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Die besondere Situation nach dem 2. Weltkrieg war die, dass auf der einen Seite die Arbeiterklasse international sehr gestärkt worden ist durch die Volksdemokratien und die sozialistischen Staaten im Osten, durch den Sieg Chinas und den Befreiungskampf der Völker. Dass auf der anderen Seite ein eindeutiger Hegemon unter den Imperialisten aus dem Krieg hervorgegangen ist, nämlich der US-Imperialismus. In dieser Konstellation trat die Bourgeoisie weltweit unter der eindeutigen Vorherrschaft des US-Imperialismus den Kampf gegen die Volksdemokratien und sozialistischen Staaten an. Diese besondere Situation hat die Widersprüche zwischen den imperialistischen Staaten überlagert. Der deutsche Imperialismus konnte nur mit Hilfe v. a. des US-Imperialismus überleben und bot sich als Speerspitze gegen die sozialistischen Staaten an. Das Bündnis mit dem US-Imperialismus stand erst einmal außer Frage. Zu einer anderen Politik hatte die deutsche Monopolbourgeoisie damals gar nicht die Macht. Vorschläge zu einem europäischen Bündnis kamen zunächst von französischen Politikern, denen die Stärkung des deutschen Imperialismus, nun zusammengedrängt auf Westdeutschland, und die geplante Remilitarisierung im Rahmen der NATO ein Dorn im Auge war. So kam der Vorschlag einer Europäischen Verteidigungsarmee, der beinhaltete, dass die Deutschen keine eigene Armee gründen sollten, sondern Waffen und Soldaten nur innerhalb einer Europäischen Verteidigungsarmee bekommen hätten. Der Vorschlag scheiterte am französischen Parlament. Die Parlamentarier wollten mehrheitlich auch das nicht. Deutschland wurde in die NATO aufgenommen. Ein daraufhin von Frankreich verlangtes Sonderbündnis zwischen Frankreich, England und den USA innerhalb der NATO lehnten die USA ab. Bereits 1957, der deutsche Imperialismus war wirtschaftlich wieder erstarkt, ließ sich Franz Josef Strauß vernehmen: „Wir sind die wirtschaftlich stärkste Macht in Mitteleuropa geworden. An unseren Kassen stehen die ehemaligen Sieger Schlange. Bei uns sind alle verschuldet. Auf die Dauer kann es kein Deutschland geben, das wirtschaftlich ein Riese und politisch ein Zwerg ist. Deshalb braucht die deutsche Politik einen europäischen Rahmen.“1 In seinem Buch „Entwurf für Europa“ 1966 empfiehlt er dann gemeinsam mit Frankreich zu gehen, so den Widerstand Großbritanniens gegen ein Erstarken Deutschlands und gegen eine deutsche Wiedervereinigung aufzuweichen und eine Macht gegen die USA zu schaffen. Bestimmend war in dieser Zeit jedoch das Bündnis mit den USA. Die Hauptstoßrichtung des deutschen Imperialismus ab Ende der 60iger Jahre aber war die gen Osten. Mit Ostpolitik, Kniefall und Krediten an die Staaten des Warschauer Paktes sollte deren Aufweichung und die Einverleibung der DDR erreicht werden – und, wir wissen, sie wurde auch erreicht. Gleichzeitig hat er innerhalb der EWG und später EG seine wirtschaftliche Vormachtstellung in Europa ausgebaut.

Die Situation ab 1989 –
die EU als Frage von Krieg und Frieden (Kohl)


Mit der Einverleibung der DDR, übrigens die einzige Gebietserweiterung eines imperialistischen Staates seit dem zweiten Weltkrieg, kamen all diese Europastrategien wieder auf den Tisch. Begriffe wie „europäischer Einigungsprozess“ „Deutschland als europäische Macht“ „was für Deutschland gut ist, ist gut für Europa“ und, und und…hatten Inflation und gehören heute zum ganz normalen Sprachschatz der Politiker und Journalisten. Das wird auch gar nicht mehr hinterfragt. Es ist klar, dass das so ist. Kinkel, damals Außenminister, legte 1993 das Programm dar in der FAZ: „Zwei Aufgaben gilt es parallel zu meistern: Im Inneren müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht. … Das nationale Interesse gebietet, den europäischen Weg weiterzugehen – und zwar kategorisch! … Wir sind aufgrund unserer Mittellage, unserer Größe und unserer traditionellen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa dazu prädestiniert, den Hauptvorteil aus der Rückkehr dieser Staaten nach Europa zu ziehen.“ Wo die nur vorher waren? „Dies gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Stellung der deutschen Sprache und Kultur in Europa. … Nur in fester europäischer Verankerung kann Deutschland zu innerem Gleichgewicht und voller Handlungsfähigkeit finden. Das ergibt sich unabweisbar als Lehre aus unserer Vergangenheit wie aus der Einsicht in die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse im Vergleich zu Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika.“2 Es ist immer wieder das gleiche, alte Programm, das Kinkel und die Kräfte, die hinter ihm standen, nun nach Innen, wie auch nach Außen vorgaben. Nach Innen, weil es natürlich auch Kräfte gab, für die der Alleingang auch eine Möglichkeit gewesen wäre, die sich also nicht einbinden lassen wollten in dieses Europa. Nach Außen war es eine Kampfansage: Wir wollen jetzt ein Europa das unseren Wünschen und unseren Potenzialen entspricht.

Und wir wollen vor allem die Osterweiterung. Diesmal muss es klappen. Der Wirtschaftsgroßraum muss erweitert und abgesichert werden, ein Europa, das den deutschen Wünschen entspricht, deren Durchsetzungsmöglichkeiten durch den Ostlandritt gestärkt werden sollten, muss geschaffen werden, um sich gegen Japan und die USA behaupten zu können. Dass es sich bei dem „Einklang“ mit den Nachbarn nicht um pure Freiwilligkeit in souveräner Entscheidung handelt, zeigte sich schon bei der Einverleibung der DDR und später dann bei der Aufnahme der neuen Staaten in die EU. Die DDR, - von Wiedervereinigung zweier souveräner Staaten keine Spur -, wurde, zerschlagen in 5 Bundesländer, angeschlossen. Ähnlich ging es dann später den neuen Staaten, die die europäischen Bestimmungen, den tausendseitigen „Acquis communautaire“ nur abzunicken hatten. Mitzureden gab es da wenig bis gar nichts. Sie hatten, das beschreibt Hannes Hofbauer in dem Buch „Osterweiterung“ ganz eindringlich, einfach Null zu sagen, mussten dafür aber ihre Staaten so herrichten, dass praktisch möglichst günstige Bedingungen für europäisches, aber vor allem für deutsches Kapital geschaffen werden. Durch den Verkauf von Post und anderen Staatsunternehmen, durch Schaffung von Ausbeutungsbedingungen mit Hilfe all der Maßnahmen, die unter der so genannten Liberalisierung verstanden werden, sollten Bedingungen geschaffen werden, die für das Kapital aus den europäische Staaten angenehm und Profit bringend waren.
Dass die Vertreter des deutschen Imperialismus ein solches Programm überhaupt laut verkünden und zielstrebig daran gehen konnten, es auch zu verwirklichen, im Gegensatz zu vor 1914 und zur Zwischenkriegszeit, hatte mehrere Gründe:

Zum einen die wieder erreichte Stärke des deutschen Imperialismus - erinnern wir uns an Lenin: die Aufteilung der Welt unter die Imperialisten erfolgt nach dem Kapital, nach der Macht – eine andere Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht geben.
Zum anderen lag es an dem Versuch der anderen imperialistischen Mächte, Deutschland über europäische Institutionen auf der einen Seite, was vor allem Frankreich betraf, über die NATO auf der anderen Seite, was die USA betraf, politisch, militärisch wie wirtschaftlich einzubinden. So war die 1. Konferenz in Maastricht 1991, auf der es um die Schaffung der Europäischen Union ging, auch noch ein Muss für die Deutschen. Selbst wenn sie nicht gewollt hätten, da mussten sie noch mit. Ohne die Unterschrift unter diesen Vertrag – keine Unterschrift unter die sog. Wiedervereinigung wie ein Staatssekretär im Wirtschaftministerium, Otto Schlecht, später verkündet hat. Es ging um die Frage, welches ist der geeignete Weg, das übermächtige Deutschland zu zähmen. Damit machten die Franzosen ihrem Volk die Abstimmung über dieses Maastricht 1 (1992) schmackhaft. Die Befürworter von Maastricht nahmen kein Blatt vor den Mund. „Maastricht oder die Rückkehr zu Auschwitz“- das war der ehemalige Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement. Der Vertrag von Maastricht, so der damalige Gesundheitsminister Kouchner, sei die letzte Chance Deutschland in die Gemeinschaft einzubinden. „Danach kommt eher Rostock“3. „Deutschland wird zahlen“, sagte man in den zwanziger Jahren, Deutschland zahlt heute: Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg“ (Le Figaro), so haben es die Franzosen gesehen. Das war die Diskussion in Frankreich. So wurde dann, wenn auch knapp, die Volksabstimmung über den ersten EU Vertrag gewonnen. Was damals festgelegt worden ist, war eine verstärkte Zusammenarbeit der Regierungen, größere Kooperation in der Außenpolitik und Grundsteine für die Einführung einer gemeinsamen Währung.
Ein weiterer Grund war, vor allem von Seiten Frankreichs, das Streben, im Bündnis mit dem deutschen Imperialismus gegen die USA seinen Einfluss in der Welt zu behaupten bzw. zu vergrößern. Das war und ist immer noch ein Grund. Jeder ist zu klein, um gegen die USA anzutreten, also schließen wir uns zusammen. Die Kollaboration in Frankreich hat auch ihre Geschichte: Wie schon gesagt, gab es das Angebot, sich den Osten gemeinsam aufzuteilen vor dem 2. Weltkrieg. Dann im zweiten Weltkrieg die Vichy-Regierung. Es gab durchaus starke Strömungen, die mit den deutschen Faschisten damals zusammengearbeitet haben. Es gibt in Frankreich immer wieder eine Strömung unter den Monopolkapitalisten, mit Deutschland gemeinsame Sache zu machen. Auch das, muss man wissen, ist eine Möglichkeit.

Doch was v.a. für Frankreich der Versuch der Einbindung war und ist, ist für den dt. Imperialismus Ausgangspunkt für sein altes Ziel der Beherrschung Europas, also zu vollbringen, woran er zweimal gescheitert war und das möglichst ohne den Alptraum der Koalitionen heraufzubeschwören.
Die sofort mit der Gründung der EU beginnenden Auseinandersetzungen über Vertiefung und Erweiterung der EU, über die Bedingungen der Währungsunion, spiegelten den Kampf zwischen diesen sich widersprechenden Zielen wider.

Kurz zur Währungsunion: Es ist nicht so ganz klar, wer die eigentlich wollte. Da heißt es immer, sie wäre eine Bedingung für die Franzosen gewesen, die Deutschen hätten sie gar nicht so wahnsinnig gerne gewollt. Die Franzosen hätten Anteil an der starken Mark haben wollen und hätten befürchtet, dass ohne gemeinsame Währung, die D-Mark ganz Europa beherrschen würde und sie nichts mehr zu sagen haben würden. Frankreich hatte auch allen Grund gehabt, das so zu befürchten. Ich habe da in den „Europastrategien des deutschen Kapitals“ noch folgende Stelle gefunden: 1940, während des Faschismus, machte sich der Außenhandelsausschuss der Reichsgruppe Industrie Gedanken über die europäische Wirtschaft nach Beendigung des Krieges. Auf zwei Hindernisse sei die deutsche europäische Politik dabei bisher gestoßen: Auf die Angst der Länder ihre politische Unabhängigkeit zu verlieren. Dieses Hindernis sei durch den Krieg überholt, Deutschland habe die notwendige Macht in Europa. Das zweite sei das Hindernis der Währungsprobleme gewesen: „Diese haben vor allem langfristige Pläne verhindert. Es sei nicht notwendig, von einer Währungsunion in Europa zu sprechen. Es sei aber sicher dass in Europa die Reichsmark die dominierende Währung sein werde, da Deutschland die stärkste Wirtschaftsmacht sein wird.“4
Also, damals war die deutsche Ansicht, nicht unbedingt eine gemeinsame Währung zu brauchen, da die Reichsmark aufgrund der wirtschaftlichen Macht die Dominanz innehätte. Dem wollten die Franzosen wohl gegenübertreten und selber daran teilhaben.

Wir wissen allerdings auch, dass die Deutschen sich wesentlich mit ihren Konvergenzkriterien bezüglich Verschuldung, Neuverschuldung und Inflationsrate durchgesetzt haben. Diese Bedingungen sind den Teilnehmern der Währungsunion - England ist ja von vornherein separat geblieben, wollte sich dem nicht unterwerfen – aufoktroyiert worden. Dies sind ganz wesentliche Dinge, die eigentlich die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit eines Staats ausmachen, also wie hoch darf er sich verschulden oder nicht, wird auf- oder abgewertet, was für den Außenhandel wichtig ist. Wird die Währung abgewertet haben die Kapitalisten bessere Chancen in die anderen Märkte einzudringen, eine Politik, die z.B. Italien oft verfolgt hat. Das alles haben wurde den Ländern, die der Währungsunion beigetreten sind weggenommen, also ganz wesentliche Teile der Souveränität. Was natürlich auch für den deutschen Imperialismus formal immer eine Einschränkung der Souveränität bedeutet. Aber da er der Stärkste ist, setzt er seine Interessen durch, in dem Fall gemeinsam mit Frankreich.


Anmerkungen:
1 „Welt“ vom 2.9.57
2 FAZ 19.3.1993
3 Kouchner nach Wirtschaftswoche 38/92, zit. nach „Streitbarer Materialismus“ Nr.21, S.26
4 Opitz, a.aO. S.684



Das hier veröffentlichte Referat wurde auf der I. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" im Jahr 2009 in Göttingen gehalten. Es ist - neben den anderen Referaten der Konferenz in der Dokumentation zur I. Konferenz enthalten.

Die Dokumentation enthält die Referate:
  • Entwicklung der deutschen Bourgeoisie / des deutschen Imperialismus seit dem deutschen Bauernkrieg
  • Der deutsche Imperialismus und die EU
  • Kriegsschauplätze Kosovo und Kaukasus
  • Der deutsche Imperialismus und Afrika
  • China und der deutsche Imperialismus
  • „Finanzkrise“ und Neuaufteilung der Welt
  • Was ist proletarischer Internationalismus?

Bestellungen unter der Adresse info@gegen-denhauptfeind.de; Download u. a. via www.gegen-den-hauptfeind.de oder www.secarts.org. [PDF, ca. 5,4 MB]



 
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