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Im Artikel 38 Abs. 2 des Grundgesetzes geht es um das Wahlrecht zum Bundestag. Das ist hauptsächlich unser Thema. Auf das Wahlrecht zu Landtagen, Kreisen und Gemeinden /Artikel 28 Abs. 1) werden wir nur am Rande eingehen.

Das Wahlrecht ist zwar ein Grundrecht - ein individuelles Recht eines jeden (wer und was genau "jeder" ist, dazu siehe weiter unten). Es steht aber nicht unter der überschrift "Grundrechte" im Grundgesetz. Sondern die überschrift lautet: "Der Bundestag". Der Wähler nimmt also nicht nur ein Grundrecht wahr, wenn er zur Wahl geht. Sondern er betätigt sich damit als Teil des Staatswesens, beteiligt sich aktiv an Angelegenheiten der Legislative, d.h. der gesetzgebenden Gewalt, in unserem Fall des Bundestages. Diese staatstragende Tätigkeit ist der Bourgeoisie - solange sie bürgerlich-demokratisch herrschen will - so wichtig, dass es in manchen Ländern sogar eine Wahlpflicht gibt - z.B. in Australien, bei Nichtbeteiligung gibt es dort eine Strafe, oder in Italien, wo der Verstoß gegen die Wahlpflicht allerdings keine Konsequenzen hat.

"Alle Gewalt geht vom Volk aus", heißt es im Grundgesetz Artikel 20 Abs. 2. Was soll das heißen: Die bürgerliche Revolution im 18. Und 19. Jahrhundert hatte die Gleichheit aller verkündet. Jeder konnte gleichermaßen dafür sorgen reich zu werden, Arbeitskraft zu kaufen und auf diese Weise Profit zu machen. Man brauchte auch einen Staat, eine Regierung, die diese neue Form der Ausbeutung schützte, die Klassenherrschaft institutionalisierte. Da nun alle gleich waren, durften sie sich auch alle gleichermaßen an der Lösung der Frage beteiligen, wie die Staatsgeschäfte zu führen sind. Das alles musste aber in einer geordneten Weise geschehen, und mit der Ordnungsmacht Feudalismus war es vorbei. Diese Ordnung - d.h. die Möglichkeit, bürgerliche freie Wahlen und deren Ergebnis so zu organisieren, dass die kapitalistische Wirtschaft sich ungestört entwickeln kann - wird heute durch die Parteien garantiert. Sie bringen die unterschiedlichen bürgerliche Interessen, die Kämpfe innerhalb der Bourgeoisie zum Ausdruck. Diese so wichtige Arbeit für die Bourgeoisie machen sie nicht umsonst - sie bekommen vom Staat finanzielle Zuwendungen. Die Höhe und Art dieser Zuwendungen ist durch das Parteiengesetz geregelt und hängt sehr eng mit der Aufgabe der Parteien zusammen, bei Parlamentswahlen zu kandidieren1. Des Weiteren gibt es Spenden, über die Bürger oder kapitalistische Gesellschaften ihre Interessen wahren wollen.

Das Privileg der Parteien - siehe Grundgesetz Artikel 21 - gegenüber Vereinen und Gesellschaften (siehe Teil 3 unserer Besichtigung - Artikel 9) besteht nicht nur darin, dass sie finanzielle Zuwendungen aus Steuergeldern bekommen. Sondern es besteht auch darin, dass ein Verbot nicht von irgendeinem Innenminister, sondern nur durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden kann. Dafür kostet das Parteiprivileg auch einiges: über die Finanzen muss vor dem Staat Rechenschaft abgelegt werden; "ihre innere Ordnung muss demokratisch sein" - gemeint ist damit, der Demokratische Zentralismus proletarischer Organisationen hat hier nichts zu suchen (dies ist auch einer der Gründe für das KPD-Verbot), obwohl das Organisationsprinzip des demokratischen Zentralismus sehr viel demokratischer ist, d.h. die Basis der Partei wirklich einbezieht im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien; die bekannte "Verfassungswidrigkeit" ist im Artikel 21 der ganz große Hammer - sie kann nicht nur zum Verbot sondern auch - wenn es zum Verbot nicht ganz reicht - zum Ausschluss von der Finanzierung führen..

Und nun sind wir schon bei einer ganz anderen Art von Partei - der Kommunistischen Partei. über sie heißt es im Manifest der Kommunistischen Partei: "Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter. Sie wird befördert durch die wachsenden Kommunikationsmittel, die von der großen Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschiedenen Lokalitäten miteinander in Verbindung setzen. Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren. Jeder Klassenkampf ist aber ein politischer Kampf. Und die Vereinigung, zu der die Bürger des Mittelalters mit ihren Vizinalwegen Jahrhunderte bedurften, bringen die modernen Proletarier mit den Eisenbahnen in wenigen Jahren zustande.

Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie ersteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger."2

Daraus ergibt sich, dass die Kommunistische Partei in allererster Linie keine parlamentarische Partei ist, sondern das wichtigste politische Kampfinstrument der Arbeiterklasse, das als Avantgarde der Arbeiterklasse zu funktionieren hat - und solange das nicht der Fall ist, sich diese Fähigkeit in den Kämpfen der Arbeiter - wie im Kommunistischen Manifest beschrieben - anzueignen hat.

Eine zweitrangige, aber auch wichtige Aufgabe ist die Ausnutzung des bürgerlichen Parlamentarismus. Das heißt: um Parlamentssitze kämpfen ohne die geringste Illusion, dass sich durch Mehrheiten im Parlament die Gesellschaftsordnung ändern ließe (schließlich können wir selbst im besten Fall den Kapitalismus nicht abwählen). Diese Parlamentssitze können dann eine Tribüne des Klassenkampfs sein - aber nicht mehr.

Das Nicht-Parlamentarische der Kommunistischen Partei wird auch aus dieser Passage des Manifests der Kommunistischen Partei deutlich: "Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden."3

Der Inhalt unseres Kampfes ist proletarischer Internationalismus - der Form nach ist er der Kampf gegen den Hauptfeind im eigenen Land, und dieser Kampf ist auch unsere erste internationalistische Verpflichtung. Kommunistische Parteien sind demnach nur Sektionen der internationalen Arbeiterbewegung.

Welche Rolle spielt nun in diesem Zusammenhang für uns das allgemeine Wahlrecht? Friedrich Engels schrieb einmal dazu:

"Solange die unterdrückte Klasse, also in unserm Fall das Proletariat, noch nicht reif ist zu seiner Selbstbefreiung, solange wird sie, der Mehrzahl nach, die bestehende Gesellschaftsordnung als die einzig mögliche erkennen und politisch der Schwanz der Kapitalistenklasse, ihr äußerster linker Flügel sein. In dem Maß aber, worin sie ihrer Selbstemanzipation entgegenreift, in dem Maß konstituiert sie sich als eigne Partei, wählt ihre eignen Vertreter, nicht die der Kapitalisten. Das allgemeine Stimmrecht ist so der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse. Mehr kann und wird es nie sein im heutigen Staat; aber das genügt auch. An dem Tage, wo das Thermometer des allgemeinen Stimmrechts den Siedepunkt bei den Arbeitern anzeigt, wissen sie sowohl wie die Kapitalisten, woran sie sind."4

Dieses "Thermometer" zeigt auch heute sehr realistisch an, wo wir stehen: Die Mehrzahl des Proletariats erkennt die bestehende Gesellschaftsordnung als einzig mögliche und ist politisch am Schwanz der Kapitalistenklasse. Das sollten Kommunisten nicht ignorieren und sich der Frage stellen, ob es unter diesen Umständen sinnvoll ist, sich unter die Knute und Kontrolle dieses Staates zu begeben und als parlamentarische Partei zu konstituieren. Das "Thermometer" zeigt Minusgrade an, neben der CSU, dieser Strauß'schen "Sammelbewegung zur Rettung des Vaterlandes" erhebt die faschistische AfD ihr Haupt in den Parlamenten, die Staatsorgane sind von faschistischen Elementen durchsetzt, der Staatsapparat wird mehr und mehr zum Kampf gegen die Arbeiter- und demokratische Bewegung aufgerüstet. Da wäre es zur politischen Stärkung der Arbeiterbewegung wichtig, gemeinsam und sichtbar die Rechtsparteien auch parlamentarisch zurückzudrängen.

In allen Situationen der bürgerlichen Demokratie - und übrigens auch der proletarischen Demokratie - ist das allgemeine Stimmrecht von Bedeutung. Das "Thermometer" kann eben nur dann abgelesen werden, wenn wirklich alle Erwachsenen wahlberechtigt sind - alles andere verstärkt Spaltungen in der Arbeiterklasse, stellt ein Hindernis für ihren Zusammenschluss dar. Wir wollen das hier an verschiedenen Beispielen zeigen auf Grundlage der Geschichte und des im Grundgesetz festgeschriebenen Wahlrechts:

Artikel 38 Abs. 2 - Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

Die Arbeiter


Die bürgerliche Revolution in Europa und den USA brachte auch ständige Kämpfe um das allgemeine Stimmrecht mit sich. Als sehr stark erwies sich das Zensuswahlrecht, das die Stimmen nach Vermögen oder Steuerleistung des Stimmberechtigten gewichtete. Dementsprechend herrschte z.B. in Preußen als stärkstem Land im deutschen Kaiserreich das Dreiklassenwahlrecht, bei dem die Stimmen der kleinsten Gruppe, die der Bourgeoisie, das größte Gewicht hatten.

Das Zensuswahlrecht diente zu nichts anderem, als Arbeitervertretern bzw. Arbeiterparteien den Vormarsch in die Parlamente zu versperren. Seit der Zeit nach dem ersten Weltkrieg kommt der größte Teil der hochindustrialisierten kapitalistischen Länder sehr gut ohne Zensuswahlrecht klar. Dem entspricht auch das Grundgesetz. Warum ist das so: Die sozialistische Internationale, die weltweit das Proletariat vereinigt hatte, war mit Beginn des ersten Weltkriegs zusammengebrochen, zerstört durch den Verrat der Mehrheit der sozialdemokratischen Parteien, auch der SPD als einer der stärksten Parteien der Internationale. Sie hatten dem imperialistischen Krieg, diesem furchtbaren Verbrechen, zugestimmt und die Arbeiter der verschiedenen Nationen gegeneinander gehetzt. Der Opportunismus in der Arbeiterbewegung war zu einer festen Stütze der Bourgeoisherrschaft geworden, das blieb auch so nach dem Krieg, als die aus dem Krieg folgende Revolution zertreten wurde. Die bürgerliche Demokratie etablierte sich, Aufstände der Arbeiter in Deutschland bis 1923 wurden blutig niedergeschlagen. Das allgemeine Stimmrecht konnte ihnen nicht genommen werden - ein Zensuswahlrecht hätte ja auch nur den Klassencharakter des kapitalistischen Staates noch mehr offengelegt. Wollte man den Arbeitern das Stimmrecht nehmen, musste man es der ganzen Gesellschaft nehmen - so wie es die Hitlerfaschisten schließlich praktiziert haben.

Die Frauen

Das Frauenwahlrecht war in den bürgerlichen Industrienationen eins der letzten Bürgerrechte, die durchgesetzt werden konnten. Der Widerstand dagegen war ein Erbe der Feudalgesellschaft, der Leibeigenschaft - Politik, die allzu oft auch in Kriege mündete, war angeblich keine Sache der Frauen, das war in den Köpfen fest verankert, auch bei vielen Arbeitern. Die Frau als billige Konkurrentin um den Arbeitsplatz, dieser Eindruck verwirrte die Hirne mancher Arbeiter - und diese Verwirrung unterscheidet sich kaum von den heutigen Vorbehalten gegen eingewanderte Arbeiter, die bei uns für einen Hungerlohn arbeiten müssen.

Die Verweigerung des Frauenwahlrechts war schon angesichts der Gleichheitsforderung der bürgerlichen Revolutionen eine Ungereimtheit. Verblüffend ist zunächst die Tatsache, dass auch in der Pariser Kommune 1871 die Frauen kein Wahlrecht hatten. Schließlich war die Pariser Kommune, die erste Diktatur des Proletariats der Welt, die der preußischen Belagerung und der französischen Bourgeoisie trotzte, ohne die tapferen kämpfenden Frauen gar nicht denkbar. Es war wie ein Stoßseufzer der gesamten Kapitalistenklasse, als eine britische Zeitung im Mai 1871 schrieb: "Wenn die französische Nation nur aus Frauen bestände, was wäre das für eine schreckliche Nation!"5 Louise Michel, die gefürchtetste Frau Frankreichs zu dieser Zeit, schrieb in ihren Erinnerungen über das Wachsamkeitskomitee der Männer: "Alle, die ihm angehört, hatten sich vollkommen der Revolution geweiht ... man fragte nicht danach, welchem Geschlecht einer angehörte, wenn es darum ging, seine Pflicht zu tun. Diese dumme Frage gab es nicht mehr."6

"Die Kommune war schlechter als ihr Ruf", konnte man im März 2014 in der Zeitschrift "Graswurzelrevolution"7 lesen. Begründung: das fehlende Frauenwahlrecht. Aber ob einem das nun gefällt oder nicht: die tausendfachen Aufgaben der Kommune von der übernahme kapitalistischer Betriebe und dem Aufbau eines ganz neuen Staatswesens über weitreichende demokratische und soziale Reformen bis hin zur militärischen Verteidigung von Paris innerhalb nur weniger Wochen ließen offenbar keine Zeit, auch noch den alten Zopf des reinen Männerwahlrechts abzuschneiden. Entscheidend war erstmal die große revolutionäre Veränderung gegenüber dem bürgerlichen Parlamentarismus: "Statt einmal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament ver- und zertreten soll, sollte das allgemeine Stimmrecht dem in Kommunen konstituierten Volk dienen, wie das individuelle Stimmrecht jedem andern Arbeitgeber dazu dient, Arbeiter, Aufseher und Buchhalter in seinem Geschäft auszusuchen."8 Nicht mehr "Staatsdiener", Beamte, die uns alle drangsalieren, sondern von den Wählern beauftragte "Arbeiter, Aufseher und Buchhalter". Das war die wichtigste revolutionäre Neuerung. Das Frauenwahlrecht hätte die Kommune mit Sicherheit noch eingeführt, wäre sie nicht so grausam hingemordet worden - ein Sieg nicht nur der französischen, sondern vor allem der deutschen Bourgeoisie, die auf den Leichenbergen der Kommunarden in Versailles das Deutsche Reich gründete.

In Deutschland war das Frauenwahlrecht ein Ergebnis der - dann letzten Endes verratenen - Novemberrevolution 1918. Solange es ein Wahlrecht gab (es war 1933 bis 1945 von den Hitlerfaschisten in den Staub getreten worden), wurde das Frauenwahlrecht nicht angetastet, und selbst die wüstesten Reaktionäre regen sich darüber nicht mehr auf. Das ist gut so. Aber vergessen wir nicht, wie weit uns die Frauen in Paris 1871 voraus waren. Ihr Kampf ist unsere Perspektive!

Die Jugend

In der ursprünglichen Fassung des Artikel 38 Abs. 2 des Grundgesetzes war wahlberechtigt, wer das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Erst ab 31. Juli 1970 durfte ab 18 Jahren gewählt werden.

Die Gründung der BRD war demnach von einem tiefen Misstrauen gegen die Jugend geprägt. Nicht nur, dass das Wahlalter gegenüber der Weimarer Republik um ein Jahr von 20 auf 21 heraufgesetzt wurde. Sondern das wird auch deutlich, wenn wir uns die (noch nicht sozialistische) Verfassung der DDR von 19499 ansehen - dort war man ab 18 Jahren wahlberechtigt.

Erstaunlich ist dieses westdeutsche Misstrauen nicht. Dass die Herrschaft der verbrecherischen deutschen Konzerne und Banken wieder errichtet wurde, dass die alte Nazigarde wieder in höchste ämter einrücken konnten, hat die jungen Menschen in Westdeutschland nicht gerade begeistert. Die Protestaktionen der FDJ fanden Zustimmung, Frieden und Völkerfreundschaft standen hoch im Kurs.

Sie durften nicht wählen, die jungen Männer zwischen 18 und 20 Jahren, aber ab 1956 wurden 18-Jährige zum Kriegsdienst eingezogen - die Bundeswehr wurde im Grundgesetz verankert, im scharfen Widerspruch zu der Vorschrift im Potsdamer Abkommen stand, Deutschland zu entmilitarisieren.

Die Grundgesetzänderung 1970 hat in der Frage des Wahlalters ein Mindestmaß an Demokratie hergestellt - die damalige Politisierung der Jugend wurde durchaus gebraucht, da der Osthandel und die Unterminierung der DDR auf Samtpfoten - "Wandel durch Annäherung" einen frischen, jugendlichen und demokratischen Anstrich brauchten, im Gegensatz zum sturen dogmatischen Antikommunismus der ära der ersten CDU-Bundeskanzler.

Inzwischen gibt es in der SPD, in der Linkspartei und bei den Grünen Bestrebungen, das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen. Das ist richtig und kann dem demokratischen Kampf nur nützen.

Abzulehnen ist die Forderung, die auch immer wieder diskutiert wird: Das Wahlalter auf Null zu senken, und den Eltern stellvertretend die Stimmabgabe für ihre Kinder zu ermöglichen. Statt die gesellschaftliche Erziehung der Kinder zu fördern, wird hier der anachronistische Besitzanspruch der Eltern auf ihre Kindern noch verschärft. Und mit einem allgemeinen, gleichen Stimmrecht hat das schon gar nichts zu tun - niemand kann bei seiner Stimmabgabe vertreten werden.

Problematisch ist beim Wahlrecht jede Altersgrenze - und das wird sich nicht ändern, bis die Menschheit die Institution Staat endlich zum alten Eisen geworfen hat.

Die Betreuten

Dieser Staat, der im Dienst einer profitgeilen und aggressiven Monopolbourgeoisie steht, der gerade in der Pandemie seine Unfähigkeit gezeigt hat, vernünftig im Sinne der Menschen zu handeln, dessen Bocksprünge seit dem letzten Jahr viele Menschen (die keine Corona-Leugner sind) nur noch für unverständlich und verrückt halten, der über Leichen geht, um Flüchtlinge abzudrängen, der Krieg durch Waffen und Soldaten in die Welt trägt - ausgerechnet dieser Staat maßt sich an, Menschen das Wahlrecht zu entziehen, weil sie angeblich entscheidungsunfähig seien (laut Bundeswahlgesetz und entgegen dem Artikel 38 Absatz 2 im Grundgesetz). Es handelt sich um die Menschen, für die ein Betreuer in allen Angelegenheiten vom Gericht beauftragt wurde, außerdem schuldunfähige Straftäter, die sich in der forensischen Psychiatrie befinden.

Schon vor der Bundestagswahl 2017 hatten Betroffene dagegen geklagt, aber das Bundesverfassungsgericht geruhte nicht, vor dieser Wahl schon zu entscheiden. Nun endlich ist es zu einem Entschluss gekommen: Es gibt keinen Wahlausschluss mehr, die Betroffenen sind wahlberechtigt. Der Wahlausschluss, den es in 14 anderen EU-Staaten so gar nicht gibt, riecht dann wohl doch zu sehr wie eine Nachwirkung aus dem Hitlerfaschismus.

übrigens wurde der Wahlausschluss nicht von allen Bundesländern durchgeführt. In Berlin zum Beispiel wurde eine "Betreuung in allen Angelegenheiten" nie verfügt, sondern andere Formulierungen gefunden und das gegenüber dem Wahlamt vertreten. Am meisten Menschen hat Bayern von den Wahlen ausgeschlossen. Wachsamkeit ist geboten - das Bundesverfassungsgericht hat nicht generell Wahlausschlüsse abgelehnt, und die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat vorgeschlagen, individuell zu prüfen, ob jemand noch wählen kann. Auf dem Rücken ausgerechnet der Schwächsten sollen unsere demokratischen Rechte verbogen werden!10

Die falsch Verbuchten

Die 5-Prozent-Klausel im Bundeswahlgesetz besagt, dass Parteien, die weniger als 5 Prozent der Zweitstimmen bekommen, nicht in den Bundestag kommen (es sei denn, sie haben Direktmandate gewonnen). Die Stimmen, die diese Parteien bekommen haben, werden auf die Parteien verteilt, die es in den Bundestag geschafft haben.

Das ist fast noch schlimmer, als wenn man nicht wählen darf - es bekommen Parteien meine Wählerstimmen, die ich auf gar keinen Fall wählen wollte. Dies widerspricht auch dem Gleichheitsgrundsatz für alle Wählerstimmen, wie er im Artikel 38 Absatz 1 festgehalten ist.

1949 wurde die 5-Prozent-Klausel auf die Bundesländer bezogen - wer nur in einem Bundesland auf mindestens 5 Prozent kam, konnte in den Bundestag mit Abgeordneten einziehen. Erst am 25. Juni 1953 wurde das Bundeswahlgesetz in der Weise verschärft, dass die Parteien 5 Prozent im gesamten Bundesgebiet erreichen mussten. Angeblich ging es bei der 5-Prozent-Klausel um "stabile Mehrheiten" und darum, "Zersplitterung" zu vermeiden. Wenn man sieht, an welchem Tag die Verschärfung beschlossen wurde, treten ganz andere Gründe zutage: Der 25. Juni 1953 war genau 8 Tage nach dem 17. Juni 1953, dem angeblichen "Arbeiteraufstand" in der DDR. Am 17. Juni und in den Tagen danach wurden die westdeutschen Arbeiter mit einer beispiellosen antikommunistischen Hetze überzogen, Arbeiter, die Sympathien für die Kommunisten, für die DDR hatten, wurden eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht. Die SPD und der DGB Westberlin hatten die Streiks organisiert und für eine Eskalation der Situation in der DDR gesorgt. Längst lief auch das Verfahren zum KPD-Verbot - da konnte es nur nützlich sein, die KPD beizeiten aus dem Bundestag zu kicken.

Der Coup gelang: durch die maßlose Verhetzung geschwächt, blieb die KPD bei der Bundestagswahl 1953 bundesweit unter 5 Prozent. Der Bundestag war kommunistenfrei. 129 der 487 neu gewählten Abgeordneten waren bis 1945 Mitglieder der NSDAP gewesen.

1990, bei der Bundestagswahl kurz nach der Annexion der DDR, wurden zwei getrennte Gebiete für die 5-Prozent-Klausel festgelegt. Erstens Westdeutschland und Westberlin, zweitens die annektierte DDR. Es genügte, in einem der beiden Gebiete die 5-Prozent-Hürde zu überspringen, um Abgeordnete in den Bundestag zu entsenden.

Dass dies nur für die Wahl 1990 galt und nicht für die darauffolgenden Bundestagswahlen, hatte zur Folge, dass Westdeutschland den Osten überstimmen konnte. Das führte dazu, dass die PDS für eine Legislaturperiode (2002 bis 2005) keine Fraktion im Bundestag hatte, sondern lediglich zwei direkt gewählte Abgeordnete. Hier hat sich also die 5-Prozent-Klausel wieder - wie 1953 - als Anti-DDR-Klausel bewiesen, und indirekt auch als Antikommunismus-Klausel.

Im Jahr 2013 kandidierte die AfD zum ersten Mal für den Bundestag. Sie verfehlte mit etwas mehr als 2 Millionen Stimmen knapp die 5-Prozent-Hürde. Sollte uns das freuen? Aber das hat doch gar nichts genützt - die AfD wurde immer stärker, und zog 2017 in den Bundestag ein. Die 5-Prozent-Hürde war für die Vernichtung der KPD gedacht, sie war und ist eine Antikommunismus-Hürde, eine Anti-DDR-Hürde. Mit diesem Instrument kriegen wir die Faschisten nicht klein, ganz im Gegenteil. Die Faschisten müssen im Betrieb und auf der Straße bekämpft werden, und ebenso alle staatlichen Vorbereitungsschritte, die dem Faschismus in den Sattel helfen können.

Die Wahlrechtslosen

8 Millionen Menschen leben in der BRD, die das Kriterium des Artikels 38 Absatz 2 erfüllen (18. Lebensjahr vollendet), die aber nicht wählen dürfen. Willkürlich und ohne verfassungsrechtliche Grundlage legt das Bundeswahlgesetz fest, dass nur wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, wahlberechtigt zum Bundestag ist.

Das heißt: das Grundgesetz wird völkisch interpretiert. Und da bietet das Bundeswahlgesetz noch mehr: "Auslandsdeutsche", die gar nicht in der BRD wohnen, haben das Wahlrecht zum Bundestag! Deshalb werden immer mal wieder deutsche Pässe verteilt - z.B. in Polen. Sicherlich weniger, um die Bundestagswahlen zu beeinflussen, sondern um diese "Volksdeutschen" an den deutschen Staat zu binden und "fünfte Kolonnen"11 in anderen Ländern vorzubereiten. Genau um das zu ermöglichen, hat wohl die Mehrheit des Parlamentarischen Rats 1949 diese interpretierbare Formulierung gewählt. Z.B. ist ja im Grundgesetz auch keine Aussage darüber gemacht, ob die Wähler auch im Ausland wohnen dürfen. Dafür hat das Bundeswahlgesetz die abenteuerlichsten Formulierungen, z.B. dürfen Leute im Ausland wählen, die nie in Deutschland waren, aber "persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind." Wie auch immer, gut ist, dass die vage Formulierung im Grundgesetz auch für uns nutzbar ist, für die unabdingbare demokratische Forderung des Proletarischen Internationalismus: Wahlrecht für alle ab 18, die hier wohnen! Für diese Forderung hat schon die DIDF (Föderation Demokratischer Arbeitervereine) Kampagnen gemacht - solche Kampagnen müssten viel mehr unterstützt werden.

Juristisch ist es so, dass eine änderung des Wahlrechts in dieser Richtung sehr einfach wäre, da ja nicht das Grundgesetz geändert werden müsste. Juristen kennen gute Gründe für eine solche änderung des Wahlgesetzes. In einer Monitor-Sendung12 erklärte der Verfassungsrechtler Prof. Hans Meyer: "In dem entscheidenden Artikel 20, wo etwas über die Wahlen zum Parlament, zum Bundesparlament geregelt ist, steht nur ,Volk, das Volk wählt'. Und nicht etwa, das deutsche Volk wählt. In dem Augenblick, wo man das als deutsches Volk interpretiert, reduziert man die möglichen Wahlberechtigten auf die Staatsangehörigen." Prof. Meyer zieht daraus die richtige Schlussfolgerung und plädiert für das Wahlrecht für alle, auch ohne deutschen Pass.

Sehr befremdlich ist das der bürgerlichen Gleichheit widersprechende Chaos bei den Kommunalwahlen: Hier können EU-Bürger ohne deutschen Pass mitwählen (Grundgesetz Artikel 28 Absatz 1). Es gibt also verschiedene Arten von Wahlrecht, verschiedene Arten von Menschen, die es zu verschiedenen Anlässen ausüben können oder nicht. Es gibt damit 3 Sorten von Menschen: 1. Die Deutschen, die den Bundestag, die Landtage, und in Kreisen und Kommunen wählen dürfen. 2. Die EU-Ausländer, die nur in Kreisen und Kommunen wählen dürfen. 3. Den Rest, der gar nicht wählen darf.

Bei uns Arbeitern und Antifaschisten gibt es nur eine Sorte Mensch - egal welches Geschlecht, egal welches Alter, egal wie fit einer ist und egal welcher Herkunft - wir wollen gleiches Recht für alle! Denn das hilft, dass wir uns besser zusammenschließen können, um für unsere Rechte, unser Leben, gegen Regierung und Kapital, gegen Faschismus und Krieg, für unsere Zukunft kämpfen zu können.

Die SPD wäre der Hauptnutznießer des Wahlrechts für alle ab 1813. Sprechen wir doch mal während des Wahlkampfs mit den Vertretern der SPD. Was hindert sie, das auf die Tagesordnung zu setzen? Und niemand, der gegen das Wahlrecht für Nicht-Deutsche ist, soll sich beklagen, wenn die AfD parlamentarisch Land gewinnt und die CSU über das Innenministerium selbstherrlich über Leben und Tod von Flüchtlingen bestimmt. Es handelt sich um einen einfachen parlamentarischen Weg der änderung des Bundeswahlgesetzes und der Landtagswahlgesetze. Aber auch dieser einfache parlamentarische Weg wird sich nur durch Kämpfe in Betrieben und auf der Straße durchsetzen lassen - Kämpfe, die wir brauchen, da sie die Einheit der Arbeiter stärken und uns wieder aufrechter gehen lassen.

E. W.-P.


Anmerkungen:
1 Wie diese Zuwendungen errechnet werden und unter welcher Bedingung auch sehr kleine Parteien Geld vom Staat bekommen, siehe www.bmi.bund.de/DE/themen/verfassung/parteienrecht/parteienfinanzierung/parteienfinanzierung.html.
2 Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei, MEW Bd. 4, S. 471).
3 A.a.O., S. 473.
4 Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW Bd. 21, S. 168.
5 "Daily News", Mai 1871. Zitiert nach LW Bd. 39, S. 610.
6 Zitiert nach Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ) Nr. 195 (1981), S. 13.
7 www.antjeschrupp.de/die-pariser-kommune-war-schlechter-als-ihr-ruf.
8 Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW Bd. 17, S. 340.
9 Zur Vergleichbarkeit des Grundgesetzes mit der Verfassung der DDR von 1949 siehe Vorwort zu dieser Serie in der KAZ Nr. 373: "Die Verfassung von 1949 war vom Deutschen Volkskongress eigentlich vorgeschlagen als gesamtdeutsche Verfassung für eine Deutsche Demokratische Republik von der Oder bis zum Rhein. Sie fußte noch auf dem kapitalistischen Ausbeutersystem. Da aber gemäß dem Potsdamer Abkommen 1945 zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion die Monopole beseitigt, die Kriegsverbrecher enteignet waren, war es ein sehr geschwächter Kapitalismus mit einem großen staatlichen Sektor unter Kontrolle der Arbeiter und Antifaschisten - wobei die Durchführung des Potsdamer Abkommens eben nur im Osten durchgesetzt wurde. Dass es keine gesamtdeutsche DDR gab, dem kam die Gründung der BRD mit ihrer Vorbereitung durch den Parlamentarischen Rat zuvor."
10 Alle Fakten zu diesem Abschnitt siehe taz.de/Menschen-mit-Behinderung/!5417942/ und taz.de/Beschluss-des-Bundesverfassungsgerichts/!5575209/.
11 Der Begriff fünfte Kolonne wurde 1936 im Spanischen Bürgerkrieg geprägt, als er Anhänger der Faschisten bezeichnete, die nach dem Putsch Francos in den von der Volksfrontregierung kontrollierten Gebieten verblieben waren, um dort bei Bedarf in Aktion zu treten. Der spanische General Emilio Mola, einer der militärischen Führer des Militärputsches gegen die Republik, hatte verkündet, er werde vier Kolonnen gegen Madrid führen; die Offensive einleiten werde jedoch "die fünfte Kolonne", nämlich jene Schar in Madrid lauernder Anhänger Francos.
12 Monitor 27.07.2017 www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/wahlrecht-fuer-auslaender-100.html.
13 Siehe www.tagesspiegel.de/politik/migranten-und-politik-diese-parteien-waehlen-einwanderer/14851994.html.


 
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