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Mit zahllosen staatlich verordneten Jubelveranstaltungen wird in den kommenden Wochen landauf und landab der feindlichen Übernahme der DDR durch die BRD vor 20 Jahren gedacht werden. Die Bilanzfälscher in den staatlichen Schönwäschereien schieben derzeit sicher mal wieder Überstunden, um eine "Erfolgsbilanz" vorlegen zu können. 20 Jahre nach dem "Beitritt" am 3. Oktober 1990 haben sich viele süße Versprechen in nichts aufgelöst. "Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor - dafür vielen besser." Dieser verlogene Satz stammt von Helmut Kohl, gesprochen am 1. Juli 1990, am Tag des Inkrafttretens der Wirtschafts- und Währungsunion. Kohl hat ihn nie so gemeint, wie ihn die Menschen in den beiden Deutschen Staaten verstanden haben: materiell. Die DDR-und BRD-Bürger meinten ihre Arbeitsplätze, ihre Einkommen, ihre Renten, ihre Sparbücher und ihr Bafög. Er hat allen Wohlstand versprochen. Kohl wusste damals, nur mit diesem Täuschungsversprechen konnte der Coup der friedlichen Einverleibung eines ganzen Landes gelingen.

Im Osten Deutschlands leben heute die meisten Arbeitslosen, und wer Arbeit hat, gehört im Osten weit häufiger zu den Niedrigverdienern als Arbeiter im Westen. Dies belegt jetzt anschaulich eine kürzlich veröffentlichte Studie vom Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) aus Duisburg, in der möglichst umfassend die aktuell zugänglichen Zahlen und Fakten ausgewertet wurden. Alle in der letzten Zeit erschienenen unabhängigen Studien belegen, dass der Umfang der Niedriglohnbeschäftigung seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland deutlich angestiegen ist. Waren schon im Jahre 2006 gut 6,31 Millionen Beschäftigte zu Niedriglöhnen tätig, lag deren Zahl im Jahr 2008 mit 6,55 Millionen Beschäftigten um mehr als 220 000 höher.

Seit 1998 ist ein Anstieg der Zahl der Niedriglohnbeschäftigten um fast 2,3 Millionen zu verzeichnen gewesen. Ab 1990 kam es zu großen Veränderungen in der Arbeitswelt. Bis dahin war die Welt der Arbeit vom produzierenden Gewerbe mit einigermaßen auskömmlichen Löhnen, auch im Bereich einfacher Arbeiten, geprägt. Ab 1990 kam es zu einer drastischen Ausweitung von Dienstleistungstätigkeiten. Damit einher kam es gleichzeitig zu einem sprunghaften Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen, sehr oft in sehr schlecht bezahlten Minijobs. Inzwischen erreicht der Anteil der im Niedriglohnsektor Beschäftigten den höchsten Stand im europäischen Vergleich. In Frankreich zum Beispiel war der Niedriglohnanteil mit 11,1 Prozent im Jahr 2005 z. B. nur etwa halb so hoch wie in Deutschland; in Dänemark arbeitete noch nicht einmal jede/r zehnte Beschäftigte zu Niedriglöhnen (8,5 Prozent). 72 Prozent aller westdeutschen Beschäftigten und 78 Prozent aller Beschäftigten in Ostdeutschland arbeiten in Vollzeit. Während 54 Prozent der in Ostdeutschland Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnsektor arbeiten, sind es im Westen "nur" knapp 43 Prozent. Rund 20,7 Prozent der Beschäftigten in Deutschland erhielten 2008 einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle der Industrienationen.

Nie zuvor waren mehr Deutsche im Niedriglohnsektor tätig. Schauen wir uns das noch genauer an: Im Jahr 2008 lagen die durchschnittlichen Löhne im Niedriglohnsektor bei 7,09 Euro in West- bzw. 5,18 Euro in Ostdeutschland. Das starke Ausfransen des Lohnspektrums nach unten veranschaulicht auch eine Auswertung der Anteile der Beschäftigten nach Stundenlohnstufen: 3,6 Prozent der Beschäftigten (1,15 Millionen) verdienten im Jahr 2008 weniger als 5 Euro und gut 2,1 Millionen (6,7 Prozent) weniger als 6 Euro. Bezogen auf die insgesamt 6,55 Millionen Niedriglohnbeschäftigten heißt dies, dass gut ein Drittel von ihnen für ganz besonders niedrige Löhne arbeiteten. Wen wundert´s, dass die kümmerlichsten Stundenlöhne besonders gern in Ostdeutschland bezahlt werden. Rund jeder achte ostdeutsche Beschäftigte (12,8 Prozent) verdiente 2008 weniger als 6 Euro. Aber auch in Westdeutschland liegt dieser Anteil bei immerhin 5,4 Prozent der Beschäftigten. In Relation auf die seit Mai 2010 erhöhte Forderung der DGB-Gewerkschaften, einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einzuführen, zeigt die Studie, dass 15 Prozent aller westdeutschen und sage und schreibe 35 Prozent aller ostdeutschen Beschäftigten (mehr als jeder 3.) einen Anspruch auf diesen Mindestlohn hätten. Das ist ein unerträglicher Skandal. Wer solche Löhne zahlt, gehört an den Pranger, nicht die Hartz-IV-Empfänger. Stattdessen subventioniert die Bundesregierung die Niedriglöhne von 1,3 Millionen Beschäftigten - häufig abfällig Aufstocker genannt. Das kostet den Staat - sprich uns - pro Jahr 9,3 Milliarden Euro.

So fördern wir die offene Sklavenhalterei, indem zum Beispiel der Lohn von Leiharbeitskräften, die nicht genug zum Leben verdienen, mit 520 Millionen Euro pro Jahr "aufgestockt" wird.

 
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