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BERLIN/URUMQI/MÜNCHEN/BEIJING (22.10.2007) - Berliner Außenpolitiker führen Gespräche mit einer chinesischen Separatistin und erhöhen den politischen Druck auf Beijing. Wie der "Weltkongress der Uiguren" (Sitz: München) mitteilt, wird seine Präsidentin Rebiya Kadeer unter anderem im Auswärtigen Amt empfangen. Die Uiguren sind eine muslimische Minderheit aus der Autonomen Region Xinjiang (Westchina), sie streben die Sezession ihrer Wohngebiete ("Ost-Turkestan") aus der Volksrepublik China an. Rebiya Kadeers Auftritt in der deutschen Hauptstadt ist publizistisch sorgfältig vorbereitet und geschieht in Übereinstimmung mit Maßnahmen der USA. Kurz nach dem Besuch des Dalai Lama im Kanzleramt intensiviert Berlin damit die Sezessionsoffensive gegen Beijing. Beziehungen deutscher Stellen zu uigurischen Exilpolitikern bestehen seit Jahrzehnten - geheimdienstliche Milieus inklusive.

Premieren

Rebiya Kadeers Berlin-Aufenthalt folgt der Europa-Reise des Dalai Lama, die Beijing zu heftigen Protesten veranlasste. Das Oberhaupt der selbsternannten Exilregierung Tibets hatte im September die spanische Provinz Katalonien besucht, die nach weitgehender Autonomie oder Sezession strebt 1, und anschließend Portugal und Österreich bereist. Nach einer Zusammenkunft mit dem österreichischen Regierungschef wurde der vermeintliche Gottkönig in der deutschen Hauptstadt empfangen - zum ersten Mal im Bundeskanzleramt. Kurz darauf initiierte die US-Regierung eine weitere Premiere: Der Dalai Lama erhielt eine Ehrenmedaille des US-Kongresses - eine der höchsten Auszeichnungen der Vereinigten Staaten - und trat dabei gemeinsam mit Präsident Bush öffentlich auf. Auch Rebiya Kadeer befindet sich auf großer Rundreise. Sie ist von ihrem US-Exil zunächst nach Großbritannien aufgebrochen und hat dort mit Parlamentsabgeordneten, Beamten des Außenministeriums und Regierungsmitgliedern konferiert. Nun hält sie sich in der deutschen Hauptstadt auf.

Policy Advisor

Die aktuellen transatlantischen Aktivitäten zur Stärkung des anti-chinesischen Separatismus und zur Schwächung Beijings gründen auf jahrzehntelanger deutsch-US-amerikanischer Kooperation. Zu den Protagonisten gehört der Exil-Uigure Erkin Alptekin. Sein Vater, Isa Yusuf Alptekin, hatte bereits in den 1930er Jahren der westchinesischen Sezessionsbewegung angehört und von 1933 bis 1934 als Generalsekretär eine Provisorische Regierung der "Türkisch-Islamischen Republik Ost-Turkestan" geleitet. Als "Ost-Turkestan" bezeichnen die Uiguren ihre Wohngebiete in der Volksrepublik China noch heute, weil sie sich als ethnische Abkömmlinge türkischer Vorfahren begreifen; manche streben einen pan-türkischen Zusammenschluss mit Teilen Zentralasiens sowie der Türkei an. Erkin Alptekin, dessen Familie in uigurischen Kreisen hohe Anerkennung genießt, ließ sich nach seinem Studium in Istanbul im Jahr 1971 in München nieder. Dort beriet er als "Senior Policy Advisor" den Direktor des US-Senders Radio Liberty.2

CIA

Bereits damals begann der US-Geheimdienst CIA mit dem Aufbau von Kontakten zu sezessionswilligen Uiguren. "Einige von ihnen wie Erkin Alptekin, die für den Münchner CIA-Sender Radio Liberty gearbeitet hatten", schreibt der Analytiker B. Raman, ehemals Kabinettssekretär der indischen Regierung, "befinden sich inzwischen in der vordersten Reihe der Sezessionsbewegung".3 Alptekin gründete 1991 in München die "Eastern Turkestan Union in Europe" und rief im April 2004 - ebenfalls in München - den "World Uyghur Congress" ins Leben, dessen Gründungspräsident er wurde. Die Organisation steuert aus Deutschland zahlreiche uigurische Exilvereinigungen weltweit; ihr gehören Zusammenschlüsse an, die nach Auskunft der chinesischen Regierung dem terroristischen Milieu zuzurechnen sind.4

Miteinander verbunden

Zur Strategie der Münchner Exilbewegung gehört es, die Uiguren mit den übrigen Sezessionsbewegungen (Tibeter, Mongolen) zusammenzuführen und den chinesischen Staat an mehreren Zonen seiner Peripherie zu zerbrechen. So nahm der frühere CIA-Berater Alptekin 1985 an der Gründung des "Allied Committee of the Peoples of East Turkestan, Tibet and Inner Mongolia" teil, 1998 unterstützte er eine internationale Konferenz der Organisation in New York, die auch von Vertretern der US-Regierung besucht wurde. Die Strategie der völkischen Bewegungen teilt der Dalai Lama. "Unsere drei Völker sind durch Geographie und Geschichte miteinander verbunden, und in diesen Tagen auch noch durch die chinesische Besatzung", erklärte er in einem Grußwort für die Veranstaltung in New York: "Ich bleibe optimistisch, dass sich in nicht allzu ferner Zukunft das wahre Sehnen der Völker Ost-Turkestans, der Inneren Mongolei und Tibets erfüllen wird".5

Public Relations

Rebiya Kadeer, die sich in dieser Woche zu politischen Gesprächen in Berlin aufhält, führt Alptekins Tätigkeit weiter - ebenfalls mit deutsch-US-amerikanischer Unterstützung. Ende der 1990er Jahre war die bis dahin reichste Geschäftsfrau der Volksrepublik wegen separatistischer Aktivitäten mit Beijing in Konflikt geraten und inhaftiert worden. Im März 2005 konnte sie auf Druck der Vereinigten Staaten in die USA ausreisen, wo bereits ihr Ehemann lebte; er arbeitet bis heute für Radio Free Asia, die asiatische Entsprechung zu Radio Free Europe/Radio Liberty, der ebenfalls CIA-Verbindungen nachgesagt werden. Rebiya Kadeer wurde systematisch zur Integrationsfigur für die Außendarstellung der Uiguren aufgebaut. Mehrfach war sie Kandidatin für den Friedensnobelpreis, vor wenigen Monaten veröffentlichte ein Verlag des Bertelsmann-Konzerns ihre Biographie - in deutscher Sprache. Das Buch wird in den deutschen Medien mit großer Aufmerksamkeit bedacht. Seine Präsentation erfolgte im Juni 2007 in der Bundespressekonferenz, wo Rebiya Kadeer auf interessierte Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen traf - wenige Tage nach einer Zusammenkunft mit US-Präsident George Bush.

Ausweitung

Zum ersten Mal hatte sich Rebiya Kadeer im November 2006 in Berlin aufgehalten, als sie nach Deutschland gereist war, um in München zur neuen Präsidentin des "Weltkongresses der Uiguren" gewählt zu werden. Ihr jetziger Besuch folgt einer Resolution des US-Repräsentantenhauses, die Beijing auffordert, den Uiguren neue Autonomierechte zuzugestehen und inhaftierte Separatisten, darunter zwei Söhne Rebiya Kadeers, freizulassen. Dass sie in der deutschen Hauptstadt nicht nur im Auswärtigen Amt empfangen wird, sondern auch Gespräche mit dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages und mit Vertretern parteinaher Stiftungen führt, lässt die Ausweitung der Berliner Uiguren-Politik deutlich werden.

Bei passender Gelegenheit

Dabei hilfreich ist eine Anfang 1991 gegründete Organisation mit Sitz in Den Haag, die Unrepresented Nations and Peoples Organization (UNPO). Gründungsmitglieder sind unter anderem der Dalai Lama und der Uiguren-Sezessionist Alptekin. Der UNPO gehören gegenwärtig 69 "Nationen" an, darunter "Ost-Turkestan", Tibet und die Innere Mongolei. Diesen Teilen souveräner Staaten soll das "Selbstbestimmungsrecht" verliehen werden, fordert die Organisation. Sechs ehemalige UNPO-Mitglieder, darunter Estland, Lettland und Georgien, haben inzwischen die verlangte Eigenstaatlichkeit erreicht. Der Zusammenschluss besitzt ein "Koordinierungsbüro" in Washington. Er hält zahlreiche "Völker" zur politischen Nutzung durch die westlichen Mächte bereit. Zu den Mitgliedern gehören Vertretungen kurdischer Separatisten aus dem Irak und dem Iran oder Sezessionskämpfer aus Serbien (Kosovo), die längst gegen ihre Zentralregierungen in Stellung gebracht worden sind, aber auch nach Autonomie strebende Kollektive aus Russland oder Myanmar, die bei passender Gelegenheit zum Einsatz kommen können.

Die UNPO wurde mit einem "Petra-Kelly-Preis" der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) geehrt.


Weitere Berichte über die deutsche Außenpolitik und den anti-chinesischen Separatismus finden Sie hier: Schwächungsstrategien (I), Schwächungsstrategien (II) und Schwächungsstrategien (III).

Anmerkungen:
1 s. dazu Sprachenkampf und Europa der Völker
2 Erkin Alptekin; www.tibet10march.net/web/redner_alptekin.htm
3 B. Raman: US and Terrorism in Xinjiang; South Asia Analysis Group, Paper No. 499, 24.07.2002
4 China Seeks Int'l Support In Counter-Terrorism; People's Daily Online 16.12.2003
5 B. Raman: US and Terrorism in Xinjiang; South Asia Analysis Group, Paper No. 499, 24.07.2002



 
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