­dorf-Lich­ten­ha­gen“ ist schon die Rede. Aber nicht nur An­ti­fa­schis­ten er­in­nern sich. Aus der „In­for­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung“ von Ber­li­ner- und Be­zirks­behörden in Hel­lers­dorf – die zu ei­ner Pro­pa­gan­da­ver­an­stal­tung des brau­nen Mobs ge­riet – wird be­rich­tet: „Meh­re­re Teil­neh­mer aus dem rech­ten Spek­trum tru­gen T-Shirts mit dem Da­tum ‚22.-26. Au­gust 1992‘. Die Tage des Po­groms von Ros­tock“5.

Zur Zeit ist nicht klar, wo das hinführen soll. Aber was auch im­mer im Schil­de geführt wird – wir können uns dem ent­ge­gen stel­len, wenn wir uns ohne Wenn und Aber mit den Flücht­lin­gen so­li­da­ri­sie­ren.

  • Gren­zen auf für alle Flücht­lin­ge! Gren­zen dicht für den deut­schen Mi­li­ta­ris­mus!

  • Asyl­recht für alle Flücht­lin­ge!

  • Weg mit den büro­kra­ti­schen Schi­ka­nen wie Re­si­denz­pflicht und Ar­beits­ver­bot!

  • Ver­bot ras­sis­ti­scher De­mons­tra­tio­nen!


Das muss auch The­ma in den Ge­werk­schaf­ten wer­den – die Ar­bei­ter können sich nie­mals selbst be­frei­en, wenn sie die­sem Elend und die­ser Willkür ta­ten­los zu­se­hen.

E.W.-P.


Anmerkungen:
1 ND 12.07.13
2 ND 02.07.13
3 ebenda
4 Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. IX, S. 360, Berlin 1971
5 ND 11.07.13
6 ND 12.08.13
7 ND 23.07.13
8 Aussage der SPD-Bezirksverordneten Marlitt Köhnke, ND 22.08.13
9 1 ND 23.07.13
10 Spanien war bis 1975 ein faschistischer Staat, zu dem übrigens die BRD – voll in der Tradition der Hitlerfaschisten – bis zum Ende freundschaftliche Beziehungen unterhielt.
11 Das Vichy-Regime war eine für die Hitlerfaschisten arbeitende Marionettenregierung in Frankreich unter Pétain nach der Kapitulation Frankreichs (1940) mit Sitz in Vichy.
12 Hermann Rauschning, NSDAP-Mitglied seit 1926, wurde 1933 im Auftrag der Nazi-Partei Senatspräsident des damaligen Danzig (heute Gdansk, Polen). Überwarf sich mit der Führungsriege der Nazis und floh 1936 in die Schweiz, 1938 nach Frankreich.



 
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