Genosse Rolf Berthold, der letzte Botschafter der DDR in der Volksrepublik China, ist verstorben. Rolfs Bemühen, ein realistisches Bild von China zu zeichnen, die deutsche Linke (wieder) für das große Land zu interessieren und westliche Propagandamythen geradezurücken, ist auch das unsere. Sein Leben war dem Kampf um den Sozialismus gewidmet - erst in der DDR, später mit Blick auf die VR China. Wir verlieren mit Rolf, der auch für secarts.org geschrieben hat, einen hervorragenden, bescheidenen und unbeugsamen Genossen und Kampfgefährten. Unser Mitgefühl gehört seiner Frau Ursula und ihrer Familie. Rolfs Leben bleibt uns Ansporn.
Wir dokumentieren den Nachruf auf Rolf Berthold aus der Tageszeitung junge Welt vom 13. Dezember 2018. Die junge Welt steht im Fokus von Angriffen - aktuell durch die Deutsche Post AG. Ein Aufruf zur Unterstützung der marxistischen Tageszeitung wäre sicher auch in Rolfs Sinne gewesen.
secarts.org RedaktionRolf Berthold, letzter Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik in China, ist am 3. Dezember im Alter von 80 Jahren gestorben. Rolf war vieles: Internationalist, Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts und Politiker eines untergegangenen Staates. Angehöriger der Aufbaugeneration jener DDR und einer ihrer wichtigsten Diplomaten im Ausland. Nach der Niederlage 1989/90 blieb er als Marxist unbeugsam, seine Bemühungen um die Einheit der Sozialisten und Kommunisten in einem nun feindlichen Land stehen hinter seinen vorherigen Leistungen nicht zurück. Das alles lässt sich in Zeitungen und Dokumenten nachlesen, doch es ergibt nur ein unvollständiges Bild. Ein Nachruf auf Rolf Berthold kommt nicht ohne persönliche Erinnerung aus: an einen bis ins Alter jugendlich neugierigen Menschen, einen Mittler zwischen den Kulturen und aufmerksamen Beobachter jener »langen Wellen« der Geschichte, die sich keineswegs immer im Tagesgeschehen zeigen. An einen nicht zu brechenden Genossen – und an einen Freund.
Nicht zu brechen: Mit der Annexion der DDR hätte Rolfs politischer Weg als »Botschafter im Ruhestand« enden können. Dass das nicht so kam, lag an seinem Verständnis von Politik als sozialem Kampf. Ob als Vertreter seines Landes auf diplomatischem Parkett oder als Kommunist in einem Staat, der auf dem Antikommunismus aufbaut: Man muss da kämpfen, wo man steht. Rolf blieb unermüdlich, engagierte sich weiter, schrieb für die Tageszeitung junge Welt und die Monatsschrift Rotfuchs, lange Jahre war er Vorsitzender ihres Fördervereins. Und er reiste: durch das ganze Land, zu Studenten in Westdeutschland, zu Linkspartei-Mitgliedern im Osten. Rolfs Thema, China, »zieht«. Viele Menschen haben Fragen und Vorurteile. Rolf vermochte es, jedes Publikum in seinen Bann zu ziehen. Er wusste, wovon er redet: Über 28 Jahre lang war er in der Volksrepublik China und der SR Vietnam oder im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) in Berlin für diese Weltregion zuständig, zuletzt von 1982 bis 1990 als Botschafter in Beijing. Eine berufliche Laufbahn, wie sie für deutsche Arbeiterkinder nur in der DDR möglich war.
Rolf wurde am 4. August 1938 in Chemnitz geboren – unter dem Hitlerfaschismus, ein Jahr vor Beginn des Krieges. Seine Familie war antifaschistisch eingestellt; in der jungen DDR entschied sich Rolf, Chinesisch zu lernen und in der ebenfalls erst seit wenigen Jahren bestehenden Volksrepublik zu studieren. Ein Auslandsaufenthalt in der Nachkriegszeit, das war etwas anderes als das heutige »Erasmus«-Jahr: Die Studenten hatten überall mit anzupacken. Das Prinzip, ausländische und chinesische Studierende zusammen unterzubringen, sollte enorm beim Erlernen der fremden Sprache helfen. Nach China ging Rolf gemeinsam mit Ursula. Beide hatten sich an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät der Universität Halle kennengelernt. Es war keine Zeit, in der auf individuelle Wünsche Rücksicht genommen werden konnte, doch im Falle der beiden sollte es klappen: ein gemeinsames Studium in Asien. Mit Ursula verbrachte Rolf sein ganzes weiteres Leben. Auch China sollte ihn niemals wieder loslassen. Als freigiebiger Mensch teilte Rolf sein Wissen: Wer erfahren wollte, ob wegen der Spannungen im kommunistischen Lager die militärische Hilfe Chinas für Vietnam gegen die US-Aggression eingeschränkt wurde, oder wie der Anbau von Zuckerrüben in den Fernen Osten kam, der musste Rolf fragen (die Militärhilfe für Vietnam ging weiter, und der Rübenanbau kam mit einer Delegation unter dem DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl ins Land). Er kannte alle: Den ersten chinesischen Premier Zhou Enlai; die legendäre Kundschafterin Ruth Werner (»Sonja«); die Fotografin Eva Siao und ihren Mann Emi, ein Jugendfreund Mao Zedongs, der die »Internationale« ins Chinesische übersetzt hatte.
Die Konterrevolution sollte er in China erleben. Während in Europa und der UdSSR der Sozialismus zusammenbrach, kam es auch auf dem Tian-an-Âmen-Platz in Beijing zu Unruhen – Rolf ist einer der wenigen westlichen Augenzeugen geworden. Er beschönigte nichts und wies stets auf die im Westen unbekannten Faktoren hin: Dass viele Polizisten oder junge Armeeangehörige zu den Todesopfern gehörten. Dass ein Mob aus separatistischen Freischärlern aus der Unruheprovinz Xinjiang Straßenterror ausübte. Und dass der Aufruhr, keineswegs ein Volksaufstand, auch am Widerstand der Beijinger Einwohner scheiterte.
Rolf blieb parteiisch. Die damals gesicherte Weiterexistenz der sozialistischen Volksrepublik, das war und ist Garant dafür, dass China gedeiht und es andere Länder einmal leichter haben werden. Rolf war sich bewusst, gegen die skrupellosen und zu allem bereiten Meinungsmacher des Kapitals anzutreten. Und doch hat er, wenn dies überhaupt eine einzelne Person vermag, diese Saat gelegt: für ein neues Verhältnis der deutschen Linken zur VR China. Mehr, als in ein einzelnes Leben passt? Nur nach dem allzu engen Begriff des bürgerlichen Spezialisten. Rolf war dies alles, und vor allem: Er war ein Revolutionär.
aus: Tageszeitung junge Welt, 13.12.2018