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im Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet hatten. Die DDR wurde nicht gegründet, um Deutschland zu spalten. Deutschland war bereits gespalten, als die DDR gegründet wurde.
Die Geschichte zwischen 1945 und 1990 in Deutschland war eine permanente Auseinandersetzung zwischen zwei konträren Weltsystemen, zwei feindlichen Militärblöcken, zwei gegnerischen Staaten, zwei grundverschiedenen Idealen und zwei andersartigen Entwürfen für die Zukunft. Wer die DDR einen „Unrechtsstaat“ nennt, läßt solche grundlegenden geschichtlichen Zusammenhänge außer acht.
Wenige Tage nach ihrer Proklamierung – zunächst nur als provisorischer Staat – erhielten die Repräsentanten der DDR ein bemerkenswertes Telegramm aus Moskau. Es enthielt die konzentrierte sowjetische Strategie in der Deutschlandfrage. Der Absender war Stalin. Er schrieb: „Die Bildung der Deutschen Demokratischen friedliebenden Republik ist ein Wendepunkt in der Geschichte Europas.“ Um jedes Mißverständnis auszuschließen, die Gründung der DDR könne doch als Spaltung Deutschlands verstanden werden, endet das Telegramm mit dem Satz: „Es lebe und gedeihe das einheitliche, unabhängige, demokratische friedliebende Deutschland.“
Der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, handelte jedoch nach dem Grundsatz „Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb.“ Gegenüber dem französischen Außenminister prahlte er sogar: „Vergessen Sie nie, daß ich der einzige Regierungschef bin, der die Einheit Europas der Einheit seines Vaterlandes vorzieht.“ Die deutsche Nachkriegsgeschichte vollzog sich nicht vordergründig im Nationalen, sondern im Spannungsfeld der Großmächte. Deshalb kann man die DDR auch nicht isoliert vom Verhalten der Großmächte und auch nicht von dem der Bundesrepublik Deutschland betrachten.
1952 hatte die Sowjetunion gesamtdeutsche Wahlen für ein gesamtdeutsches Parlament vorgeschlagen. Die Westmächte, einschließlich der Bundesrepublik, lehnten ab. Sie betrachteten die sogenannte Stalinnote als sowjetische Propaganda. Seitdem wurden die Bedingungen für die deutsche Einheit von Jahr zu Jahr aussichtsloser. Die deutsche Spaltung wurde durch die Westintegration der Bundesrepublik zementiert.
Erst jetzt kam in der DDR 1952 der Aufbau des Sozialismus auf die Tagesordnung – und das unter Bedingungen eines gespaltenen Landes. Die daraus entstandenen Schwierigkeiten – wie die Spaltung einer früher einheitlichen Währung und Wirtschaft, die Zugehörigkeit zu einem der sich feindlich gegenüberstehenden militärischen Bündnisse, das Grenzregime zwischen ihnen und der Reiseverkehr der Bürger zwischen den Staaten – haben die DDR bis zu ihrem Ende belastet.
Den Westalliierten und den meisten Bundesregierungen war eine gleichberechtigte Vereinigung der BRD und der DDR stets suspekt. Sie setzten auf die „Befreiung des Ostens“. Von Adenauer stammt das Bekenntnis: „Was östlich von Werra und Elbe liegt, sind Deutschlands unerlöste Provinzen. Daher heißt die Aufgabe nicht Wiedervereinigung, sondern Befreiung. Das Wort Wiedervereinigung soll endlich verschwinden. Es hat schon zuviel Unheil gebracht. Befreiung ist die Parole.“
So ist es keineswegs verwunderlich, daß die deutsche Einheit 1990 nicht ein gleichberechtigter Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten war, sondern ein Anschluß der DDR an die Bundesrepublik Deutschland. Das Gesellschafts- und Rechtssystem der Bundesrepublik wurde der DDR administrativ diktiert, woran das Zusammenleben der Deutschen bis heute leidet.
Bestimmte bürgerliche Historiker verdrängen, daß beide deutsche Staaten von 1949 bis 1989 in einem erbitterten Bürgerkrieg standen. Kein heißer zwar, aber ein kalter, immer auch am Rande einer möglichen atomaren Katastrophe. Statt sich zu freuen, daß aus dem kalten kein heißer Krieg wurde, hat sich die politische Elite der alten Bundesrepublik 1990 dafür entschieden, alles Ungemach der Spaltung Deutschlands allein der DDR anzulasten. Deshalb wird bis in die Gegenwart hinein die wahre Geschichte der europäischen und deutschen Spaltung verzerrt dargestellt.
Trotz ihrer Defizite hat die DDR im Interesse der Menschen Beachtliches geleistet. Sie hatte ein menschenfreundliches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Entscheidendes Motiv war nie das Profitinteresse, sondern die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Sie hatte ein geschlossenes System der sozialen Sicherheit, das Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Kinder- und Altersarmut nicht kannte. Sie verfügte über ein einheitliches Bildungssystem, in dem es gleiche Chancen für alle Kinder des Volkes gab, ohne daß diese vom Geldbeutel der Eltern abhängig waren.
Unbestreitbar bleibt aber vor allem: Solange die Sowjetunion und mit ihr auch die DDR existierten, gab es in Europa keinen Krieg. Im Umkehrschluß bedeutet das allerdings auch: Das Verschwinden der DDR von der politischen Landkarte ist ebenfalls ein europäischer Wendepunkt. Zum ersten Mal nach 1945 wurde Krieg in Europa – sogar mit deutscher Beteiligung – wieder möglich. Die Vision eines friedliebenden Europa, die nach dem Zweiten Weltkrieg möglich schien, zerschellte, als die US-geführte NATO Jugoslawien bombardierte.
Das atlantische Bündnis machte auf diese Weise aus dem kalten einen heißen Krieg – mitten in Europa. Ich bin überzeugt, das wäre zur Zeit der Existenz der UdSSR undenkbar gewesen. Das Datum der Zerschlagung der Sowjetunion war für die NATO das Signal, ihr 1990 gegebenes Versprechen zu brechen, sich nicht nach Osten auszudehnen. Aus dieser Gewißheit heraus teile ich auch die Analyse des Präsidenten Rußlands, Wladimir Putin, daß die Zerschlagung der Sowjetunion eine globalpolitische Katastrophe war.
Die Auswirkungen dieses Dramas erleben wir bis heute auf Schritt und Tritt. Vieles, was seit Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Welt durcheinandergeraten ist – ob in der Ukraine, in Syrien, im Irak, in Libyen oder anderen Teilen der Welt –, ist eng verbunden mit den Folgen der Zerschlagung der UdSSR und den Absichten der USA, den Rest der Welt nach ihren Vorstellungen zu formen.
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