Tausende Nazis und Anhänger von AfD und Pegida machen die Straßen von Chemnitz unsicher – der Staatsapparat schaut zu. Seehofer erklärt: "Ich wäre auch mitmarschiert..."
Nun ist es also vorbei, daß erste Länderspiel ohne den Gelsenkirchener Jungen Mesut Özil
*, jenen hervorragenden Fußballer, der wegen eines Fotos, aufgenommen mit dem Despoten Erdogan und seinem Spielkameraden Gündogan, letztlich als einer der Gründe für das Ausscheiden der saft- und kraftlosen DFB-Auswahl herhalten muss. Özil und Gündogan haben sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht viel gedacht bei dem Foto, aber ungewollt deckten sie damit einen in Deutschland latent vorhandenen Rassismus auf, der von ganz rechts außen bis hin zu SPD-Mitgliedern geht.
Bernd Holzhauser, der stellvertretende Bürgermeister der hessischen Kleinstadt Bebra, kommentierte das von Löw nominierte vorläufige Aufgebot auf Facebook mit den Worten: „ (…) das vorläufige deutsche Aufgebot zur WM – 25 Deutsche und zwei Ziegenficker“. Holzhauser ist Mitglied der SPD. Ebenso wie immer noch Thilo Sarrazin, ehemals Finanzsenator in Berlin. Dieser legte jüngst ein weiteres Buch seiner islamfeindlichen Reihe vor, dessen Inhalt von der Feuilleton-Leiterin der Süddeutschen Zeitung, Sonja Zekri, prägnant auf den Punkt gebracht wurde: "Das neue Buch (…) handelt vom Islam. Seine Auslegung ist so primitiv wie gefährlich." (Süddeutsche Zeitung, 30. August
2018)
[file-periodicals#207]Sicherlich kann die SPD dem Treiben Sarrazins kein Ende setzen. Aber ein Parteiausschluss wäre das geringste zu setzende Zeichen. Erschienen ist dieses Buch in jener Woche, als eine Stadt im Mittelpunkt der Berichterstattung stand: Chemnitz. Dort wurde Daniel H. von vermutlich drei aus Syrien und dem Irak stammenden Männern aus bisher der Öffentlichkeit noch nicht bekannten Gründen erstochen. Daniel H., Fan des Chemnitzer FC, Tischler, kubanischer Vater, ist nach allem, was bekannt ist, Internationalist und Antifaschist. "Die Nationalität ist völlig egal! Arschloch ist Arschloch!", postete er mal auf Facebook. Gegen die Vereinnahmung seines gewaltsamen Todes durch eine rassistische Zusammenrottung kann er sich nicht mehr wehren.
In den Tagen nach seinem Tod zog ein brauner Mob bestehend aus AfD-Mitgliedern sowie anderem faschistischen Gesocks durch die Chemnitzer Straßen und jagte Menschen, die sie für nicht deutsch hielten. Auch Hitler-Gruß und rassistische, völkerverhetzende Parolen veranlassten anwesende Polizeikräfte nicht zum Einschreiten.
Sie fühlten sich zu schwach! War dies gar politisch gewollt? Der Staatsapparat ist seit jeher durchdrungen von völkischem und nationalistischem Gedankengut. Hans-Georg Maaßen, der als oberster Verfassungsschützer eigentlich die demokratische Republik verteidigen soll, traf sich ungeniert mit der ehemaligen AfDlerin Frauke Petry und dem Oberhetzer Alexander Gauland und beriet diese in politischen Fragen. Seine Behörde platzierte im Umfeld des Berliner Massenmörders Anis Amri, der einen Sattelzug in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche steuerte und so elf Menschen umbrachte sowie 55 verletzte, einen V-Mann. Wollte oder konnte er diesen Massenmord nicht verhindern?
V-Männer hielten sich im Kreis des NSU auf. Wollten oder konnten sie deren Morde nicht verhindern? Auch im Dunstkreis der Wehrsportgruppe Hoffmann mit dem Verantwortlichen für das Oktoberfest-Attentat 1980, Gundolf Köhler, tummelten sich V-Leute. Wollten oder konnten sie den Tod von 13 Menschen nicht verhindern?
Dies sind nur drei Beispiele, es gibt unzählige. Um dem braunen Mob einen neuerlichen Aufmarsch zu ermöglichen, ordnet dieser Staatsapparat mittlerweile sogar schon die Absetzung eines Fußballspiels an. Die 2.-Liga-Begegnung des HSV bei Dynamo Dresden musste auf Weisung des sächsischen Innenministers verschoben werden, denn die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden. Stellt sich doch die Frage, warum der faschistische Aufmarsch nicht verboten wurde? Die Gesetze geben dies allemal her.
Kein Fußbreit den Faschisten, weder in den Stadien noch auf den Straßen dieser Republik, soll sich die Geschichte nicht wiederholen. Oder mit Özils Worten: "Rassismus darf nie und nimmer hingenommen werden."
* Wir drucken hier Mesut Özils Rücktrittserklärung in Auszügen ab, damit der geneigte Auf-Draht-Leser und auch Lukas Podolski verstehen, dass Mesut Özil nicht die Tausende auf Integration bedachten Trainer und Funktionäre meint, wenn er von Rassismus im DFB spricht:
"(...) In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren (...) Gibt es Kriterien, ein vollwertiger Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle? Meine Freunde Lukas Podolski und Miroslav Klose werden nie als Deutsch-Polen bezeichnet, also warum bin ich Deutsch-Türke? (...) Indem man als Deutsch-Türke bezeichnet wird, werden Menschen bereits unterschieden, (...) Ich wurde in Deutschland geboren und ausgebildet, also warum akzeptieren die Leute nicht, dass ich Deutscher bin? (...) Ich will nicht einmal die Hassmails, die Drohanrufe und die ommentare in den sozialen Netzwerken diskutieren, die meine Familie und ich erhalten haben. Sie alle stehen für ein Deutschland der Vergangenheit, ein Deutschland, das nicht für neue Kulturen offen ist, und ein Deutschland, auf das ich nicht stolz bin. Ich bin zuversichtlich, dass viele stolze Deutsche, die eine offene Gesellschaft begrüßen, mit mir einer Meinung sind (...) Aber wenn hochrangige DFB-Funktionäre mich so behandeln, meine türkischen Wurzeln missachten und mich egoistisch als politisches Propagandamittel nutzen, dann ist es genug. Dafür spiele ich nicht Fußball, und ich werde mich nicht zurücklehnen und nichts dagegen tun. Rassismus darf nie und nimmer hingenommen werden.Aus:
Auf Draht, 11.09.2018