DE
       
 
0
unofficial world wide web avantgarde
Diesen Artikel auf Telegram™ posten teilen
Artikel:   versendendruckenkommentieren (10)
Von ste

Schätzungsweise 860.000 Menschen in Deutschland haben keine Wohnung. Schuld ist nach Auffassung von Wohnungshilfeorganisationen der angespannte Mietmarkt. Und Abhilfe ist nicht in Sicht.

Laut dem aktuellen Münchner Mietspiegel vom März 2018 sind die Mieten in München von 2011 bis 2017 um 56,57 Prozent gestiegen, noch drastischer, als insgeamt im Bundesgebiet, wo sich die Mieten durchschnittlich um 32,55 Prozent erhöht haben (siehe Grafik), was die Steigerung der Löhne weit überschreitet. München entfernt sich darüber hinaus immer weiter vom Bundesdurchschnitt und entwickelt sich weiter zu einer Stadt, in der Wohnen zum Luxusgut wird. So liegen bereits heute die Kosten pro Quadratmeter Wohnfläche im Bund bei 8,55 E, in München dagegen bei 18,97 E und damit bei ca. 250 Prozent der Kosten im Bundesdurchschnitt. Dies wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen.

Die Begründung in einer steigenden Zuwanderung aus ländlichen Regionen zu suchen führt jedoch am eigentlichen Problem vorbei. Denn dass auch die Mietpreise eine Frage von Angebot und Nachfrage sind liegt doch darin, dass Grund und Boden und damit die Wohnungen überwiegend im Privatbesitz von kleinen und vor allem auch größeren Kapitalisten sind.

Großbildansicht mietpreise.png (19.4 KB)
© by Auf Draht Großbildansicht mietpreise.png (19.4 KB)
durchschnittliche Mietpreise
Diese aber wollen mit ihrem angelegten Kapital Profit erzielen, wie alle anderen Kapitalisten auch. Zudem haben sich in den letzten Jahrzehnten Bund, Länder und Gemeinden zunehmend aus dem Wohnungsbau zurückgezogen. Sie überließen börsennotierten Immobilienkonzernen wie der Deutsche Wohnen (DW) oder der Vonovia das Feld, die eben nur den Profiterwartungen ihrer Kapitalisten verpflichtet und bereit sind, diese mit allen Mitteln zu erfüllen. Wohnsiedlungen werden dem Verfall preisgegeben, damit statt kostenintensiver Instandhaltungen gleich Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden können. Diese wiederum können im Gegensatz zur Instandhaltung direkt auf die Mieter umgelegt werden. So berichtete die Süddeutsche Zeitung im Februar 2018 von Wohnungen in Schwabing.

Nach dem Verkauf der Immobilie an ein privates Immobilienunternehmen sollten Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Den Mietern wurde mitgeteilt, dass sich ihre Miete von 564 € auf bis zu 2.109 € erhöhen wird. Dies entspricht einer Erhöhung von bis zu 273 Prozent. Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins, welcher Mieter in solchen Fällen unterstützt, schätzt ein, dass sich dieses Vorgehen in den letzten Jahren immer häufiger zeigt. „Diese Schreiben werden oft zur Einschüchterung benutzt“, „Der Sinn und Zweck, überhaupt zu modernisieren, ist in vielen Fällen schlicht, die alten Mieter loszuwerden“, sagt Zurek. Anschließend könne die Wohnung für ein Vielfaches verkauft oder neu vermietet werden.1
Allein Vonovia und DW sind Eigentümer von über 500.000 Wohnungen in Deutschland, mit dem Ziel, ihren Marktanteil weiter zu erhöhen.

Im Herbst sind Landtagswahlen in Bayern…

… und der neue bayerische Ministerpräsident entdeckt die Wohnungsfrage. Söder (CSU) bezeichnet das Thema bezahlbarer Wohnraum als „größte Soziale Frage“. Dass die CSU und insbesondere ihr frischgebackener Ministerpräsident sich mit dem Thema auskennt, hat er ja in der Vergangenheit bereits bewiesen.

[file-periodicals#204]2013 verkaufte der damals noch bayrische Finanzminister Söder gegen heftigen Protest 33.000 Wohnungen des Freistaats an den privaten Immobilienkonzern Patrizia AG aus Augsburg. Seit diesem Verkauf steigen die Mieten der zuvor gemeinnützigen Wohnungen teilweise um bis zu 30 Prozent. Viele der ca. 82.000 Bewohner dieser Wohnungen werden so aus ihren Wohnungen gedrängt, um diese gewinnbringend zu verkaufen.

Hinzu kommt der Verdacht, dass der damalige Deal durch Schwarzgeld aus dem Ausland finanziert wurde. Es bestehe der Verdacht, dass das Finanzministerium und damit auch Herr Söder hiervon wusste und politisch Einfluss nahm, um den Deal nicht zu gefährden, sagte Florian Streibl von den Freien Wählern und fordert, dem Thema in einem Untersuchungsausschuss auf den Grund zu gehen.

Von der CSU ist also bei diesem Thema, wenn überhaupt etwas, eine weitere Verschärfung der Mietsituation zu erwarten. Der von ihr geplante Kurs ist klar erkennbar. Privatisieren, wo es nur geht, um den Konzernen auch weiterhin Millionengewinne zu ermöglichen.

In einigen Städten beginnt sich Protest zu formieren. Am 14.April 2018 demonstrierten allein in Berlin erneut über 10.000 Menschen gegen Mietwahnsinn und für ein Umsteuern der Politik. Ein notwendiger Anfang im Kampf für bezahlbare Wohnungen – auch in München.

ste

Anmerkungen:
1 siehe: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/wohnen-inmuenchen-mietsteigerung-um-prozent-1.3854717


 
Creative Commons CC BY-NC-ND 4.0
Inhalt (Text, keine Bilder und Medien) als Creative Commons lizensiert (Namensnennung [Link] - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen), Verbreitung erwünscht. Weitere Infos.
 


 
Kommentare anzeigen: absteigend   aufsteigend
 K Kommentar zum Artikel von KarlKirch:
Mittwoch, 13.06.2018 - 18:25

Danke für die Ergänzung des Links @mischa,
aber nicht zu verwechseln mit dem BesetzerInnenkollektiv:
http://leerstandbeleben.bplaced.net/


  Kommentar zum Artikel von mischa:
Sonntag, 10.06.2018 - 09:31

Hier ein Link zum Stuttgarter Bündnis Link ...jetzt anmelden!


 K Kommentar zum Artikel von KarlKirch:
Samstag, 09.06.2018 - 15:35

Staatsschutz macht mit Veröffentlichung personenbezogner Infos in Stuttgarter Nachrichten Stimmung gegen (mittlerweile ehemalige) Hausbesetzer und deren Unterstützer, alles garkeine Normalbürger sondern böse "Linksextreme":

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.linke-inszenierung-in-stuttgart-heslach-die-legende-von-den-netten-hausbesetzern.e9dbd433-8ca8-4999-827e-68dba51f1819.html


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Dienstag, 29.05.2018 - 21:37

Prophet muss man da nicht sein. Wiewohl um den Begriff "Bewegung" immer gut gestritten werden kann -: Ich zumindest nutze ihn nicht als exakte Größe, sondern als Kennzeichnung der Anwesenheit einer gewissen Quantität von Teilnehmern sowie eines gewissen spontanen Elements - eben im Unterschied zur reinen "Szene", den Politaktivisten. In diesem Sinne haben wir es, zumindest in Berlin, schon länger mit einer Anti-Prekarisierungs-Bewegung zu tun. Ein Indiz dafür sind die regelmäßig sehr hohen Teilnehmerzahlen an entsprechenden Demonstrationen (jüngst z.B. hier: Link ...jetzt anmelden! ) zu werten, die eben nicht mehr durch Mobilisierung der "Szene" zu erklären sind. Zum 1. Mai beispielsweise eskalierte eine als Spaßdemo konzipierte Veranstaltung in einem Berliner Reichenviertel (Motto: "Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg - gegen gefährliche Parallelgesellschaften"), weil statt der erwarteten 200 über 5.000 Menschen gekommen sind. Damit war die Polizei, aber auch der Veranstalter (die "Hedonistische Internationale") überfordert. Und nun, doch noch, mein Quäntchen Prophetie: Wenn eine Bewegung eine gewisse Breite und Kontinuität besitzt (wie die Mieterbewegung bspw. in Berlin), dann werden sich irgendwann auch Teile radikalisieren (und zum nächstliegenden Mittel, der direkten Aneignung, greifen). Und da auf eine Verbesserung der Zustände am Mietenmarkt aus oben genannten Gründen kaum Aussicht besteht, wird auch der Nachschub an betroffenen Menschen wohl nicht abreißen, sondern eher größer werden. Es spricht m. E. zumindest da, wo ich das überblicken kann (Berlin), genug für das Entstehen einer solchen Bewegung, als dass man sich ein wenig darauf vorbereiten kann.


  Kommentar zum Artikel von retmarut:
Dienstag, 29.05.2018 - 10:41

"Die werden wir auch kriegen, da können wir recht zuversichtlich sein. Man muß schon ziemlich sinusitisch sein, um das nicht zumindest in den größeren Städten deutlich riechen zu können." Ob jemand "sinusitisch" ist, kann vermutlich nur ein HNO-Arzt entscheiden. :) Ob HNO-Ärzte aber so viel von Wohnungspolitik und Hausbesetzerbewegung verstehen ..? :( Ich sehe (geschweige denn rieche) derzeit keine entstehende Mieter- oder Besetzerbewegung. Ein paar linksradikale Gruppen besetzen mal irgendwo symbolisch ein Gebäude kann man wohl kaum als Bewegung verkaufen. Und auch die Organisierung unter echten Mietern, also den real Betroffenen, dümpelt eher vor sich hin und kommt über die sowieso organisierten Kerne nicht wirklich hinaus. Nicht zuletzt weil es an brauchbaren Konzepten fehlt. (Platte "Mieten runter!"-Forderungen, unbrauchbare gesetzliche Mietpreisbremsen, emotionaler Furor gegen Gentrifizierung, identitäres "Schaffen selbstbestimmter Wohnformen" sind jedenfalls keine irgendwie tragbaren Konzepte. Die weisen keinen Lösungsweg und entwickeln auch keine Breitenwirkung.) Daher möchte ich all die werten Propheten, welche hier eine Bewegung im Entstehen sehen, gerne einmal fragen, welche konkreten Anzeichen ihnen denn diese Gewissheit vermitteln.


 K Kommentar zum Artikel von KarlKirch:
Dienstag, 29.05.2018 - 01:23

In Stuttgart gabs bis vor einigen Stunden auch eine Besetzung die genau einen Monat anhielt. Die Spontandemo nach der Räumung war doch recht klassenkämpferisch geprägt, viele rote Fahnen und klar antikapitalistische Parolen. Erstmal vielversprechend, auch wenn die Forderungen der BesetzerInnen erstmal alles andere als revolutionär (sozialverträglicher Mietvertrag) und die PdL recht medienwirksam war. DKP war zwar solidarisch aber real leider kaum präsent. Als KommunistInnen sollten wir dieses Feld jedenfalls nicht unterschätzen. Link ...jetzt anmelden! Link ...jetzt anmelden!


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Freitag, 25.05.2018 - 18:09

Eine neue Hausbesetzerbewegung wird als soziale (Protest-)Bewegung entstehen (oder tut dies bereits), aber mit allen Begrenzungen, die solchen Bewegungen innewohnen. Die Kommunisten dieses Landes können daran sowieso nur in der Stärke teilnehmen, die sie objektiv haben. Das ist bekanntlich nicht viel. Zumindest in vielen (west-)deutschen Großstädten wird die Mietenfrage zum sozialen Hauptwiderspruch. Das betrifft längst nicht mehr nur Arbeiter oder "Prekäre", die in die Suburbs verdrängt werden, sondern bereits massiv das Kleinbürgertum in "besseren" Lagen. In Teilen Berlins werden bereits die Ur-Gentrifizierer ihrerseits "weggentrifiziert". Dieser Prozeß wird auch anhalten, denn die Kapitalflucht in Immobilien ist ein Resultat der seit nun 10 Jahren ungelösten Wirtschaftskrise. Die "Realwirtschaft" bringt es halt nicht mehr, so stellt sich das für den bürgerlichen Investor (bzw. den Anteilseigner am Immobilien-Fonds) dar. Da muss der Profit wo anders sprießen, und Grund und Boden ist halt nicht beliebig vermehrbar. Bleibt: die Miete. Vermutlich wird die Stärke der Kommunisten nicht ausreichen, um die entstehende Bewegung von reiner Umverteilungs-"gerechtigkeit" (dem Äquivalent zum Trade-Unionism der Gewerkschaften) auf die soziale Frage zu bringen. Partiell mag und wird das aber gelingen (und zwar abhängig von lokaler Stärke, also hier die DKP, dort die MLPD, wo anders Post-Autonome oder Neo-"Maoisten"). Was eine sich radikalisierende Bewegung ihrerseits an Potenzialen freilegt, bleibt abzuwarten. Da die Frage aber bis tief ins Kleinbürgertum reicht, werden uns auch diesmal die Hippies, Lebensreformer und Utopisten nicht erspart bleiben...


  Kommentar zum Artikel von mischa:
Freitag, 25.05.2018 - 12:22

>>"Naja, zumindest eine neue Hausbesetzerbewegung wäre schonmal gut!" >"Die werden wir auch kriegen, da können wir recht zuversichtlich sein. Man muß schon ziemlich sinusitisch sein, um das nicht zumindest in den größeren Städten deutlich riechen zu können. " Fände ich sehr gut, bezweifle ich aber. Eher kleinere Aktionen, aber nix an Bewegung. >' Es wird an bewußten Kommunisten innerhalb dieser Bewegung hängen, daß das diesmal anders verlaufen kann.' Ja! Sehe ich aber derzeit auch nicht. Wer könnte das sein? Die freischwebenden KommunistInnen? Die KPF? Die DKP mit der SDAJ? Die Mao-FreundInnen? Dennoch, selbst wenn es keine große Bewegung gibt mit lauter tollen KommunistInnen mittendrin - jede Aktion gegen Wohnungsnot besetzt ein wichtiges eigenständiges Kampffeld UND ist eine Aktion gegen Rassismus und Faschismus.


  Kommentar zum Artikel von FPeregrin:
Donnerstag, 24.05.2018 - 02:04

"Naja, zumindest eine neue Hausbesetzerbewegung wäre schonmal gut!" Die werden wir auch kriegen, da können wir recht zuversichtlich sein. Man muß schon ziemlich sinusitisch sein, um das nicht zumindest in den größeren Städten deutlich riechen zu können. Wichtig wird aber sein, ob sie in der Lage sein wird, den Klassencharakter der Vorgänge einschließlich es eigenen Handels zu erkennen. Die letzte große - 1980/81 - verlor sich letztendlich kleinbürgerlicherweise im autonomen Befindlichkeits-Tüdelütt. Es wird an bewußten Kommunisten innerhalb dieser Bewegung hängen, daß das diesmal anders verlaufen kann.


  Kommentar zum Artikel von Knoelius:
Mittwoch, 23.05.2018 - 13:05

Sehr guter Artikel! Das sollte man nach dem Beispiel München mal für jede größere Stadt machen. Die Steigerungen sind fast überall krass! Irgendwann wird das explodieren! Naja, zumindest eine neue Hausbesetzerbewegung wäre schonmal gut!