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Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung für die aktuelle Krise in Frankreich. Dies geht aus Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) hervor. Demnach hat Präsident Emmanuel Macron seine Reformen, die immer wieder für heftige, nun eskalierende Proteste gesorgt haben, nach deutschen Forderungen gestaltet - in der Hoffnung, Berlin werde ihm in der Europapolitik entgegenkommen und es ihm ermöglichen, die gravierenden Reformnachteile für die Bevölkerung etwa durch einen Umbau der Eurozone in Ansätzen auszugleichen. Paris verlangt seit vielen Jahren eine Art Umverteilung innerhalb des Währungsgebiets, um die wirtschaftlich schwächeren Euroländer im Süden zu stabilisieren und den Euro auf Dauer aus der Krise zu führen. Die Bundesrepublik, deren Exportindustrie stark von der industriellen Schwäche des Südens profitiert, verweigert dies. Macron, der hierzulande für seine deutsch inspirierten Reformen gefeiert wird, kann - von Berlin im Stich gelassen - keine Erfolge vorweisen und sieht sich eskalierenden Protesten ausgesetzt.

Von Berlin angemahnt

Darauf, dass die Reformmaßnahmen, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unmittelbar nach seinem Amtsantritt am 14. Mai 2017 umzusetzen begonnen hat und die er bis heute fortführt, in hohem Maße deutschen Forderungen entsprechen, hat bereits im Frühjahr die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einer knappen Analyse hingewiesen. Macron habe bereits im September 2017 "eine Arbeitsmarktreform verabschiedet, die u.a. den Kündigungsschutz lockert und Branchen- und Betriebsvereinbarungen stärkt", rief die DGAP in Erinnerung.1 Auch seien "die Arbeitgeberabgaben gesenkt und der allgemeine Sozialbeitrag (CSG) erhöht" worden; das habe "bei Rentnern für Unmut" gesorgt. Dann sei etwa "die Reform der öffentlichen Bahngesellschaft SNCF" in Angriff genommen worden. Gehe es nach Macron, dann "darf kein Element des französischen Wohlfahrtsstaats unberührt bleiben", hieß es in der Analyse, die explizit festhielt, in der Bundesrepublik schätzten vor allem "Liberale und Konservative" Macrons "innenpolitischen Reformkurs": Schließlich habe vor allem "Deutschland die von der Europäischen Kommission empfohlenen Strukturreformen lange angemahnt".

Untrennbare Elemente

Die DGAP weist darauf hin, dass Macron seinen harten Reformkurs à l'allemande in der Hoffnung gestartet hat, Berlin werde ihm dafür in der Europapolitik entgegenkommen. Seine Maßnahmen zielten nicht zuletzt darauf ab, Frankreich als "zuverlässige[n] Partner [zu] präsentieren" - und zwar "in erster Linie in Deutschland" -, "der seine Verpflichtungen einhält und dadurch einen legitimen Anspruch auf eine Führungsrolle in der EU hat", heißt es in der Analyse.2 Allerdings sollten - so habe Macrons Plan gelautet - im Gegenzug Umbauten "in der EU zum Erfolg der innenpolitischen Reformen beitragen". Denn Frankreichs Bevölkerung werde "weitere Reformen nur akzeptieren, wenn sie davon überzeugt ist, dass sie ... für Frankreichs Zukunft gut sind" - und dass die EU, die bekanntlich auf ihnen beharrt, "nicht nur für eine Liberalisierung und Schwächung des Sozialstaats steht, sondern auch für den Schutz und die Verbesserung der Lebensverhältnisse". Insofern müssten "die innen- und die europapolitischen Reformen", die Macron gleichermaßen anstrebe, "als untrennbare Elemente gelten, deren Erfolg sich gegenseitig bedingt". Dass sich nun aber trotz des hohen "innenpolitische[n] Reformtempo[s]" in Frankreich kaum etwas in der Europapolitik bewegt, sei "für den französischen Präsidenten ... ein Problem".

Eurozone ohne Regierung

Tatsächlich setzt Berlin seine Blockadepolitik gegenüber Paris auf EU-Ebene vor allem auf zwei Feldern fort, die für Macron von höchster Bedeutung sind. Eines betrifft die Reform der Eurozone. Macron zielt im Grundsatz darauf ab, den in vielerlei Hinsicht äußerst heterogenen Währungsraum durch eine gewisse Umverteilung ein wenig zu vereinheitlichen. Das brächte den schwächeren Nationalökonomien vor allem im Süden der Eurozone den Vorteil, einen Aufschwung erhoffen zu dürfen. Profitieren würden allerdings auch die nördlichen Eurostaaten: Ein Aufschwung im Süden könnte helfen, die Einheitswährung dauerhaft aus der Krise zu führen. Macron dringt daher auf die Einführung eines Eurozonenhaushalts und eines Euro-Finanzministers sowie ähnliche Maßnahmen - Schritte, wie sie Paris immer wieder angemahnt hat. Bereits Präsident Nicolas Sarkozy hatte im Oktober 2008 dafür plädiert, innerhalb der Eurogruppe eine eigene "Wirtschaftsregierung" zu bilden.3 Sein Nachfolger François Hollande nahm den Gedanken zuletzt im Juli 2015 wieder auf.4 Beide scheiterten an Berlin.5 Nicht anders ergeht es jetzt Macron. Hatte die Bundesregierung ihn nach seinem Amtsantritt zunächst mit dem Vorwand hingehalten, im damaligen Bundestagswahlkampf, später dann während der langwierigen Regierungsbildung habe man nicht genügend Spielraum für eine Eurozonenreform, so hat Berlin die Parieser Pläne inzwischen so stark verwässert, dass de facto kaum etwas von ihnen übriggeblieben ist (german-foreign-policy.com berichtete6).

PESCO versus IEI

Ist mit der Eurozonenreform die Hoffnung der französischen Bevölkerung gescheitert, an der geplanten Umverteilung zugunsten des Südens teilzuhaben, so versagt Berlin Paris auch in anderer Hinsicht einen Teilerfolg, den Macron nutzen könnte, um sein Ansehen in der Bevölkerung ein wenig aufzubessern. Dabei geht es um die Militarisierung der EU. Einigkeit besteht zwischen den Regierungen beider Länder darin, dass die EU eine schlagkräftige Streitmacht erhalten soll. Auseinandersetzungen gibt es allerdings um die institutionelle Verankerung der Truppe sowie bezüglich des Zeitrahmens, der für ihren Aufbau zu veranschlagen sei. Paris hat es eilig: Es will für künftige Einsätze vor allem in seinem afrikanischen Einflussgebiet so schnell wie möglich Unterstützung erhalten und dabei nicht von Staaten gebremst werden, die - wie etwa die Länder Osteuropas - auf dem afrikanischen Kontinent keine eigenen Interessen verfolgen. Macron macht sich daher für die Europäische Interventionsinitiative (Initiative européenne d'Intervention, IEI) stark, die formal recht eigenständig operieren und schon jetzt Pläne für etwaige Einsätze erarbeiten soll (german-foreign-policy.com berichtete7). Berlin hingegen setzt auf die feste Verankerung einer "Armee der Europäer" in der EU und auf eine systematische Verzahnung der Truppen an der militärischen Basis, um eine - auf lange Sicht - möglichst große und schlagkräftige Streitmacht zur Verfügung zu haben. Instrument der Wahl ist PESCO.8 Die Bundesrepublik nimmt zwar an der IEI teil, die Paris inzwischen gegründet hat, betätigt sich dabei aber vor allem als Bremser - und verweigert Macron den so dringend benötigten PR-Erfolg.

Im Stich gelassen

Bereits im April hat die DGAP gewarnt, Berlin müsse berücksichtigen, "welch großes Risiko Macron mit seiner gewollten 'Transformation' eingeht": "Unpopuläre Reformen müssen ... mit schnellen Erfolgen legitimiert werden"; blieben sie aus, dann gerate Macron in Gefahr.9 Nicht ohne Grund hat der französische Präsident am 10. Mai dieses Jahres den prestigeträchtigen Aachener Karlspreis erhalten. Allerdings ist der kurze Glanz der Preisverleihung keinesfalls ein angemessener Ersatz für politische Erfolge gewesen. In der vergangenen Woche hat die DGAP erneut gewarnt, Macron benötige "Erfolg in der EU, um in Frankreich als glaubwürdig und handlungsfähig wahrgenommen zu werden"; davon hänge - nicht zuletzt mit Blick auf die Wahl zum Europaparlament - auch "seine Autorität als Ideengeber und Anführer des proeuropäischen Lagers" in der Union ab.10 Berlin ist dennoch zu keinerlei Zugeständnis bereit. Für ihren unmittelbaren Profit setzt die Vormacht der EU selbst das Wohl ihrer engsten Verbündeten aufs Spiel.


Anmerkungen:
1, 2 Claire Demesmay, Julie Hamann: Der gebremste Präsident. DGAPstandpunkt Nr. 11, April 2018.
3 Berlin: Sarkozy könnte die EU spalten. faz.net 24.10.2018.
4 Albrecht Meier: Unions-Fraktionsvize Friedrich erteilt Hollandes Vorschlag Abfuhr. tagesspiegel.de 20.07.2015.
5 S. dazu Zuverlässig ausgebremst.
6 S. dazu Das Eurozonen-Budget.
7 S. dazu Die Koalition der Kriegswilligen und Die Koalition der Kriegswilligen (II).
8 S. dazu Der Start der Militärunion und "Eine echte europäische Armee".
9 Claire Demesmay, Julie Hamann: Der gebremste Präsident. DGAPstandpunkt Nr. 11, April 2018.
10 Claire Demesmay: Macrons Kampfruf für den Progressivismus. Frankreich vor der Europawahl. DGAPstandpunkt Nr. 23, November 2018.



 
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